Ehe ich weiter schreibe, muss ich erst mal eines klarstellen: Ich glaube nicht an die Heilmechanismen, mit denen Homöopathen und Akupunkteure ihre Methoden erklären. Aber ich denke, dass sie als Placebos manchmal sehr nützlich und – im Vergleich zu den andernfalls eingesetzten Medikamenten – auch sehr preiswert und verträglich sein können. Und als Beispiel dafür könnte man eben jene Bekanntmachung der University of California in Irvine nehmen, an der mein Blick heute hängen geblieben ist: “Akupressur beruhigt Kinder vor Operationen“.

Erst mal zu den Fakten: Als Alternatve zu Beruhigungsmitteln, die Kindern vor einer Anästhesie gegeben werden, testete Dr. Zeev Kain, Inhaber des Lehrstuhls für Anästhesiologie, gemeinsam mit Dr. Shu-Min Wang von der Medizinischen Fakultät der Yale-Universität, an 52 Kindern im Alter zwischen 8 und 17 Jahren, die auf endoskopische Bauchoperationen vorbereitet wurden, eine Akupressur-Behandlung. Und zwar einmal an einem ausgewiesenen Akupressur-Punkt (dem so genannten Extra-1-Punkt, zwischen den Augenbrauen), und einmal an einem neutralen Punkt über der linken Augenbraue. Gefördert wurde dieser Test übrigens von den amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstituten.

Und das Resultat? Nach 30 Minuten “fachgerechter” (Extra-1-)Akupressur zeigten die Patienten ein reduziertes Stressniveau, während sie bei den Testpersonen mit der “falschen” Akupressur sogar eine Steigerung der Operationsangst registrierten. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Anesthesia & Analgesia veröffentlicht. (Auf den Verlauf der Operation selbst hatte natürlich keiner der Tests einen Einfluss – aber das hatte auch niemand erwartet oder vorher gesagt.)

Spannend finde ich an der ganzen Sache, dass es offenbar kein reiner Placebo-Effekt sein kann. Denn sonst wäre es schnurzpiepegal gewesen, wo der Druckpunkt angebracht wurde – wenn’s sein muss, auch am linken kleinen Zeh. Aber ob es nun tatsächlich der Extra-1-Punkt war oder “nur” der Umstand, dass die Tester in diesem Fall überzeugt waren, das Richtige zu tun (und daurch die Testergebisse beeinflussten), darüber können und werden sich die Fachleute – und auch alle anderen, die sich mit dem Thema gerne beschäftigen – sicher trefflich streiten.

Aber andererseits: Wäre es wirklich so schlimm, wenn mal eine dieser “Alternativen Heilmethoden” tatsächlich eine nützliche Wirkung zeigt?

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Kommentare (39)

  1. #1 Peter Artmann
    2. Oktober 2008

    Es wäre ja nicht, das erste Mal, das mit falschen Theorien nützliche Dinge angeboten werden. Ich hab damit auch kein Problem, aber für manche Leute kommt ja das eigene Denken an erster Stelle …

  2. #2 Argent23
    2. Oktober 2008

    Wie viele andere Leute auch habe ich kein allgemeines Problem mit Akupressur und Akupunktur. Ich halte es durchaus auch für möglich, dass die Behandlung von bestimmten Körperstellen einen Effekt zeigt, während man den an anderen Stellen nicht sieht. Das kommt aber einfach nur daher, dass der Körper eben nicht gleichförmig gebaut ist. Um beispielsweise Nerven zu stimulieren muss man halt dorthin mit der Nadel oder der Hand, wo die Nerven verlaufen. Das bedeutet aber keineswegs, dass man dann sofort die klassischen Erklärungen der traditionellen chinesischen Medizin mit Energieflüssen und Medianen usw. bemühen muss!
    Die Kritik ist nicht an der Methode selbst, sondern an der übernatürlichen Erklärung ihrer behaupteten Wirksamkeit.

  3. #3 florian
    2. Oktober 2008

    Also gerade bei Kindern kann ich mir das gut vorstellen. Die wissen ja im allgemeinen nicht so gut über medizinische Vorgänge Bescheid. Und haben wohl vor einer Operation mehr Angst als Erwachsene. Wenn sich dann jemand vor einer Operation ausgiebig mit ihnen beschäftigt; noch dazu mit viel Körperkontakt dann ist es nicht verwunderlich, wenn sich der Stress senkt.
    Wäre interessant zu sehen, wie sich “nur” Gespräch und normale Berührung vor einer Operation auf den Stress auswirken. Eigentlich sollte das genauso gut funktionieren.
    Das mit dem “falschen” Akkupressur-Punkt würde ich auch eher auf eine andere Einstellung des Akkupresseurs zurückführen. Gerade wenn man jemanden beruhigen will ist es enorm wichtig selbst ruhig und überzeugt von dem zu sein was man tut (wer schonmal kleine Kinder beruhigen wollte, der wird das bestätigen können 😉 )

  4. #4 student_b
    2. Oktober 2008

    Aber andererseits: Wäre es wirklich so schlimm, wenn mal eine dieser “Alternativen Heilmethoden” tatsächlich eine nützliche Wirkung zeigt?

    Nein schlimm wäre es nicht. Wir müssten nur unsere gesamte moderne Biologie und Physik umschreiben.

    Also bleibe ich persönlich dabei, dass ich für diese “alternative” Medizin auch aussergewöhnliche Beweise verlangen.

    Btw. hätte ich gerne Zugang zu der Studie (momentan nur das Abstract für mich verfügbar), weil:

    (–9% [–3 to –15] vs 2% [–6 to 7.4], P = 0.012)

    Naja, eine bedeutende Änderung sieht für mich irgendwie anders aus, als eine 10% Verbesserung bzw. eine 2% Verschlechterung der Nervosität…

  5. #5 Ludmila
    2. Oktober 2008

    Wäre es wirklich so schlimm, wenn mal eine dieser “Alternativen Heilmethoden” tatsächlich eine nützliche Wirkung zeigt?

    Nein, wäre es nicht.

    Schlimm ist nur, wenn diese Wirkung unkritisch einfach vorausgesetzt wird und man anderslautende Ergebnisse nicht akzeptieren kann und will bzw. sich von vornherein einer kritischen Auseinandersetzung verschließt.
    Schlimm ist nur, wenn dann mit dieser Argumentation Tür und Tor für nachweislich schädliche Methoden geöffnet wird: Neuraltherapie, schadstoffbelastete Ayurveda-Medizin usw.
    Schlimm ist nur, wenn um diese Heilmethoden eine sektenähnliche Struktur gegründet wird, mit dem erklärten Ziel rationales Denken ins Lächerliche zu ziehen bzw. als “ungeeignet” abzutun.
    Schlimm ist nur, wenn alternative Heilmethoden als Kampfbegriff verwendet wird, um die moderne Medizin zu ersetzen.

    Und Jürgen: Denn sonst wäre es schnurzpiepegal gewesen, wo der Druckpunkt angebracht wurde – wenn’s sein muss, auch am linken kleinen Zeh.
    Nur wenn der Versuchsleitereffekt ausgeschlossen wurde: Weiß der Therapeut, dass ein Druckpunkt “falsch” ist? Dann ist diese Aussage wertlos, weil Du nicht ausschließen kannst, dass sich die Erwartungshaltung des Therapeuten auf den Patienten überträgt. Menschen sind ja keine gefühllosen Steine, sondern reagieren oft unbewusst z.B. auf die Körpersprache.

    Deswegen sind doppelt verblindete und Placebokontrollierte Studen so wichtig.

    Diese Studie ist vielleicht ein Ausgangspunk für weitere Studien, muss allerdings unter strengeren Bedingungen wiederholt werden.

    1. Um auszuschließen, dass das Ergebnis kein Zufall war.
    2. weil die Studie ganz offensichtlich Schwächen hat.

    a) zu geringe Patientenzahl für eine sichere Aussage.
    52 Patienten, die auf zwei Gruppen verteilt wurden? Aus rein statistischen Gründen sind Aussagen aus so kleinen Stichproben ziemlich schwach. Vor allem bei berichteten Veränderungen im einstelligen Prozentbereich. Die Statistik dieser Ergebnisse erscheint mehr extrem wackelig.

    b)
    Ich kann nur den Abstract lesen, aber soweit ich das sehe, wurde die Studie nicht einfach verblindet. Eine Randomisierung wird nur bei den Patienten erwähnt. Was ist mit den Therapeuten? Wussten Sie was Sham war und was nicht? Versuchsleitereffekt ick hör Dir trapsen.

    c)
    Wo ist die Placebogruppe, die gar keine Akkupressur erhielt und wo der Druck nur vorgetäuscht wurde. Und nein eine Sham-Akkupressur ist kein Ersatz für Placebo, da Du ja auf eine sehr direkt Art mit dem Körper interagierst. Der Druck führt ja u.a. zu einer höheren Durchblutung dieser Regionen.

