Ein Kommentar von Ludmila zum meinem Post über die Evolution der Gesteine brachte mich auf die Idee, mal die Bedeutung von tektonischen Prozessen für die Entstehung von Zivilisationen zu beleuchten. Und wie’s der Zufall will, wurde ich auch prompt fündig: In einem Beitrag, der in der September/Oktober-Ausgabe des US-Fachblattes “Geoarchaelogy” veröffentlicht wurde, befasste sich der Geologe Eric R. Force von der University of Arizona in Tucson mit exakt dieser Frage des “tektonischen Umfelds alter Zivilisationen in der östlichen Hemisphäre”.


Im Prinzip ganz simpel: Force verglich die Gründungsstätten von dreizehn alten eurasischen Kulturen – u.a. Hastinapura (Indien), Jersualem, Korinth, Memphis (Ägypten), Mykenae, Rom, Ur und Zhengzhou (China) – mit den Grenzverläufen tektonischer Platten und fand heraus, dass elf davon innerhalb einer Zone liegen, die nicht weiter als etwa 200 Kilometer von der südlichen Grenze der eurasischen Platte verläuft. Zu viele und zu nahe, wie er fand, als dass es Zufall sein könnte.

Nun ist ja Korrelation keine Kausalität, und eine richtige Erklärung kann Force nicht geben. Und ob der Effekt der tektonischen Einflüsse – Erdbeben wären da natürlich an allererster Stelle zu nennen – eher positiv oder negativ ist, scheint auch nicht ganz klar: Einerseits seien die stabilsten dieser alten Kulturen jene gewesen, die am weitesten von den Verwerfungslinien an den Plattengrenzen entfernt sind, und andererseits liegen aber vor allem die so genannten “derviativen Kulturen” (die sich aus älteren Kulturen abgespaltet haben) deutlich näher an den tektonischen Grenzen.

Was immer der Einfluss der Plattentektonik hier sein mag, für einen Geographen meiner Generation ist allein schon die Frage, ob es so einen Zusammenhang geben könnte, von hoher Brisanz: Zu meiner Zeit wurden vor allem von den Sozial- und Wirtschaftsgeographen solche Versuche, einen Zusammenhang zwischen Kultur-Genese und naturräumlicher Struktur zu finden, als “Geodeterminismus” geächtet. Und schon der Verdacht, solch deterministische Gedanken zu hegen, reichte schon aus, um jemanden in der akademischen Diskussion zu diskreditieren. Dieser Sozial-Dogmatismus war unter anderem einer der Gründe, warum ich damals das Angebot, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, dankend abgelehnt habe.

flattr this!

Kommentare (5)

  1. #1 Christian A.
    20. November 2008

    So ein Mist! Ich hab leider meinen historischen Weltatlas nicht da, denn dann würde ich erst mal kucken, was noch so an geographischen Faktoren in Frage käme 🙂

    Mir kommt dieser Zusammenhang aber zu eindimensional vor, so faszinierend er auch erscheint. Ergibt es nicht mehr Sinn zu sagen, dass die mittelmeerischen Kulturen letzen Endes vom Alten Ägypten beeinflußt und geformt wurden? Damit würden ja schonmal eine Reihe von Kulturzentren wegfallen, deren Entstehung man aus anderen Gründen erklären könnte, und man müßte nur noch die Vorteile des ägyptischen Raumes erklären?
    Was ist mit möglichen Nutzpflanzen bzw. Nutztieren? Welche Pflanzen wurden als erste kultiviert, und was ist die Bedeutung der Verbreitung der Pflanzen (Tiere) bzw. der klimatischen Bedingungen, unter denen diese Pflanzen (Tiere) gedeihen?

    Aber es ist trotzdem interessant und faszinierend 🙂

  2. #2 Ludmila
    20. November 2008

    Komisch, eigentlich. Ich könnte mir vorstellen, dass Vulkane, die nicht allzuhäufig ausbrechen, anziehend sein können, weil vulkanische Erde bekanntlich sehr fruchtbar ist. Aber sonst?

  3. #3 Patrix
    20. November 2008

    Hmm, das wirkt auf den ersten Blick aber doch eher ein bisschen “populärwissenschaftlich”. Für die Tatsache, dass sich ein Grossteil der antiken Hochkulturen in der Nähe der eurasischen Plattengrenze angesiedelt hat, gibt es auch einfachere Erklärungen:
    – Bei der Ausdehung von Homo sapiens (bzw. den Vorläufern) sind Nil- bzw. Euphrat-/Tigris-Delta eine der ersten Gegenden, in denen aufgrund der klimatischen und botantischen Bedingungen eine Sesshaftigkeit (die ja praktisch zwingend Ackerbau voraussetzt) überhaupt möglich ist
    – Eine Ausdehung entlang der Breitengrade ist deutlich schneller als entlang der Längengrade, da sich dabei die klimatischen Bedingungen weniger ändern (vgl. zB Besiedlung von Amerika). Dabei bleibt man notgedrungen in der Nähe besagter Platte.

    Abgesehen davon: Welche seit längerer Zeit nachhaltig besiedelten Gebiete auf der Erde sind denn überhaupt deutlich >200 km von einer Plattengrenze entfernt?

  4. #4 Anhaltiner
    20. November 2008

    Ein sehr interessanter Ansatz.
    Die Frage ist nun welche Faktoren führten zum Entstehen dieser Kulturen und welche geographischen Faktoren begünstigten sie. Die von Christian aufgeworfen Fragen nach Nutztieren und -pflanzen zielen in erster Linie auf das entstehen von Siedlungen hin. Um von höher entwickelten Kulturen sprechen zu können bedarf es sicherlich weiterer Faktoren, wie z.B. Rohstoffquellen, Handelswegen, Wasserversorgung. Wenn mehrere dieser Faktoren sich aufgrund der Plattentektonik häufen kann durchaus ein Zusammenhang zwischen Plattentektonik und Kulturstätten bestehen. Wenn die stabielsten Kulturen, die waren die weiter weg von der Verwerfungslinie entstanden sind, so muss auch der Untergang der Kulturen betrachtet werden. Das Ausbrechen von Vulkanen dürfte da nur einer der maßgeblichen Faktoren sein. Aber die Vermutung liegt nah, dass die Verwerfungslinie an sich eine Gefahr, ihr weiteres Umfeld aber eine Chance für frühe Kulturen darstellte.

  5. #5 Jürgen Schönstein
    20. November 2008

    Ich denke auch, dass dies bestenfalls ein origineller Ansatz ist. Ansonsten würde ich vor allem Patrix beipflichten, dass 200 Kilometer Entferung von Plattengrenzen ein relativ weites (= 400 km) Band definieren, in dem noch alle möglichen anderen Faktoren relevant sein können, die nichts mit Tektonik zu tun haben. Aber in jedem Fall ist es ein paar zusätzliche Gedanken wert.