Wenn Vögel singen, dann geht es meistens nur um eines – um Sex. Und vielleicht auch noch ums Behaupten eines Territoriums, was aber oft mit sexuellen Intentionen gekoppelt ist. Wie das bei kalifornischen Singammern oder auch den Zaunkönigen im Regenwald von Costa Rica funktioniert, hat die Verhaltensbiologin Sandra Vehrencamp von der New Yorker Cornell University offenbar schon ganz gut erforscht. Doch warum singen oder musizieren wir Menschen? Auch aus sexuellen Motiven? Aber was, bitteschön, wäre denn sexy an all dem Weihnachtsgedudel, das uns in dieser Jahreszeit unausweichlich umgibt?

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Vermutlich nichts. Aber die Frage, ob auch die menschliche Musikalität das Resultat eines Evolutionsvorteils sein könnte (und damit also doch etwas mit Sex zu tun hat), ist offenbar spannend genug, dass sie vom Wirtschaftsmagazin “Economist” zur Titelstory der aktuellen US-Ausgabe gemacht wurde.

Vier Thesen bietet das Blatt – das damit auch auf 2009 als das Darwinjahr (vor 150 Jahren erschien On the Origin of Species) hinleiten will – seinen Lesern an:

– Der Evolutionsbiologe Geoffrey Miller von der University of New Mexico (das ist der gleiche, der auch den Zusammenhang zwischen Monatszyklus und Einkommen bei Stripperinnen untersucht hatte) schreibt in seinem Aufsatz Evolution of human music through sexual selection, dass uns Musikalität angeboren ist – mit Ausnahme derer, die an Amusie leiden – weil sie wesentlich für den biologischen Reproduktionserfolg ist. Als ein Beispiel führt er Jimi Hendrix an (und wie oft findet man den schon in einer wissenschaftlichen Publikation zitiert), der dank seines musikalischen Erfolgs in seinem kurzen Leben “sexuelle Beziehungen zu Hunderten von Groupies, parallele Langzeitbeziehungen mit mindestens zwei Frauen und die Vaterschaft von mindestens drei Kindern in den USA, Deutschland und Schweden” erfahren konnte. Laut Miller besteht eine auffällige Korrelation zwischen der musikalischen Produktivität von Jazz-Musiker, beispielsweise, und ihrer biologischen Reproduktionsfähigkeit: In ihrem Lebensabschnitt mit der größten sexuellen Potenz schreiben sie auch die meisten ihrer Songs.

Robin Dunbar von der Oxford University hingegen vertitt eher die These, dass sich Musik als soziales Instrument entwickelt hat, eine Art “Fern-Fellpflege”, wie er es wohl nennt. Und zwar, bevor Sprache diese Rolle als sozialer Kleber übernehmen konnte. Offenbar – und hier habe ich leider nur den “Economist”-Artikel als Quelle – hatte Dunbar festgestellt, dass die traditionelle Fellpflege der Primaten (das sprichwörtliche “Lausen der Affen”) ab einer Gruppengröße von etwa 80 Individuen nicht mehr praktikabel ist, um alle Gruppenmitglieder einzubinden. Sprache hingegen, ebenfalls ein sozialer Kleister, habe sich erst in Gruppen ab etwa 140 Individuen entwickeln können (wo er das her haben könnte, konnte ich leider nicht herausfinden). In der Evolutionslücke, als Gruppenpopulationen schon die 80 überschritten aber noch nicht fähig waren, bis zu 140 Mitglieder zu ertragen, habe sich dann erst mal die Musik als Instrument entwickelt. Heißt wohl, dass die ersten Serenaden noch gesummt wurden, da es ihnen an Worten gefehlt haben dürfte …

Aniruddh Patel vom Neurosciences Institute in San Diego wiederum ist genau der gegenteiligen Überzeugung: Musik sei eher dem Schreiben und Lesen vergleichbar, schreibt er in seinem Buch Music, Language and the Brain. Wie diese sei Musik im wesentlichen eine Fertigkeit, die gezielt erlernt werden müsse (im Gegensatz zum primären Spracherwerb, der bei Kleinkindern ohne explizite Kenntnis der Regeln und Strukturen funktioniert). Sie sei somit eine “transformative Technologie”.

– Von all dem hält Steven Pinker, Psychologe an der Harvard-Universität, offenbar gar nichts. Schon 1997 bezeichnete er in seinem Buch How the Mind Works Musik als “auditorischen Käsekuchen“. Seiner Ansicht nach ist das Hirn als UÜberlebensmechanismus einfach so sehr darauf getunt, Bedeutung in Geräuschen zu suchen, dass es der Versuchung nicht widerstehen kann, sich nötigenfalls selbst diese Stimulation zu beschaffen. Singen sei demnach “Gehör-Masturbation”, das Spielen eines Instrument “Gehör-Porno”. Und ebenso wie der globale Verlust von Käsekuchen die Überlebenschancen der Menschheit kaum nachhaltig beeinträchtigen könnte, würde auch der Verlust von Musik ohne schlimme Folgen für die Menschheit als Art bleiben.

Was das Weihnachstgedudel angeht, da würde ich Pinker sogar Recht geben wollen. Aber eine Welt ohne Käsekuchen? Das ginge mir dann doch zu weit …

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