    Gegenfrage: Was ist so schlimm daran, alternative Heilmethoden als Placebo zu bezeichnen, wenn sie sich als Placebo erweisen?

  6. #6 Ludmila
    2. Oktober 2008

    @Jürgen: Noch eine Gegenfrage: Stell Dir vor ein Pharmaunternehmen würde so argumentieren, wie die Alternativen: “Es wirkt! Es hat keine Gegenwirkungen! Beweis mir jetzt das Gegenteil!”

    Fändest Du das gut? Ich nicht. Warum sollte ich also einen Doppelstandard anlegen?

    @Peter: Kannst Du mir ein paar belegte Beispiele für Deine Aussage liefern?

  7. #7 Jürgen Schönstein
    2. Oktober 2008

    @Ludmila:
    Die Frage, ob der Versuchsleitereffekt eine Rolle gespielt haben mag, hatte ich ja selbst schon aufgeworfen und sogar als Argument g e g e n den vermeintlichen Beleg einer tatsächlichen Relevanz von Akupressurpunkten angedeutet. Dieses Licht war mir auch gleich aufgegangen … Und dass die Studie auf einer dünnen Datenbasis steht, braucht noch nicht einmal extra erwähnt zu werden. Aber sie wurde a) von ausgewiesenen Wissenschaftlern und Experten auf dem analysierten Feld gemacht und b) von einem Peer-Review-Fachblatt zur Veröffentlichung angenommen. Beides Forderungen, die ja immer (zu Recht) gestellt werden, ehe man sich auf eine Diskussion der Erkenntnisse einlassen will. Wenn in der gleichen Versuchsanordnung, mit den gleichen Professoren und den gleichen Resultaten die Wirkung einer Aspirintablette (oder was auch immer, so lange es halt ein anerkanntes Medikament ist) untersucht worden wäre, würde jeder sagen: Interessant, muss man weiter verfolgen …

    Ich verstehe Deine Einwände gegen die Homöopathie zwar, teile aber diese extreme Sicht nicht: Nicht jeder, der Rumex Crispus, Hydrastes Canadiensis oder Brionica Alba – oder wie die Sachen auch heißen mögen – schluckt, um sich gegen Alltagswehwehchen wie Schnupfen, Schlaflosigkeit oder Wetterfühligkeit etc. zu wappnen, ist gleich ein Sektenanhänger und Krieger gegen die Medizin. Und wenn’s ihnen hilft, besser zu schlafen, dann können die Leute meinetwegen auch Pferdeäppel knabbern.

    Und die Sache mit den Placebos erklärt sich auch ganz leicht: Natürlich funktioniert das nur, wenn man eben n i c h t weiß, dass man ein Placebo schluckt. Das ist ja logisch. Gegenfrage: Wie viele handelsübliche Erkältungspräparate haben eine nachweisliche, nicht-placebische Wirkung, die über den Effekt von Kräutertees und Eukalyptusbonbons hinaus geht? Wie viel von ihrer Wirkungsweise beziehen sie jedoch daraus, dass man daran glaubt?

    Und zur letzten Gegenfrage: Die verstehe ich nicht – denn schließlich ist die Pharmaindustrie ja Teil des Homöobusiness. Ein Blick ins Apothekensortiment genügt. Und egal ob homöo- oder sonstwiepathisch: Präparate, die “over the counter” verkauft werden (und vermutlich auch alle verschreibungspflichtigen) werden primär auf ihre Sicherheit und Verträglichkeit (das ist wohl, was Du mit “keine Gegenwirkungen” meinst) getestet. Wer ein Mittel in den Markt bringen will, muss halt erst mal beweisen, dass er damit niemandem schadet (und auch wenn’s nicht direkt zum Thema gehört: da hat die Pharmaindustrie leider keine sooo tadellos weiße Weste. Contergan? Lipobay? Vioxx?). Ob sie wirken, ist selbst bei “medizisch erprobten” Arzneimitteln oft fraglich und alles andere als garantiert (siehe meine obigen Bemerkungen zum Hustensaft).

  8. #8 Ludmila
    2. Oktober 2008

    @Jürgen: Ich habe lediglich auf die Schwächen der Studie hingewiesen. Als erster Ansatzpunkt mag die Studie legitim sein, aber bei der dünnen Datenlage sind Jubelmeldungen ein bisschen arg verfrüht. Im Übrigen sollte man dann hier auch ehrlicherweise nicht die Studien verschweigen, die immer wieder keinen Effekt nachweisen können. Es ist ja nicht so, als ob Akkupunktur und Akkupressur das allererste Mal untersucht wurden. Wenn mal eine Studie positiv anschlägt, dann reißt mich das nicht wirklich vom Hocker.

    Ich wäre genauso kritisch gewesen, wenn es sich um Aspirin und Erkältungsmittel handelt. Ich bin sogar bei Erkältungsmiteln für Kinder sehr kritisch und würde den freien Verkauf eigentlich abschaffen. Denn der Nutzen steht im keinen verhältnis zu den Risiken, die für Kinder übrigens nicht hinreichend untersucht wurden.

    Ich hab letztens mit Erschrecken gelesen, dass Aspirin für unter 12jährige nicht genügend Daten hat. Stand auf dem Beipackzettel. Aber das ist auch irgendwo klar. Wer gibt sein Kind für eine Medikamentenstudie her? In den USA wurden daraufhin vor over-the-counter drugs für Kinder gewarnt.

    Meine Frage zu der Pharmaindustrie war eher an die Leute gerichtet, welche die böse Pharmaindustrie für unsäglich schlecht halten, aber so genannte alternative Heiler zu Heiligen erklären. Das geht einfach nicht. Ein Standard für alles.

    Das in der Standardmedizin ziemlich viel schief geht, weiß ich auch. Danke schön! Das rechtfertigt aber noch lange nicht die Standards an anderer Stelle zu lockern. Wenn überhaupt dann zeigt es, dass die Kontrollen noch zu lasch sind.

    Das mit dem Placebo ist natürlich ein wichtiger Punkt. Es wirkt nur, wenn man nicht weiß, dass es ein Placebo ist. D.h. man lässt sich dadurch täuschen. Bei chronischen Schmerzen oder für todkranke Menschen mag das durchaus seine Berechtigung haben, aber bei einer Erkältung? Warum muss man bei einer Erkältung überhaupt irgendetwas einwerfen. Warum ist die Antwort “da muss man einfach durch” unakzeptabel?

    Kalte Wickel, Kamillentee, eine warme Brühe und ein lieber Mensch, der einen pflegt, tut es auch. Oder sehe ich das falsch? Und wenn sich eine Erkältung zur Lungenentzündung auswächst, geht man sowieso zum richtigen Arzt.

    Na ja, wenn du unbedingt Globuli einwerfen willst, von mir aus.

    Klar, nicht jeder der Globuli schluckt, ist gleich gegen die Medizin. Nicht sofort, aber ich halte das für eine schleichende Erosion der Basis unserer Medizin, wenn wir ein Glaubenssystem – und das ist die Alternativmedizin nun mal – neben der wirksamen Medizin erlauben und anerkennen. Ich habe die Befürchtung, dass das langfristig mehr schadet als nützt, alleine schon weil die Alternative sich mit der Standardmedizin um die gleichen Geldtöpfe streiten und so weniger für die Standardmedizin übrigbleibt, als wenn sie sich das Geld nicht teilen müsste.

    Warum muss überhaupt die Allgemeinheit ein Glaubenssystem finanzieren? Machen wir es doch wie bei der katholischen Kirche! Wer daran glaubt, der kann gerne eine Extrasteuer bezahlen und es dadurch finanzieren.

  9. #9 florian
    2. Oktober 2008

    Also meiner Meinung nach hätte man die Studie wesentlich besser absichern können, hätte man noch eine Kontrollgruppe gehabt in der vor der Operation einfach mit den Kindern geredet hätte; sie berührt und beruhigt. Wenn das den gleichen Streßreduzierenden Effekt wie eine Akkupressur hat, dann ist klar woran wir sind. Denn gerade bei Akkupressur und -punktur ist es schwer eine doppelt verblindete Studie zu machen – der Akkupresseur weiß ja immer, was er gerade tut. Hier einen Versuchsleitereffekt auszuschließen ist sehr schwer (Das Problem beschreiben auch Singh und Ernst in ihrem Buch “Trick or Treatment” recht gut).

