Früher war mein Journalistenleben so viel einfacher: Da hätte ich aus der folgenden Aussage in der Fachzeitschrift Anesthesia & Analgesia ganz unbesorgt eine Meldung stricken können:
“Needling acupuncture is superior to sham acupuncture and medication therapy in improving headache intensity, frequency, and response rate”
schreibt der Duke-Anästhesieprofessor Dr. Tong-Joo Gan im Abstract zu einer Studie über den Einsatz von Akupunktur bei chronischen Kopfschmerzen. Zu deutsch: “Nadel-Akupunktur ist der Schein-Akupunktur und der Medikation im Hinblick auf die Verbesserung von Intensität, Häufigkeit und Ansprechensrate bei Kopfschmerzen überlegen.”
Tja, früher – aber nach all den Diskussionen, die solche Veröffentlichungen hier schon ausgelöst haben (ich nehme hier nur mal ein Beispiel auf diesem Blog) würde mir dieses Thema selbst Kopfschmerzen bereiten (was zum Glück momentan eine hypothetische Angelegenheit ist, da ich meine berufliche Aufmerksamkeit derzeit eher auf Themen wie Finanzkrise, Anlagebetrüger und die Krise der US-Autoindustrie lenken muss). Nicht erwähnen, obwohl diese Studie a) von akademisch ausgewiesenen Fachleuten erstellt wurde und b) in einer anerkannten, peer-reviewten Fachzeitschrift publiziert wurde? (Den – gebührenpflichtigen – Artikel selbst kann ich mir leider nicht leisten, aber ein paar Einzelheiten mehr als im Abstract findet man hier in der New York Times.)
Oder ignorieren? Aber andererseits gäbe es sicher viele Leser, die genau das wissen wollten. Bleibt nur eines: diskutieren. Und dafür ist so ein Blog genau das richtige Forum. Also dann:
Die Studie, die zu der Publikation geführt hat, war eine Sekundärstudie – d.h. es wurden keine eigenen Tests gemacht, sondern mehrere separate Studien (randomisiert und kontrolliert, über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen hinweg) analysiert. So weit ich der New York Times trauen darf, zeigten in sieben der Studien (mit 479 Teilnehmern) , die Akupunktur mit Medikamenten verglichen, 62 Prozent der Patienten eine Reaktion – eine für sie positive, nehme ich an, obwohl das nicht so da steht – auf Akupunktur, aber nur 45 Prozent auf die Medikamente. In 14 weiteren Studien wurde die Wirkung “echter” Akupunktur mit einer Schein-Akupunktur (ich weiß, für Skeptiker dieser Methode besteht da kein sinnvoller Unterschied, aber lassen wir’s halt mal so stehen) verglichen; von den 961 Patienten, die hier beteiligt waren, spürten 53 Prozent eine Schmerzlinderung nach der Akupunktur; die Schein-Akupunktur “wirkte” bei 45 Prozent. (Im Abstract selbst ist zu lesen, dass 31 Studien betrachtet wurden, von denen sich die meisten mit dem Vergleich zwischen echter und Schein-Akupunktur befassten. Hier habe sich eine “signifikant höhere” Erfolgsquote ergeben.)
Klar, jetzt kann man natürlich wieder die methodischen Grundfragen aufwerfen, ob die Studie doppelt verblindet war etc. und dass Schmerz ja in jedem Fall ein subjektives Empfinden ist. Aber selbst wenn man mal das vergleichende Adjektiv (in diesem Fall jenes, das eine Methode als “besser” gegenüber der anderen deklariert) ein wenig distanziert betrachtet, bleibt doch ein Bodensatz an Information zurück, der in jedem Fall so zu interpretieren ist, dass Medikamente bei chronischen Kopfschmerzen KEINE überzeugendere Wirkung haben als Akupunktur (und wohl nicht mal viel besser sind als vorgetäuschte Akupunktur). Welche Schlüsse man sonst noch daraus ziehen will, bleibt jedem selbst überlassen.
Kommentare (5)