Also nicht etwa die Vernunft oder die besseren Argumente. Dies konnte ein Team der Computer- und informatik-Fakultät der University of Pennsylvania in Netzwerk-Versuchen belegen. Details der Studie wurden in den Proceedings of the National Academy of Science (PNAS) veröffentlicht, aber das Fazit lässt sich auch hier schon in wenigen Worten zusammenfassen: Die Gegenwart von Minderheiten, die stur auf ihrer Position beharren, kann für den kollektiven Erfolg einer Gruppe durchaus nützlich sein.
Den Satz musste ich erst ein paarmal üben, ehe ich ihn ohne Verrenkung hinschreiben konnte. Dass ausgerechnet diejenigen, die sich am wenigsten in das allgemein akzeptierte Meinungs- oder Interessenbild einer Gruppe einfügen wollen, den größten Erfolgsbeitrag leisten sollen, geht dem überzeugten Demokraten und Mehrheitsbildner in mir erst mal gegen den Strich. Ich schaffe es leider nicht, die Versuchsanordnung unter der Federführung des Penn-Professors Michael Kern hier in allen Details nachzuvollziehen; nur soviel:
Die 36 Versuchspersonen (Studenten der Uni) hatten die Vorgabe, sich per Computer auf eine von zwei Alternativen (die Farbe Rot oder Blau – gewählt unter anderem deshalb, weil sie ja auch symbolisch für die politischen Alternativen in den USA sind, mit Rot als Farbe der Republikaner und Blau für die Demokraten) zu verständigen. Wenn die Gruppe innerhalb einer Minute zu einem Konsens kam (und nur dann), winkte eine finanzielle Belohnung – die allerdings nicht für jeden innerhalb der Gruppe gleich hoch war und somit für unterschiedliche individuelle Interessenlagen sorgte. Die Informationen begrenzten sich dabei auf das, was die Probanden auf ihrem Bildschirm sehen konnten:
Es wäre schon überraschend genug, dass bei diesen knappen Vorgaben und der knappen Zeit überhaupt jemals ein Konsensus erreicht werden konnte – doch dies klappte sogar in 55 von insgesamt 81 Versuchen. Ein erstes (und sicher nicht ganz so überraschendes) Ergebnis war dabei, dass Testreihen, in denen eine Seite deutlich mehr als die andere zu gewinnen hatte, weitaus häufiger (in 22 von 27 Fällen) zu einem Erfolg führten als Reihen mit eher diffuser Interessenlage (33 von 54 der Tests). Aber bei der Betrachtung der individuellen Subjekte zeigte sich auch, dass jene, die “stur” – der Begriff taucht tatsächlich in dem Paper auf – auf ihrer Farbe beharren, selbst wenn sie in der Minderheit sind (und damit nicht nur den Konsens, sondern auch den finanziellen Ertrag für sich selbst riskieren), einen positiven Beitrag zum allgemeinen Wohlstand = der Gesamt-Ausschüttung leisten. Vor allem dann, wenn sich diese Sturheit bereits in den ersten Sekunden des Experiments manifestiert. Diejenigen aber, die erst mal zwischen den beiden Alternativen “herumeiern” (dieser Begriff steht nicht im Paper), tragen eher negativ zum allgemeinen Wohlstand bei. MIt dem Resultat, dass die stursten Spieler auch die (erfolg)reichsten waren.
Na gut, das ist alles natürlich ein klarer Laborversuch, der sich von echten sozialen Dynamiken allein schon dadurch unterscheidet, dass die Zeitspanne für die Entscheidungsfindung extrem und unrealistisch knapp gehalten wird (Zugzwang würde ich das wohl laienhaft nennen) – selbst in einem Wahlkampf, der ja in der Tat eine klare Deadline mit dem Schließen der Wahllokale hat, wird man nie sooo gehetzt. Auch die extreme Begrenzung der Kommunikation und Information auf einen einzigen und sehr engen Kanal, der so etwas wie den Austausch von Argumenten und “Überzeugungsarbeit” (sorry, aber all diese sozio-psychologischen “…arbeit”-Floskeln kann ich leider nur mit Gänsefüßchen verkraften) völlig ausschließt, hat mit realen gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen wenig zu tun.
Aber es könnte zumindest tendenziell die Bereitschaft erklären, gerade in schwierigen Zeiten gerne einem “starken Mann” zu folgen, selbst wenn man dessen extremistische Position eigentlich nicht teilen würde. Soll in der Geschichte der Menschheit ja schon mehrfach vorgekommen sein …
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