    Wenn ich aber jetzt mal ganz unwissenschaftlich argumentiere würde ich sagen dass an der Tatsache dass Zuwendung in Kombination mit Berührungen Streß reduzieren nicht wirklich etwas dramatisch Neues ist…

  10. #10 Jürgen Schönstein
    2. Oktober 2008

    @Florian: Im Prinzip sollte dies ja wohl mit dem “Placebo”-Akkupressurtest – also dem, wo der Druckpunkt an einer nicht als “wirksam” vermuteten Stelle angesetzt wurde – überprüft werden. Aber dann bleibt natürlich trotzdem noch das Versuchsleiter-Problem – aber auch das offenbart doch schon eine Erkenntnis (und die bestätigt ja sogar der Common Sense), die in der Diskussion nicht zu vernachlässigen ist: Man kann viel erreichen, wenn es eine Vertrauensbasis zwischen den Behandelnden und dem Behandelten gibt. Und da denken wir doch mal weiter: Vielleicht sind viele Medikamente, deren Wirkung angeblich auf ihrer chemischen Zusammensetzung beruht, eher dadurch so hilfreich, weil sowohl Arzt als auch Patient überzeugt sind, dass sie helfen müssen. Und damit würde ich auch auf einen von Ludmilas Einwänden antworten wollen: Wenn “da musst Du durch” dem Patienten nun mal nicht hilft (nicht jeder hat so eine robuste Selbstkontrolle), was gibt man ihm dann? Hühnersuppe ist prima, und Pfefferminztee wirkt bei mir hervorragend – aber bei manchen “wirken” halt am besten die Globuli (wusste gar nicht, dass diese Zuckerkügelchen so einen prätentiösen Namen haben).

  11. #11 florian
    2. Oktober 2008

    @Jürgen: “Vielleicht sind viele Medikamente, deren Wirkung angeblich auf ihrer chemischen Zusammensetzung beruht, eher dadurch so hilfreich, weil sowohl Arzt als auch Patient überzeugt sind, dass sie helfen müssen.”

    Also bei normalen Medikamenten muss ja glaub ich schon eine über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung nachgewiesen werden – soweit ich weiß jedenfalls. Da sollten solche Effekte dann keine Rolle spielen. Das Überzeugung und Zuwendung Patienten helfen können ist klar – und gerade bei der “Alternativmedizin” fühlen viele das sie mehr Zeit und Zuwendung bekommen als sonst. Aber das ist “nur” ein Argument gegen das aktuelle Gesundheitssystem – nicht aber gegen die Medikamente und für Homöopathie. Außerdem ergibt sich dann natürlich auch ein ethisches Problem: ein Arzt sollte ja wohl immer das Beste im Sinn haben und seinen Patienten gegenüber ehrlich sein. Zu sagen: “Homöopathie hilft vielleicht meinem Patient wirklich ein bisschen – ich tu einfach so als würde sie wirken und verschreib ihm das” ist zumindest für mich kein ethisches Verhalten.

  12. #12 Ludmila
    2. Oktober 2008

    @Jürgen: Vielleicht sind viele Medikamente, deren Wirkung angeblich auf ihrer chemischen Zusammensetzung beruht, eher dadurch so hilfreich, weil sowohl Arzt als auch Patient überzeugt sind, dass sie helfen müssen.

    Na ja, deswegen gibt es ja auch doppelt-verblindete Placebokontrollierte Studien, nicht wahr? Und dass es natürlich nicht schlecht für den Heilungsprozess ist, wenn der Patient dem Arzt vertraut und sich der Arzt Zeit nimmt, ist doch eigentlich logisch. Warum vergüten wir dem Arzt dann nicht, wenn er sich Zeit für einen Patienten nimmt?

  13. #13 Argent23
    3. Oktober 2008

    Hmm…mein Kommentar von heute morgen ist wohl im Nirvana verloren gegangen…

    Das problematische an Akupunktur und Akupressur ist doch gar nicht, ob sie wirken oder nicht. Wenn ich Nadeln in den Körper steche, dann kann das eine Reaktion des Körpers auslösen. Nerven, Wundungsreaktionen, etc. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass das auf mystische Energiebahnen im Körper zurückzuführen ist!

  14. #14 Jürgen Schönstein
    3. Oktober 2008

    @Florian und Ludmila:
    Bitte seht mir nach, wenn ich diese Diskussion eher als eine “sportliche” Herausforderung verstehe, denn ich selbst glaube nicht die Wirkungen der homöpathischen Präparate (drum hätten sie bei mir ja dann auch keinen Placebo-Effekt) – aber ich glaube auch nicht, dass man in der Medizin die Mittel von der Methode (also auch dem Gesundheitssystem an sich) trennen kann. Und ich sehe durchaus einen Sinn darin, der Medizin beständig den Beweis abzuverlangen, w a r u m sie besser ist als alternative Heilmethoden.

    Denn mit der Ehrlichkeit des Arztes ist es halt so eine Sache: Wenn er ein Placebo verschreibt (was er dem Patienten natürlich nicht verraten darf – sonst funktioniert es ja nicht), dann ist er unehrlich – aber was ist, wenn er pharmakologische Präparate einfach mal auf Verdacht verschreibt, in der Hoffnung, dass es was bringt, aber den Patienten nicht darüber aufklärt (weil er ja sonst zugeben müsste, dass er auch nur mit der Stange im Nebel stochert)? Wie steht es mit der Ehrlichkeit von Pharmakonzernen, die nachteilige Resultate ihrer Forschung unter den Tisch kehren, um Präparate schneller – und lukrativer – auf den Markt zu bringen?

    Natürlich sind das alles nicht die Normalfälle, aber genau so wenig ist der “betrogene” Konsument von Homöopathie, der eine tödliche Krankheit im Vertrauen auf Alternativmethoden ignoriert, ein Standardfall. Ob mehr Leute durch homöopathische Verblendung oder durch ärztliche Kunstfehler sterben, wäre sicher eine interessante Studie ..

    Aber in einem Punkt sind wir uns bestimmt einig: Die Diskussion sollte nicht um eine naturwissenschaftliche (eine bessere Übersetzung des englischen Wortes “Science” fällt mir leider nicht ein, obwohl Pharmazie und Medizin nicht zwingend etwas mit Natur zu tun haben) Fragestellung geführt werden. Es ist eine gesellschaftswissenschaftliche Frage, in der das Verhältnis Arzt/Patient sowie die Rolle des Patienten in einem größeren Gesundheitsapparat untrennbar mit den Heilerfolgen verbunden sind. Medizin ist nun mal
    a) keine exakte Wissenschaft, sondern eine, die vor allem Chancen und Risiken abwägen muss (und manchmal lediglich auf Intuition beruht) und
    b) Teil eines gesellschaftlichen Systems, in dem den Heilern eine besondere Macht zugeteilt wird, ganz so wie einst dem Stammes-Medizinmann. Und auf dieser Ebene muss sie sich zumindest gefallen lassen, dass man sie fragt, ob und warum sie besser sein sollte als die alternativen Heilmethoden. Die reine Wissenschaft ist dabei nur ein Teilaspekt. Und ja, der Umgang mit den Patienten – was man hier in den USA “Bedside Manners” nennt – sollte als Teil der ärztlichen Leistung anerkannt werden. Müsste aber dann auch als solcher gelehrt und praktiziert werden.

  15. #15 Ludmila
    3. Oktober 2008

    @Jürgen: Eigentlich stimmte ich Dir da voll und ganz zu. Dafür braucht es aber auch zum einen den kritischen mündigen Patienten, der auch bereit ist zu akzeptieren, dass der Arzt auch nur ein Mensch ist und viele Symptome so diffus sind, dass es schwierig ist, die richtige Diagnose zu finden.

    Es kann nicht sein, dass ehrliche Ärzte bestraft werden, weil der Patient sich sagt, “der hat keine Ahnung” und zu jemandem wechselt, der genauso wenig Ahnung hat, aber das überzeugend überspielen kann. Oder der auf komplexe Fragen “einfache” Antworten liefert. Außerdem müssen Patienten dann auch akzeptieren, dass sie mitarbeiten müssen. Bei Diabetes oder Bluthochdruck muss man dann auch die Lebensweise bzw. die Ernährung verändert werden. Ich kann mit meinem niedrigen Blutdruck auch keine Wunder erwarten, sondern mich auf’s Rad schwingen.

