Was das Fragezeichen in der Überschrift soll, werde ich gleich erklären. Doch erst mal, was mit “Zeitumstellung” gemeint ist – die alljährliche (und in Deutschland gerade wieder vollzogene) Umstellung von Normal- auf Sommerzeit und zurück. Und die kann im Frühjahr, wie eine schwedische Studie ergeben hat, zu einem erhöhten Herzinfarkt-Risiko führen. Im Herbst hingegen, wenn die Uhren wieder um eine Stunde zurück gedreht werden (und damit auch eine Stunde mehr Schlaf spendiert wird), sinkt das Risiko.
So weit, so gut. Klingt ja plausibel, denn mehr Schlaf ist bestimmt immer gesund, während Schlafmangel der Gesundheit eigentlich nie förderlich scheint. Doch das ist gar nicht der Grund, warum ich diese Meldung aufgegriffen habe: An ihr lassen sich die Probleme des Wissenschaftsjournalismus, die in diesem Blogpost bei zoon politikon diskutiert wurden, ganz praktisch nachspielen.
Denn natürlich sollten bei einem um etwa fünf Prozent gesteigerten Risiko erst mal die statistischen roten Flaggen hochgehen: Wie groß ist das Risiko überhaupt? (In den USA trifft es jählich etwa jeden Tausendsten, im Laufe eines Lebens scheinen die Chancen, einen Herzinfarkt zu erleiden, etwa bei 1:42 zu liegen – was immer das im Einzelnen dann auch bedeuten mag) Ist die Steigerung dann überhaupt signifikant? Des weiteren taucht dann die Frage auf, ob die Studie repräsentativ genug war: Da sich Herzinfarkte nicht beliebig teilen lassen (niemand bekommt einen “Viertelinfarkt” oder so etwas), kann in einer zu kleinen Studie der eine mehr oder weniger schnell zu drastischen Veränderungen im Gesamtresultat führen, selbst wenn es sich dabei um reine Zufälle handelt. Eine Frage, bei der Stochastiker gefordert scheinen.
Ein paar rote Flaggen also, die hochgehen. Aber andererseits ist die Quelle der Meldungen, in denen diese Studie aufgegriffen wurde, das New England Journal of Medicine. Auch wenn es sich “nur” um eine Korrespondenz handelte, es steht hier im NEJM. Als Journalist habe ich mir den Originalbeitrag (nur für Abonnenten, also nicht verärgert sein, wenn der Link nicht funktioniert) angesehen und keine der “roten Flaggen” danach einziehen können. Was sollte ich also tun?
Aus dem, was ich in der Diskussion zum obigen Post erfahren habe, müsste ich nun folgern, dass ich diese Meldung “Sommerzeit ist schlecht fürs Herz” nicht verwenden dürfte. Denn schließlich weiß ich zu wenig über den schwedische Forscherteam: Eine schnelle Recherche nach einem der Korrespondenz-Autoren – in diesem Fall Rickard Ljung – bringt zwar eine Handvoll Publikationen zum Vorschein, aber sehr viel schlauer macht mich das auch nicht. In der Veröffentlichung selbst habe ich außerdem keine Informationen finden können, die meine statistischen Bedenken ausräumen können, und drittens bin ich eh’ kein Herzspezialist, sondern Geograph.
Andererseits: Wenn ich noch in einer Zeitungsredaktion arbeiten würde – könnte ich mir dann wirklich erlauben, diese Meldung zu ignorieren? Sommerzeit ist immer ein heißes Thema, und wenn sie gesundheitliche Konsequenzen hat und die Nachricht zudem ein gewisses Maß an Plausibilität birgt – was würde ich dem Leser sagen, der dies dann nur bei der Konkurrenz findet? Wie würde ich einem Chefredakteur klar machen, dass ich dieses Aufregerthema mangels Substanz/Seriosität/weiterer Informationen nicht verarbeiten wollte, wo es doch selbst dem New England Journal of Medicine einen Abdruck wert war? Was ist verantworungsloser: Das Verbreiten oder das Ignorieren dieser Meldung?
Dies sind keine rhetorischen Fragen: Mich interessiert hier wirklich, wie sich Nicht-Journalisten in so einem Fall verhalten würden. Nur eines: “Mehr Zeit verlangen und die Meldung ein paar Tage später bringen” gilt nicht, denn so funktioniert Journalismus nun mal nicht. Nachrichten haben nun mal ein sehr kurzes Verfallsdatum.
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