Nicht, dass dies in irgend einer Form wirklich überraschend wäre – man muss sich ja nur anschauen, wer vor Annahmeschluss der Lotto-Buden so in der Schlange steht. Dennoch bin ich an der Pressemitteilung der Carnegie-Mellon-Universität zu einer Studie, die genau dieses Phänomen untersucht, ein wenig länger hängen geblieben, als ich selbst erwartet hätte: Why Play a Losing Game? Carnegie Mellon Study Uncovers Why Low-Income People Buy Lottery Tickets. (Die Studie selbst, die im Journal of Behavioural Decision Making erschien, ist nur für Zahlungswillige online verfügbar.) Denn zumindest ein Vorurteil, das ich gelegentlich gehört habe, scheint so nicht haltbar: dass die Armen nicht zuletzt deshalb arm sind, weil sie halt nicht mit Geld umgehen können, was sich wiederum im Kauf von Lottoscheinen mit ihren haarsträubenden Gewinnchancen manifestiert.
Erst mal zur Methodik: Unter dem Vorwand, eine Umfrage über die Stadt Pittsburgh durchzuführen, wurden Passagiere an einer Greyhound-Busstation (generell nicht die vermögendste Bevölkerungsgruppe, darf man annehmen) gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, in dem sie auch grobe Angaben zu ihren Einkommensverhältnissen machen mussten. Als Belohnung für die Teilnahme erhielten sie fünf Dollar und die Chance, bis zu fünf Lottoscheine damit zu kaufen. Der Clou war, dass ein Teil der Befragten sich in Jahres-Einkommenskategorien von “unter 100.000 Dollar”, “100.000 bis 200.000 Dollar” und so weiter einordnen mussten, der andere Teil in die Kategorien “unter 10.000”, “10.000 bis 20.000” etc.
In anderen Worten: Die meisten Probanden der ersten Gruppe mussten sich zwangsläufig ziemlich arm vorkommen, da sie sich in der untersten Einkommensschicht wieder fanden; in der zweiten Gruppe waren die Chancen, sich durch eine Platzierung im Mittelfeld oder gar in einer gehobenen Kategorie relativ wohlhabend zu fühlen, deutlich größer. Resultat: Die “relativ Armen” kauften im Schnitt 1,27 Lottoscheine – fast doppelt so viele wie die “relativ Reichen” (0,67). Leider weiß ich nicht, wie viele Bus-Passagiere tatsächlich an dieser Umfrage teilgenommen haben, schließe aber aus der Tatsache, dass das Papier eine Peer Review durchlaufen hat, dass sie statistischen Anforderungen grundsätzlich genügt haben muss.
In einem zweiten Experiment wurde ein Teil der Befragten daran erinnert, dass Lottochancen für alle Spieler gleich sind, ohne Ansehen von Einkommen oder Bildung; diese Probanden kauften im Schnitt zwar mit 1,31 Lottoscheinen mehr als doppelt so viele Lose wie die nicht “Aufgeklärten”, aber das finde ich weitaus weniger überraschend, da diese Info ja praktisch einer Werbung für das Glücksspiel gleich kommt.
Ob es nun eher die “gefühlte Armut”, die Leute an den Lottoschalter getrieben hat, oder ob vielmehr umgekehrt der “gefühlte Wohlstand” sie eher vom Kauf abgehalten hat (wie ich vermuten würde), bleibt sich am Ende wohl gleich. Denn unterm Strich sind es halt vor allem die “einkommensschwachen Schichten” – auch wieder so ein orwellistischer Euphemismus – sind, die von dem Wenigen, dass sie haben, viel zu viel für einen Traum vom Glück ausgeben, der sich praktisch sowieso nie erfüllen wird (dazu ein älterer Artikel aus dem US-Magazin “Forbes”). Aber, wie George Lowenstein, Mitverfasser der Studie und Professor für Wirtschaftspsychologie an der CMU, dazu bemerkt: “Staatliche Lotterien sind populäre Einkommensquellen (für den Staat), die wahrscheinlich nicht so schnell verschwinden werden.”
Bleibt die Frage (die auch in der Studie gestellt wird): Wäre es also moralisch richtiger, staatliche Lotterien, die ja letztlich eher einer Sondersteuer für Armut gleich kommen, ganz abzuschaffen? Oder gibt es Modelle, wie man diese Lotterien “sozialverträglicher” gestalten kann, ohne dabei die Ärmsten am meisten auszubeuten?
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