    Auf der anderen Seite muss man dann aber auch eine andere Ärztekultur fördern und fordern, die sich von ihrem hohen Ross herab begibt und Kritik zulässt und Schwächen zugibt. Ich denke, da tut sich was. Es ab da doch dieses Jahr dieses Outing von Ärzten zu ihren Kunstfehlern. Das ist der richtige Weg.

    Tja und um zur Homöopathie und co zurückzukommen. Ich bezweifle, dass die Alternativmethoden hier hilfreich sind, weil nicht der mündige sondern der gläubige Patient gefördert wird. Und es stärkt des Irrglauben an eine “Wunderpille”, die ohne Nachteile schon alles ins Lot bringt, ohne dass der Patient groß was dafür tun muss. Nach dem Motto: “Der normale Arzt ist ein Idiot, wenn der mir keine Pille verschreibt, sondern rät mehr Sport zu treiben. Dann geh ich halt zum Homöopathen, der liefert mir dann die gewünschten Kügelchen und den Sport kann ich mir sparen.”

  16. #16 Jürgen Schönstein
    3. Oktober 2008

    “Dann geh ich halt zum Homöopathen, der liefert mir dann die gewünschten Kügelchen und den Sport kann ich mir sparen.”
    Oder greife zum Präparat, das der Pharmakonzern GlaxoSmithKline exakt für diesen Kunden enwtickelt hat, siehe hier: https://www.myalli.com/ Oder gehe zum Schönheitschirurgen, der für teures Geld mir das Fett absaugt, anstatt mich zu zwingen, meinen A… aufs Fahrrad zu heben. Wenn jemand nach “Wunderpillen” und schnellen (und selbstverständlich lukrativen) Lösungen komplexer Probleme forscht, dann vor allem die “Big Players” im pharmakologisch-medizinischen Komplex. Würde ich mal ganz ungestützt behaupten …

  17. #17 Peter Artmann
    4. Oktober 2008

    Naja, gerade der Homoöpath und auch der Heilpraktiker trauen sich eher auf die Notwendigkeit von Sport hinzuweisen.

    Schließlich dürfen die beiden (sofern der Homöopath kein Arzt ist) keine dieser echten Wunderpillen empfehlen, die die Global Players entwickelt haben und deshalb wissen sie auch über die begrenzte “Potenz” ihrer Mittel.

    Eine Sache wie “Blutdrucksenken ohne Bewegung” können nur die Global Players versprechen.

    Und ich finde es lustig, dass Du, wenn du nur deren Sachen empfehlen würdest, keine Diskussion über Methoden oder den vermeintlichen Einfluss des Studienleiters an der Backe hättest.

    Seltsam, oder?

    Dir Alles Gute
    Peter

  18. #18 Ludmila
    4. Oktober 2008

    @Peter: Ach wirklich?
    Hmm, was ist denn mit diesem Beitrag: https://www.scienceblogs.de/planeten/2008/02/ich-will-doch-nur-joghurt.php

    Functional Food ist Beschiss.
    Oder hier:
    https://www.scienceblogs.de/planeten/2008/03/doofe-aspirinwerbung.php

    Aspirin als Lifestyle-Produkt. Pille gegen Warnsignale des Körpers. So ein Quatsch. Und potentiell gefährlich.

    Ich finde es seltsam, dass man die Auswüchse der Global Player irgendwie als Rechtfertigung für Beschiss auf einem anderen Sektor ansehen kann. Was ist denn das für eine Logik? Ach die bescheißen auch, dann kann man sich gegen Beschiss woanders nicht wenden? Verstehe ich nicht wirklich.

    Ich stehe jedenfalls auf dem Standpunkt: Beschiss ist Beschiss ist Beschiss, egal aus welcher Ecke er kommt. Und ich sage das auch.

    Komischerweise regt sich über die Global Player jeder gleich auf, da sind sich alle einig, also braucht man darüber auch nicht groß diskutieren. Aber sobald das Wort “alternativ” aufkommt, wird es irgendwie sehr schnell irrational. Da muss man sich auf einmal dafür rechtfertigen, dass man es wagt, objektiv kritische Worte zu äußern.

    Auch das verstehe ich nicht wirklich.

  19. #19 Jürgen Schönstein
    5. Oktober 2008

    “Und ich finde es lustig, dass Du, wenn du nur deren Sachen empfehlen würdest, keine Diskussion über Methoden oder den vermeintlichen Einfluss des Studienleiters an der Backe hättest.”

    Das wär’ ja langweilig. Aber damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich empfehle hier nichts. Mir geht es nur darum, dass man diskutiert. Und ich finde halt, dass eine Diskussion über die alternativen Heilmethoden immer auch eine Diskussion um die klassischen Heilberufe sein muss. Denn allein schon semantisch kann eine “Alternative” nie für sich stehen, sondern braucht immer den Gegenpol. So wie ich es sehe, ist die Nachfrage nach solchen Alternativen ein Indikator dafür, dass bei der “akademischen’ Medizin (die das Rückgrat eines Gesundheitswesens ist, das ja auch von den Akteuren dieser Medizin/Pharmazie maßgeblich mit gestaltet wurde) viele Fragen unbeantwortet bzw. Probleme ungelöst sind.

  20. #20 Ludmila
    5. Oktober 2008

    @Jürgen: st die Nachfrage nach solchen Alternativen ein Indikator dafür, dass bei der “akademischen’ Medizin (die das Rückgrat eines Gesundheitswesens ist, das ja auch von den Akteuren dieser Medizin/Pharmazie maßgeblich mit gestaltet wurde) viele Fragen unbeantwortet bzw. Probleme ungelöst sind.

    Hmm, könnte es auch ein Indiz dafür sein, dass manche Leute mit der Komplexität des Lebens und der Eigenverantwortung überlastet sind und dann auf alles mögliche reinfallen: Unnötige Vitaminpräparate, functional food und eben Zuckerkügelchen.

    Die Medizin kann nicht alle Fragen beantworten oder 100% sichere Verfahren versprechen. Es ist immer ein Abwägen, wie Du selbst sagtest. Deswegen misstraue ich fundamental jedem, der von sich behauptet: “Ich hab die Lösung für alles und es schadet noch nicht einmal.” Das muss der mir erst einmal belegen.

  21. #21 Jürgen Schönstein
    6. Oktober 2008

    @Ludmila
    Lass’ es mich mal anders herum aufdröseln: Offenbar hatten selbst zwei wisenschaftlich forschende, hochrangige Medizinprofessoren das Bedürfinis, eine Alternative zu den Beruhigungsmitteln zu suchen, die Kindern vor Operationen gegeben werden (dazu gleich mehr). Und offenbar hielten es diese respektablen Forscher – ich kenne keinen der beiden, aber UC Irvine und Yale sind ja nun wirklich keine zweitrangigen Institutionen – keineswegs für unvereinbar mit ihrem akademischen Status, die Wirksamkeit einer “alternativen Heilmethode” (i.d. Falle Akupressur) ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Und stoßen auf ein positives Resultat. Heißt das nun, dass alles Aku- (Pressur, Punktur, was-auch-imm-ur) damit rehabilitiert ist? Natürlich nicht. Aber es lässt vielleicht das Verhalten des “alternativen” Heilsuchenden nicht ganz so irrational erscheinen, wie wir hier gerne voraussetzen. Oder sind Deiner Ansicht nach die Doktoren Kain und Wang auch von der “Komplexität des Lebens und der Eigenverantwortung” überlastet und dann auf alles mögliche reingefallen”?

    Zurück zur Frage, warum sie überhaupt nach Alternativen suchen mussten: Wie Du selbst schon bei Aspirin gemerkt hast, gibt es für praktisch kein Medikament ordnungsgemäße Tests bezüglich Verträglichkeit und Wirkung bei Kindern; Dosierungen werden meist proportional zum Körpergewicht “ermittelt” (was nun wirklich abstrus ist – schließlich sind die meisten handelsüblichen Medikamente für Erwachsene auch nicht nach Körpergewicht und/oder -Masse abgestuft, denn sonst müsste ja ein 100-Kilo-Mann deutlich höhere Dosen nehmen als eine 50-Kilo-Frau, oder?) – kurz: die Maßstäbe wissenschaftlicher Vertretbarkeit sind hier auch gewiss nicht gegeben.

