Mit dem Problem, dass es zwischen Laien (zu denen, bis zu einem gewissen Grad, auch Wissenschaftsjournalisten zählen sollten – vor allem, wenn sie für Laien schreiben müssen) und Wissenschaftlern manchmal ganz grundsätzliche gegenseitige Verständnisprobleme gibt, haben sich Ludmila auf Hinterm Mond gleich links und Marcus von Placeboalarm ja schon Gedanken gemacht (und ich habe in Kommentaren gelegentlich meinen Senf dazu gegeben). Dass es bei der Sprache um mehr geht als nur um “richtige” und “falsche” Begriffswahl geht, zeigt nun eine Studie, die ich in der Public Library of Science:ONE gefunden habe.
Keine große Studie, und die Autoren Meredith Young, Geoffrey Norman und Karin Humphreys von der kanadischen Mc Master University räumen selbst ein, dass sie nur der Anfang sein kann. Aber das Prinzip, das dabei offenbart wurde, regt zumindest jemanden wie mich, der von und mit der Sprache lebt, zum Nachdenken an. Kurz gefasst: Durch einen wissenschaftlich klingenden Namen – die Autoren nennen es “Medikalesisch” – kann eine an sich bekannte Krankheit eine deutlich dramatischere Bedeutung erhalten.
Die Forscher hatten sich bei dieser Untersuchung, für die 52 Teilnehmer eines Psychologie-Einführungskurses der McMaster-Uni als Testpersonen rekrutiert wurden, auf insgesamt 16 Gesundheitsprobleme beschränkt; die Hälfte dieser Probleme kennt man schon seit mehr als zehn Jahren sowohl mit ihren Alltagsnamen (Bluthochdruck, beispielsweise), als auch mit ihren Fachbegriffen (Hypertonie). Die andere Hälfte war erst in jüngerer Zeit “medikalisiert” worden – “Seborrhoische Dermatitis” beispielsweise, für das alte Problem der Schuppen auf dem Kopf, oder “Refluxösophagitis” für chronisches Sodbrennen.
Mag ja sein, dass hinter den “medikalesischen” Neuschöpfungen ein echtes fachliches Differenzierungsbedürfnis stand, aber die Folgen dieser primär sprachlichen Modeerscheinung sind nicht ganz unerheblich: Durch die fremdsprachlichen Wortungetüme wird auch die Krankheit – wenn’s denn überhaupt eine ist – als bedrohlicher wahrgenommen. Klar, wenn mir mein Arzt sagen würde, ich litte an “Hyperhidrose”, dann werde ich a) erst mal erschrecken und b) sofort glauben, dass dies ein Krankheitsbild sein muss. Wenn er dagegen festgestellt hätte “Sie schwitzen stark”, wäre meine Reaktion nur gewesen: “Das weiß ich selbst.”
Wie schon gesagt, Mediziner werden sicher Gründe anführen können, warum sie sich nicht mit Alltagsbegriffen zufrieden geben wollen und statt dessen aufs “Medikalesische” zurück greifen müssen. Aber es geht hier ums Generelle, denn auch andere Wissenschaften neigen dazu, sich hinter semantischen – und manchmal auch syntaktischen – Barrieren zu verschanzen**. Und das scheint speziell in der deutschen Wissenschaftswelt eher normal zu sein: Zumindest in meinen Studienjahren gab es üblicher Weise bei Seminar- und Diplomarbeiten Abzüge in der Note, wenn man zu sparsam mit der “Fachterminologie” umgegangen war. Und wenn ich gelegentlich mal lese, was an den Unis heute produziert wird, komme ich nicht zum Schluss, dass sich daran viel geändert haben könnte.
** Dieser Satz ist als Beispiel für seine eigene Aussage gemeint: “Semantisch”, “syntaktisch” und “Barrieren” wären auch leicht und transparent durch “Wortwahl”, “Satzbau” und “Hindernis” ersetzbar gewesen. Aber dann klãge der Satz irgendwie nicht “akademisch”, nicht wahr?
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