So steht’s jedenfalls in einem Artikel, der in der aktuellen Ausgabe des Journal of Personality and Social Psychology der American Psychological Association erscheint (den Volltext findet man hier). Durch Auslandsreisen alleine ist dieser Effekt übrigens nicht zu erzielen – man muss schon eine Zeitlang in der Fremde gelebt haben. Verfasser des Papers sind William Maddux, Professor an der internationalen Wirtschafts-Hochschule INSEAD, und Adam Galinsky, Professor an der Kellogg School of Management.
Nach anekdotischen Belegen, dass Auslandsaufenthalte nicht nur für den praktischen Wissenaustausch (wie er von mittelalterlichen Handwerkszünften angestrebt wurde) gut sind, sondern auch der Kreativität zuträglich sein müssen, muss man nicht lange suchen: Georg Friedrich Händel komponierte seine Haupt-Werke (den Messias und die Wassermusik, beispielsweise) in London, Johann Wolfgang von Goethes Italienreise bescherte uns nicht nur ein berühmtes Porträt von Wilhelm Tischbein, sondern auch den Egmont und vermutlich auch die wichtigsten Inspirationen für sein naturwissenschaftliches Werk über “Die Metamorphose der Pflanzen”, der Niederländer Vincent van Gogh malte seine prägnantesten Bilder in Paris und Südfrankreich etc. – aber wissenschaftlich belegt war diese These bisher nicht (wohl, weil sie einfach zu plausibel schien).
Und dank meines eigenen langjährigen Auslandsaufenthaltes bin ich auch (hoffentlich) kreativ genug, um zumindest einen gewissen Zweifel in den “Beweis” der Exilanten-Kreativität streuen zu können. Aber dazu gleich mehr.
Getestet wurde die Kreativität der Probanden übrigens unter anderem mit dem so genannten “Kerzen-Problem“, das der deutsche Psychologe Karl Duncker (seinerseits übrigens nicht gerade ein Paradebeispiel für die Segnungen des Exils – der gebürtige Leipziger, der 1935 vor den Nazis erst nach Cambridge und später in die USA fliehen musste, nahm sich 1940, im Alter von 37 Jahren, das Leben) als einen Test für problemlösendes und kreatives Denken entwickelt hatte. Das Resultat:
After controlling for age, gender, and nationality (R2 = .018, p = .19), results from step 2 of the regression indicated that the amount of time individuals had spent living abroad emerged as a significant positive predictor of creative solutions, B = .078, S.E. = .038, Wald = 4.26, p = .039, R2 = .064. By contrast, time spent traveling abroad showed a significant but negative relationship to creative solutions, B = -.004, S.E. = .002, Wald = 3.87, p = .049.
Mit anderen Worten: Leben im Ausland machte kreativer, Reisen ins Ausland hatten dagegen eher den gegenteiligen Effekt.
Das gefällt mir natürlich aus ganz egoistischen und ganz leicht nachvollziehbaren Gründen. Doch leider finde ich hier ein Haar in der Suppe: Getestet wurden nämlich 205 Vollzeit-Studenten an einer US-Wirtschaftshochschule (deren Namen ich nicht gefunden habe) – mehr als ein Viertel, nämlich 55 Studentinnen und Studenten, waren Ausländer, also Personen, die zwangsläufig schon alle in die Kategorie “mit Auslandserfahrung” fallen mussten. Der Haken dabei ist, dass es ebenso plaausibel wäre, dass es sich bei dem gemessenen Effekt nicht um die Wirkung, sondern um die Ursache handelt. Mit anderen Worten: Es ist nicht der Auslandsaufenthalt, der kreativ macht, sondern die Kreativen machen Auslandsaufenthalte. Es ist ja, wie ich wohl nicht besonders betonen muss, oft gar nicht so einfach, so eine Position oder so einen Studienplatz zu finden, ergattern und – auch das ist ein Aspekt der Problemlösung – zu finanzieren.
Um ganz sicher zu gehen, dass man keinem Umkehr-Trugschluss aufsitzt, hätte man also eigentlich eine Gruppe Testpersonen ohne jegliche Auslands-Vorerfahrung (davon dürfte es vor allem in den USA eine Menge geben) und mit homogenem Kreativitätsniveau nach dem Zufallsprinzip verteilen und auf ein paar Auslandsreisen bzw. einen längeren Auslandsaufenthalt schicken müssen – und dann die Messungen wiederholen. (Kreativen Akademikern müsste es eigentlich gelingen, solch einen Versuch zu konzipieren und sich damit selbst einen attraktiven Auslandaufenthalt zu sichern …)
Aber eigentlich spielt es gar keine Rolle, was hier die Henne und was das Ei ist – sicher scheint, dass es einen belegbaren Zusammenhang zwischen Auslandsaufenthalten und der Fähigkeit zum Probemlösen gibt. Allein deshalb sollte es immer gut sein, wenn man sich um ein Auslandsjahr (oder auch zwei oder drei oder vier, oder – wie in meinem Fall – 19+) bemüht. Ich schreibe dies aus einer eigenen, durchaus bedauernswerten Erfahrung heraus: Zu meiner Studienzeit – in den späten 70-ern und frühen 80-ern – galt es beinahe schon als sträflicher Leichtsinn, seine Zeit mit Auslandssemestern zu vergeuden, denn mit jedem Jahr drängten nur mehr Akademiker auf den eh’ schon überfüllten Arbeitsmarkt. Und wenn mich die Erinnerung an die Erfahrung, die ein Freund nach einem einjährigen USA-Aufenthalt gemacht hatte, nicht trügt, dann waren damals auch potenzielle Arbeitgeber eher skeptisch gegenüber solchen “eskapistischen” Eskapaden.
Mag sein, dass sich der Arbeitsmarkt für Hochschulabgänger inzwischen verbessert hat (ich lese seit einiger Zeit immer wieder mal das – in meinen Orhen paradox klingende – Wort “Ingenieurmangel”), aber ich fürchte mal, dass die wirtschaftliche Entwicklung eher den trüben Tendenzen der Vergangenheit folgen könnte und alles, was nicht direkt der Jobvorbereitung dient, dann wieder wie unverantwortlicher Luxus scheint. Und das wäre nicht nur im Sinn der Völkerverständigung schade, sondern auch aus sehr konkreten und Probleme lösenden Gründen, wie man sieht.
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