    Ich will wirklich nicht den Anwalt der Homöopathie spielen müssen, aber die Aussage “Ich hab die Lösung für alles und es schadet noch nicht einmal” habe ich bei einer – zugegeben eher oberflächlichen – schnellen Recherche zu diesem Thema so nicht gefunden. Im Prinzip versprechen sie alle DAS GLEICHE wie die Medizin (also keine Garantien), nur halt mit anderen Mitteln. Nicht mal die Sache mit “schadet noch nicht einmal” stimmt: Offenbar warnen die Homöopathen durchaus gern und oft vor “Überdosierungen” ihrer “stärksten Potenzierungen” (was natürlich absoluter Quatsch ist, denn wenn man außer ein paar Milligramm Milchzucker nichts zu sich nimmt, kann man auch nichts “überdosieren”). Nimm mir diese Frage jetzt nicht übel, und sie ist mir eigentlich auch fast ein wenig zu persönlich, aber sie lässt sich an dieser Stelle leider nicht vermeiden: Wie viel von dem, was Du über die Anwender (Konsumenten ebenso wie praktizierende “Heiler”) anführst, beruht auf Recherchen? Und damit meine ich nicht die “Wirkungstheorien”, denn dass solche Dinge wie “Gedächtnis des Wassers” (das wohl auch auf Zucker übertragen werden muss) und “Potenzierungen” weit über die Gegenstandslosigkeit hinaus wissenschaftlich nicht haltbar sind, weiß selbst noch jemand, der im Chemieunterricht ein paar Stunden zu viel geschwänzt hat.

  22. #22 Ludmila
    6. Oktober 2008

    @Jürgen: Ich werfe hier eine skeptische Sichtweise auf und warne davor angesichts dieser Studie, jetzt in Jubelgeschrei auszubrechen, dass “Akkupressur” hilft. Dafür ist es viel zu früh. Stattdessen müssen folgende Fragen geklärt werden: Ist das Ergebnis reproduzierbar? Einmal ist keinmal. Und wenn ja, was es genau ist. Der zusätzliche Zuspruch, die bloße Berührung, muss es Druck sein? Ist es egal, wo er angesetzt wird oder nicht?

    Und was bedeutet es, dass zwei renommierte Forscher Akkupressur überhaupt untersuchen? Es bedeutet, dass die medizinische Wissenschaft alles andere als dogmatisch ist, was immer wieder behauptet wird. Dass die positiven Ergebnisse allerdings recht schwach sind und auf einer dünnen Datenlage beruhen und wiederholt werden müssen, weißt Du auch.

    Wieso soll ich mich bitte für objektiv nachvollziehbare Kritik und Fragen rechtfertigen?

    Ich verfahre gemäß dem Motto: “Außergewöhnliche Behauptungen->außergewöhnliche Beweise” und “die Gesundheit des Menschen ist zu kostbar, um da einfach dran rumzuspielen und jeden ranzulassen.”

    Und das, was Du mir da als unrecherchierte Vorwürfe anlastet, wird auf jeder verdammten Homöopathie-Debatte auf den Scienceblogs selbst von den sehr “engagierten” Anhängern und Verteidigern der Homöopathie angebracht. Nämlich: “Es hilft und hat keine Nebenwirkungen.”

    Mal ehrlich: Würdest Du mir diese Frage nach meiner Recherchegrundlage stellen, wenn es um die Big Player ginge? Um Aspirin? Um Erkältungssaft. Ich werfe lediglich einige Fragen und Bedenken auf und schon muss ich mich dafür rechtfertigen, dass ich überhaupt Fragen und Bedenken äußere und mich frage, was genau die Motivation dahinter ist – auch seitens der Patienten? Ich hab gefragt, ob bestimmte Aspekte der menschlichen Erwartungshaltung auch eine Rolle spielen.

    Dieser Irrglaube, dass etwas 100% sicher sein muss oder gar kann, ist mir sogar ständig bei der LHC-Debatte untergekommen. In so ziemlich allen Medien und in den Kommentaren und in Gesprächen. Gerade läuft eine Kampagne in den USA mit dem Ziel “green our vaccine”, um Impfstoffe von “Giftstoffen” zu befreien, die da teilweise überhaupt nicht drin sind oder vor Ewigkeiten mal drin waren bzw. zu fordern, dass die Impfstoffe absolut sicher sind? Und von Leute, die lieber nicht impfen und damit objektiv nachweisbare schwere Erkrankungen samt Spätfolgen akzeptieren, um einer nebulöse “könnte doch irgendwie schaden, kann keiner ausschließen”-Gefahr aus dem Weg zu gehen, hast auch Du sicherlich gehört. Ich sag nur Masernepidemie, dieses Frühjahr, Baden-Würtemberg und Österreich.

    Willst Du jetzt behaupten, dass diese Erwartungshaltung im medizinischen Bereich nie vorkommt? Are you kidding?

    Ich richte meine Kritik gegen eine naturwissenschaftlich – wie Du selbst zugibst – unhaltbaren Methode richtet, die allem widerspricht, was ich selbst überprüft und gelernt habe. Das ist meine Grundlage, meine Ausbildung. Muss ich mich dafür rechtfertigen?

    Ja, ich lese auf dem Bereich durchaus jährlich einige Studien zur Nichtwirksamkeit von Homöopathie, Akkupunktur und Akkupressur. Es ist ja nicht so, als sei die Studie da oben die erste auf dem Gebiet: Umfangreichere Recherchen haben übrigens andere durchgeführt. Siehe z.B. das vielzitierte “trick or treatment” von Simon Singh und Edzar Ernst oder der Wissenschafts-/Medizinjournalist Ben Goldacre, der unter “Bad Science” bloggt. Frag dann auch bitte mal drüber bei der GWUP nach usw. usf.

    Ja, darauf berufe ich mich.

    *Ironie*
    Entschuldige übrigens meine Impertinenz, Fragen und Bedenken zu äußern.*Ironie aus*

    Interessant in dem Zusammenhang sind z.B. auch Artikel wie folgende: Positive thinking: An unfair burden for cancer patients? Volume 3, Number 1 / Januar 1995 in “Supportive Care in Cancer”, Springer Berlin / Heidelberg

    Auch so etwas muss eben diskutiert werden, wenn wir schon ganzheitlich denken wollen.

  23. #23 Jürgen Schönstein
    6. Oktober 2008

    @Ludmila
    Halthalthalt … Ich werfe Dir nichts vor. Ich wollte nur sicher gehen, dass Deine Beschreibung der Homöopathie-Anwender und -Anbieter auf recherchierten Informationen beruhen. Ich meine damit Aussagen wie “sektenähnliche Struktur … mit dem erklärten Ziel rationales Denken ins Lächerliche zu ziehen”, “eine “Wunderpille”, die ohne Nachteile schon alles ins Lot bringt”, “mit der Komplexität des Lebens und der Eigenverantwortung überlastet sind und dann auf alles mögliche reinfallen”, “Ich hab die Lösung für alles und es schadet noch nicht einmal” – denn das klingt eher nach Meinung als nach faktischen Aussagen. Natürlich hast Du ein Recht auf Deine Meinung, und eine meinungsfreie Diskussion wäre etwa so spannend wie ein Krimi ohne Delikt. Aber man muss auch die sprichwörtliche “Kirche im Dorf” lassen. Denn nicht jeder (und vielleicht noch nicht mal die Mehrheit) der Alternativ-Akteure ist ein sektenabhängiger Spinner, der zu simpel gestrickt ist, um Zusammenhänge zu verstehen undundund … Wie passt das damit zusammen, dass ausgerechnet Ärzte und Apotheker wesentliche Provider dieser Mittelchen sind, zum Beispiel? Ich weiß, dass wir uns in dieser Diskussion im Kreis drehen, aber am Ende ist doch die Frage, ob man das Bedürfnis nach Alternativen – das nicht zuletzt eine Folge des Gesundheitswesens und der dadurch geweckten Ängste ist – einfach aus der Gleichung entfernen kann. Das hat ja nichts mit der wissenschaftlichen Rechtfertigung alternativer Heilmethoden zu tun, aber mit der gesellschaftswissenschaftlichen Relevanz derselben. Und an diesem Punkt kommen wir auf keinen gemeinsamen Nenner, fürchte ich – obwohll wiir beide Im Kern das gleiche meinen.

  24. #24 Ludmila
    6. Oktober 2008

    @Jürgen: Das hat ja nichts mit der wissenschaftlichen Rechtfertigung alternativer Heilmethoden zu tun, aber mit der gesellschaftswissenschaftlichen Relevanz derselben. Und an diesem Punkt kommen wir auf keinen gemeinsamen Nenner, fürchte ich – obwohl wir beide Im Kern das gleiche meinen.

    Dann ist das halt so. Ist auch vollkommen in Ordnung. Verschiedene Standpunkte aus verschiedenen Sichtweisen, die eben auch ab und unvereinbar sind.

  25. #25 florian
    8. Oktober 2008

    Die Kollegen von Respectful Insolence haben sich auch mit dieser Studie beschäftigt und sind zu keiner guten Einschätzung gekommen…

  26. #26 Jürgen Schönstein
    8. Oktober 2008

    @florian:
    Ich habe mir den Blogeintrag bei “Respectful Insolence” durchgelesen, und natürlich kann man Löcher in die Studie schießen. Kann man aber in jede, denn wie schon Ludmila weiter oben – wenn auch aus genau der gegenteiligen Perspektive als meiner – meinte: 100%-ige Sicherheit gibt es nicht. Das Wesen der Wissenschaft ist ja, dass nie etwas als endgültig “bewiesen” angesehen wird, sondern so lange als bewiesen akzeptiert wird, wie es den Falsifizierungsversuchen standhalten kann. Und natürlich kann man weitere Forderungen an solche Studien stellen – aber dann müsste man auch bereit sein, dass dafür Geld ausgegeben wird. Mal im Ernst: Wie wäre wohl die Reaktion, wenn Universitäten wie Yale und UCIrvine größere Beträge für eine breiter angelegte Akupressur-Studie ausgeben würden? Ich glaube, Beifall von der “guten” Seite wäre nicht zu erwarten.

    Und obwohl ich es eigentlich gar nicht will, sehe ich mich doch wieder in die Rolle des Alternativmedizin-Verteidigers gerückt. Denn wenn schon, dann darf man – auch hier zitiere ich wieder Ludmila – nicht mit zweierlei Maß messen: Wenn “Respectful Insolence” zum Beispiel bemängelt, dass diese Studie aus der Tatsache, dass ein Effekt in der Größenordnung von 10 Prozent bei Erwachsen als signifikant angesehen wird (was RI nicht anficht), ein gleiches “Erfolgsniveau” bei Kindenr ansetzt, dann müssten sie auch anerkennen, dass bei den Beruhigungsmitteln, die ansonsten gegeben werden, genau solche geistigen Transfers gemacht werden (es gibt, wie Ludmila ebenfalls schon ausführte, praktisch keine Studien für die Medikamentenwirkungen bei Kindern – immer nur Ableitungen aus den Erwachsenen-Studien). Dass diese Sedierung vor der Narkose (im Englischen könnte man dies einen “Double Whammy” nennen) der Weisheit letzter Schluss sein soll, wollte offenbar noch nicht einmal der Anästhesieprofessor Zeev Kain akzepteren, der sich damit doch sein tägliches Brot verdient …

    Und die Kritikpunkte (alles noch in Respectful Insolence – wer mehr wissen will, muss also Florians Link verfolgen), dass die Studie a) nicht erklärt, WARUM sie überhaupt ausgerechnet den Extra-1-Punkt studiert hat und b) dass sie keine Erklärung für den Mechanismus, der die Resultate erklären könnte, anzubieten hat, sind auch nicht gerade sehr objektiv. Denn wenn nur noch Studien veröffentlicht und diskutiert werden dürften, die einen akzeptablen Entdeckungszusammenhang – der mit “Beobachtungen”, “Vermutungen” oder “Tradition” natürlich nicht hinreichend belegt wäre – und eine detaillierte Erklärung enthalten, warum und mit welchen (biochemischen) Mechanismen die beobachteten Wirkungen zu erklären sind, müssten viele Fachzeitschriften regelmäßig leere Seiten veröffentlichen.

    Im Kern des Themas (und meines Posts, siehe oben) geht es doch darum: Zwei medizinische Fachleute untersuchen auf ihrem Gebiet eine Alternative zu einem Drogeneinsatz bei Kindern, stoßen dabei auf Resultate, die nach den akzptierten Regeln der Kunst signifikant genug sind, um eine Veröffentlichung in einem Peer-Review-Magazin zu rechtfertigen, und diese Resultate werden dann auch veröffentlicht. Gerade WEIL sie sich nicht anmaßen, eine Erklärung zu bieten, sollte dies der Beginn einer weiterführenden Fragestellung sein, und nicht gleich mit einem “das ist doch eh’ alles Quatsch” abgewürgt werden. Natürlich ist vieles, was die alternativen “Heiler” machen würden, echter Quatsch – aber manches von dem, was sie tun (und das muss keineswegs das Mittelchen sein, das sie zusammenbrauen), könnte auch im medizinischen Gesundheitswesen nützlich sein. Ja, natürlich kann es sein, dass nicht der Akupressurpunkt oder was sonst die Ursache für das Resultat ist, sondern die besondere Interaktion zwischen Arzt und Patient – aber warum stößt diese Einsicht auf so massiven Widerstand? Wir wissen, dass Placebos in manchen Fällen die gleichen Effekte haben wie die entsprechenden pharmakologischen Produkte – warum ist der Arzt dann ein Lügner, wenn er eine wirkstoffreie, aber eben genau so wirksame Substanz verschreibt, anstatt dem Patienten eine chemische Substanz zu verpassen, die am Ende auch nichts anders erreichen kann? Als ob Medizin nur dann gut und richtig sei, wenn sie ihren Patienten möglichst viele Medikamente einschiebt.

  27. #27 Jürgen Schönstein
    8. Oktober 2008

    @Ludmila
    Ich wollte mit meinem letzten Kommentar an Dich nicht die Debatte abwürgen, falls dieser Eindruck entstanden ist. Aber ich hatte das Gefühl, dass wir in gewisser Weise um des Kaisers Bart streiten, weil wir uns ja um einen Grundsatz eh’ schon einig sind: Aus physiologisch-wissenschaftlicher Sicht sind diese “alternativen Heilmethoden” (die ich auch weiterhin bewusst gerne in Anführungszeichen setzen werde) ohne jegliche Substanz. Doch ich finde, dass die Debatte hier nicht aufhört, sondern erst beginnt – aber das ist keine naturwissenschaftliche Frage mehr, sondern eine gesellschaftliche, wie ich schon geschrieben hatte. Und da spielen Fakten eine ganz andere (und leider oft untergeordnete) Rolle. So wie bei der Eintscheidung, wem man seine Stimme gibt, nicht immer der “bessere” (ehrlichere, kompetentere, verlässlichere etc.) Kandidat gewinnt, wird auch im einem sozialen Entscheidungsprozess darübe, wem man seine Heilung anvertraut, nicht nur danach gefragt, welches Mittel am besten wirkt. Sonst ließe sich ja die Medizin auf das schlichte Verabreichen von Medikamenten reduzieren. Und wie in der Politik muss man sich halt fragen, ob man nicht zu sehr auf die (Überzeugungs-)Kraft eines Arguments gesetzt hat, das einem selbst viel wichtiger und prominenter erschien als vielen anderen.

    Bleiben wir mal bei dem Politik-Beispiel, für das uns ja nicht zuletzt die Wahlen in Österreich und Bayern einen aktuellen Anlass geben: Junge Leute lassen sich offenbar zunehmend von Rechtsaußenparteien (und nicht wenige sogar von Neonazis) verführen. Wenn man dem begegnen will, kann man nicht nur ein Verbot dieser Parteien fordern oder auf die Vernunft und Einsicht der “Verführten” abstellen (und alle anderen Schulter zuckend abschreiben). Man muss sich halt auch mit der Frage befassen, was sie in die Arme dieser Verführer treibt. Womit ich absolut nicht sagen will, dass die großen Parteien den Ultrarechten dann auf diesen Gebieten nacheifern sollten (im Marketing spräche man in so einem Fall von einem “me-too-Produkt”)- aber sie sollten sich selbst mal darauf abklopfen, welche Bedürfnisse dieser Menschen sie in ihrem Handeln unbefriedigt lassen. Im politischen Prozess würde mir hier vor allem die Bereitschaft einfallen, junge Menschen am Parteigeschehen partizipieren und nicht nur alte Säcke die Pöstchen unter sich verteilen zu lassen.

  28. #28 Ludmila
    8. Oktober 2008

    @Jürgen: Kann man aber in jede, denn wie schon Ludmila weiter oben – wenn auch aus genau der gegenteiligen Perspektive als meiner – meinte: 100%-ige Sicherheit gibt es nicht.

    Dir ist aber schon klar, dass es da Qualitätsunterschiede gibt, oder? Das es richtig gute Studien gibt, die zumindest versuchen alle Punkte zu berücksichtigen und richtig schlechte. Und das eine Peer review als Qualitätsfilter schon mal ganz gut ist, dass aber noch lange kein Grund ist, sein Gehirn abzuschalten. Leider Gottes geht oft genug auch Mist durch.

    Und wenn Du den Blogeintrag von Respectful Insolence durchgelesen hast, dann sollte Dir auffallen, dass zwei unterschiedliche Leute mit ganz unterschiedlichem Background unabhängig voneinander beide ähnliche Punkte bemängeln. Das sollte Dir zu denken geben. Es gibt objektiv keinen Grund die methodischen Mängel dieser Studie zu verteidigen.

    Und ich würde eine Studie mit der Methodik auch bemängeln, wenn es um Vitamin C und um Hustensaft ginge.

    Was ist an dem Qualitätsstandard der doppeltverblindeten Placebokontrollierten Studie als oberster Masstab mit ausreichend Teilnehmern und statistisch signifikanten Ergebnissen unverständlich?

  29. #29 Jürgen Schönstein
    8. Oktober 2008

    @Ludmila:
    “Was ist an dem Qualitätsstandard der doppeltverblindeten Placebokontrollierten Studie als oberster Masstab mit ausreichend Teilnehmern und statistisch signifikanten Ergebnissen unverständlich?”
    Nichts. Im Gegenteil, er ist das Ziel, das Ideal. Aber ein Ideal, das halt nicht alle Studien erreichen können. Das gilt übrigens, so weit ich das verfolgen kann, auch für medizinische Studien. Um Dich zu zitieren: Ist halt so. Aber solche Studien sind dennoch dafür gut, eine Idee zu bekommen, ob sich das weiter forschen in diese Richtung lohnt, nicht wahr? Und mehr würde ich der obigen auch gar nicht zugestehen wollen. Aber auch nicht weniger.

  30. #30 Ludmila
    9. Oktober 2008

    @Jürgen: Aber solche Studien sind dennoch dafür gut, eine Idee zu bekommen, ob sich das weiter forschen in diese Richtung lohnt, nicht wahr?

    Aber doch nur dann, wenn es die allererste Studie auf dem Gebiet wäre und es eine gänzlich neue Idee wäre, die man ausprobiert.

    Das trifft aber beides nicht zu.

    Medizinische Studien zu dem Thema gibt es seit Jahren wenn nicht sogar Jahrzehnten.

    Ich bin sicher: Wenn Akkupressur etwas wäre, das von der etablierten vorgeschlagen würde, dann würde es schon längst auf dem Friedhof der ausgemusterten Ideen liegen, weil Folgestudien immer und immer wieder belegen, dass da nichts ist außer dem Placeboeffekt. Wie oft bitte soll man immer und immer das Gleiche untersuchen, nur weil Leute fest daran glauben “da muss was dran sein”? Wann ist es genug? Wenn keiner mehr dran glaubt? Da können wir lange warten. Nach 100 Studien, 1000, 10 000?

    Und jetzt kommt ein anderes Problem hinzu: Dass der mangelnden Ressourcen. Es gibt in der medizinischen Forschung wie überall nicht genügend Geld für alles. Wenn man also Geld für eine Studie aufwendet, für etwas, dass immer und immer wieder aus rein ideologischen Gründen auf’s Parkett gebracht wird, obwohl es mehrfach widerlegt wurde und es rein logisch allen Gesetzen der Chemie und Physik widerspricht, dann fehlt das Geld für Studien an neuen Medikamenten, die das Potential haben, Leben zu retten.

    Meiner Meinung nach wird hier Geld für Müll ausgegeben, das man woanders besser gebrauchen könnte.

  31. #31 Jürgen Schönstein
    9. Oktober 2008

    @Ludmila
    “… dass da nichts ist außer dem Placeboeffekt.”
    Wenn aber der Placeboeffekt nicht Null ist, sondern gleich (oder auch nur annähernd gleich) dem Effekt des pharmakologischen Produkts, dann ist er eben nicht NICHTS, sondern etwa so signifikant wie die Tabletten-Alternative. Ich kann mich zwar täuschen, aber im Laufe der Jahrzehnte, die ich als Journalist arbeite, habe ich über genug Studien berichtet, die diesen Placebo-Effekt sehr wohl als signifikant größer als Null belegen konnten. Warum sollte er dann in der Praxis als wertlos angesehen werden?

  32. #32 Ludmila
    9. Oktober 2008

    @Jürgen: Wenn aber der Placeboeffekt nicht Null ist, sondern gleich (oder auch nur annähernd gleich) dem Effekt des pharmakologischen Produkts,

    Ich nennen Dir jetzt zwei Gegenbeispiele pharmakologischer Produkte, die keine Placebos sind: Antibiotika und Insulin.

    Pharmakologische Produkte sind nicht geschlossen alles Placeboprodukte. Soll das jetzt der Versuch sein, die Erfolge der Medizin schlechtzureden? Du kannst doch nicht eine Untermenge nehmen und das dann als Argument für alle pharmakologischen Produkte verwenden. Nicht nur meiner Meinung nach sollten Placebos nicht unter die Liste der wirksamen Medikamente fallen. Egal, wo die herkommen.

    Ich verstehe Deine Argumentation nicht: Wenn es irgendwo hackt, dann kann doch nicht die Lösung darin bestehen, die Standards noch weiter zu senken! Was willst Du damit erreichen? Dass wissenschaftliches Fehlverhalten zur Regel erklärt wird?

    Und noch etwas Jürgen: Mach Dir bitte bewusst, dass der Placeboeffekt seine Grenzen hat. Und genau über diese Grenzen hinaus ist eben die Medizin zuständig.

  33. #33 Ludmila
    9. Oktober 2008

    Ich kann mich zwar täuschen, aber im Laufe der Jahrzehnte, die ich als Journalist arbeite, habe ich über genug Studien berichtet, die diesen Placebo-Effekt sehr wohl als signifikant größer als Null belegen konnten.

    Habe ich das bestritten? Und nebenbei ist das das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung. Interessant, dass medizinische Forschung verwendet wird, um medizinische Forschung zu relativieren. Da beißt sich doch die Katze selbst in den Schwanz.

    Zudem verstehe ich, warum dann Leute mit dem Buzzword “Placeboeffekt” alles mögliche was Wunders was erwarten. Der Placeboeffekt hat seine Grenzen und kann sogar kontraproduktiv sein. Beispielsweise wenn man sich die Symptome einer ernstzunehmenden Erkrankung – z.B. ein operativ zu behandelndes Rückenleiden wegwünscht. Ich weiß, dass kriegt man auch mit Schmerzmitteln hin. Ist beides nicht toll. Das sind beides die Seiten derselben Medaille. Behandlung von Symptomen. Muss nicht sein.

    Und wer sagt denn, dass Placebos nicht in der ärztlichen Praxis zur Anwendung kommt?
    Der Arztbesuch ist bereits ein Ritual und der weiße Kittel und die dicken Bücher im Schrank flössen Vertrauen ein. Placebo. Wenn sich der Arzt Zeit nimmt und zuhört. Umso besser. Placebo.

    Was willst Du denn noch?

    Dass ein Arzt dem Patienten etwas vorlügt und ihm Dinge gibt, von dem er weiß, dass sie nicht helfen können? Willst Du Ärzte mit einem blinden Fleck in Sachen Kritikfähigkeit und Vernunft oder die so schlecht ausgebildet sind, dass sie nicht wissen, dass bestimmte Präparate rein chemisch nicht wirken können?

    Soll das wirklich das Nonplusultra der medizinischen Versorgung sein nur auf den Placeboeffekt zu bauen?

  34. #34 Jürgen Schönstein
    9. Oktober 2008

    @Ludmila:
    Da sind wir uns ja einig. Denn natürlich sind nicht alle Pharma-Produkte durch Placebos ersetzbar. Aber umgekehrt ist es auch nicht so, dass keine Pharma-Produkte durch Placebos ersetzbar sind. Und natürlich hat dieser Effekt seine Grenzen – wie auch die Wirksamkeit von Pharmaka ihre Grenzen hat. Es ist doch nicht einfach eine Frage von Schwarz und Weiß – die Realität besteht vor allem aus Abstufungen von Grau. Und dem einen zuzustimmen heißt doch nicht gleich, das andere zu verdammen. Erstaunlicher Weise scheinen sich von Ärzten über Apotheker und Pharmakonzerne hinweg alle, die hier eigentlich angegriffen/verteidigt werden sollen, in diesem Entscheidungsspielraum sehr gut zurecht zu finden, können das eine tun, ohne das andere zu lassen. Nur wir Scienceblogger müssen ärztlicher sein als der Arzt und dürfen nicht anerkennen, dass es manchmal Probleme gibt, gegen die es zwar Pillen gäbe, die man aber auch ohne ganz gut behandeln kann. Wenn jemand unter Stress leidet, gebe ich ihm Valium, oder helfe ich ihm besser damit, sein Stressniveau zu senken (oder wenigstens, besser damit umzugehen)? Ist Schlaflosigkeit nur mit Xanax oder Stilnox zu behandeln – oder gibt es sanftere Methoden? Gute Ärzte wissen wohl sehr genau, dass der Griff zum Rezeptblock nicht immer die beste Lösung ist (gibt’s unter unseren Lesern Ärzte, die sich hierzu äußern wollen?) Und manchmal tut’s eben ein Placebo. Das heißt ja nicht, dass es immer so ist. Genau das ist Medizin: Entscheiden, was für den Patienten am besten ist (nochmal: der Arzt ist dem Patienten gegenüber verantwortlich, nicht der Forschung oder der Wissenschaft). Alles andere könnte sonst auch ein Verschreibungsautomat (“Kreuzen Sie bitte alle relevanten Symptome an und drücken dann die Eingabetaste”) erledigen.

  35. #35 Sil
    9. Oktober 2008

    Mir gehen die Legitimationsversuche für Quacksalberei durch Cargo-Cult-Forschung gehörig auf die Ketten.

    Diese Mini-Studie ist Cargo-Cult-Forschung. Mit so kleinen Kollektiven braucht man nur drei Anläufe, bis irgendwann einmal ein scheinbarer Effekt auftritt.

    Es ist doch völlig unplausibel, wieso so ein kleines Pflaster auf der Stirn irgendwie angstlösend sein soll. Es gibt keine physiologische Entsprechung für diese Akupunkturpunkte. Die haben die alten Chinesen einfach von außen auf den Körper gemalt.

    Der scheinbare Effekt ist doch gar nicht da. Was soll denn 11% weniger Angst sein?
    Das ist wie: “70% der Anwenderinnen berichten von einer spürbaren Faltenverringerung”.

    Die Menge des nötigen Narkosemittels war in beiden Gruppen gleich.
    Das die Zuwendung des Arztes (Akupunkturanwender) in beiden Gruppen gleich war, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Er wollte ja eine Wirkung seiner Methode nachweisen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Diskussion der Ergebnisse einfach lächerlich. Hier kann man nicht von einem Effekt sprechen. Hier wurde der Einfluss der Zuwendung getestet, nicht die Wirksamkeit der Akupressur.

    Das Ganze dient doch nur Marketingzwecken und soll der Quacksalberei einen wissenschaftlichen Anstrich geben.
    Alternativmedizin ist auch in Amerika ein riesiger Markt.
    Dieser Blogeintrag ist z.B. sehr interessant:
    https://www.sciencebasedmedicine.org/?p=238
    So machen sich die Kinder des Wassermannzeitalters in der Medizin breit.

    Es wäre ja schön, wenn irgendeine der Alternativmethoden mal etwas zur Medizin beitragen könnte. Dazu müssten die aber mal seriös forschen und nicht permanent auf Dummenfang gehen. Aber so ist es ja viel einfacher. Man glaubt an etwas, muss nicht viel lernen und dann biegt man sich die Realität wie Pipi Langstrumpf zurecht:”Zwei mal drei macht vier, wiedewiedewid…”.
    Die Leute mögen Geschichten von uraltem medizinischen Wissen aus einem Land, das ganz weit weg ist. Wenn dann noch echte! Ärzte, an einer echten! Uni den Beweis! erbringen, dass Akupressur funktioniert, dann kommt das sogar in die Zeitung.

    Das ist Medizin auf dem Niveau von Kosmetikwerbung.

    (Ich bin Apotheker in einer öffentlichen Apotheke.)

  36. #36 Jürgen Schönstein
    9. Oktober 2008

    @sil
    ????? Da komme ich jetzt nicht mehr mit. Diese Studie – was immer sie auch wert sein mag – ist nicht von Quacksalbern, sondern von einem Yale-Professor und einem Lehrstuhlinhaber für Anästhesie and der University of California in Irvine durchgeführt worden. Wenn Quacksalber es bis in solche Positionen schaffen, dann kann man den medizinwissenschaftlichen Apparat gleich wegwerfen, denn dann ist potenziell jeder ein Quacksalber. Und dass die Menge der Narkosemittel gleich blieb, lag daran, dass dieser Aspekt gar nicht untersucht wurde – es ging um die Beruhigungsmittel vor der Narkose. Über alles andere kann und muss man diskutieren, klar. Denn soweit ich weiß, sind solche Veröffentlichungen niemals letztinstanzliche Urteile gewesen, sondern immer nur ein Beitrag zum weiteren Forschen. Hat sich das geändert, ohne dass ich das mitgekriegt habe? Und wenn dabei rauskommt, dass es nicht die Akupressur war (was ich sogar vermute), sondern die verstärkte Hinwendung zum Patienten – bravo! Da klatscht niemand lauter Beifall als ich (und vermutlich auch Dr. Kain, nehme ich an). Aber warum man das Resultat apodiktisch zu ignorieren hat und um so mehr darauf beharren soll, dass noch ein paar vermeidbare Milligramm chemischer Komponenten mehr in die Körper von Kindern gespritzt werden müssen, weil alles andere “keine Medizin” ist – das kann ich nicht ganz nachvollziehen.

  37. #37 Sil
    9. Oktober 2008

    Vor dem Eingriff gab es doch keine Medikamente, also wurden dort auch keine gespart:
    “We examined whether acupressure in the Extra-1 (Yin-Tang) point would result in decreased preprocedural anxiety and reduced intraprocedural propofol requirements in a group of children undergoing endoscopic procedures.”

    Vom Propofol, dem Anästhetikum; bekamen als Ergebnis beide Gruppen gleich viel.
    Bei diesem Punkt gab es keinen Unterschied, der war ordentlich messbar.

    Der Unterschied ist nur, dass bei der Angstmessung nach einer halben Stunde die korrekt akupressierten Kinder 11% weniger ängstlich waren. Was auch immer das bedeuten mag.
    11% Unterschied bei diesem Parameter, der Messungen sehr schlecht zugänglich ist, halte ich für absolut lächerlich.
    Das ist doch keine Meldung wert.

    “Wenn Quacksalber es bis in solche Positionen schaffen, dann kann man den medizinwissenschaftlichen Apparat gleich wegwerfen, denn dann ist potenziell jeder ein Quacksalber.”

    Schlimm, oder?
    Wir haben ja auch eine Stiftungsprofessorin für Komplementärmedizin an der Charite.
    Kinder vor einem Eingriff zu beruhigen, sollte in der Medizin der Normalfall und nicht Gegenstand der Forschung über Komplementärmedizin sein.

    Als Konsequenz aus dieser Ministudie kommen dann irgendwelche Krankenhausverwalter auf die Idee, dass sie eine Krankenschwester sparen können, wenn sie einen Karton Pflaster kaufen, der den Kleinen dann vor dem Eingriff auf die Stirn gepappt wird.
    Die Wirksamkeit ist ja wissenschaftlich erwiesen.

  38. #38 Sil
    10. Oktober 2008

    Ich sehe im übrigen Parallelen dieser Paramedizinforschung zu dem hier:
    https://www.scienceblogs.de/geograffitico/2008/10/als-zahnarzte-noch-fur-zigaretten-warben.php

    Das ist der Markt.
    Dagegen kann man als Einzelner wenig tun.

  39. #39 Jan
    20. August 2009

    Ich selber habe schon sehr gute Erfahrung bei Zahnbehandlungen gemacht. Und das das Glauben an alternative Heilmethoden die Gemüter spaltet, ist wohl natürlich. Aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass viele Schulmediziner sich für ganzheitliche Heilmethoden öffen.