Als mir meine Frau vor einigen Monaten erklärte, unser Hausarzt habe unserem Sohn, bei dem er zuvor eine Grippe diagnostiziert hatte, Antibiotika verordnet, glaubte ich erst, dass man den guten Mann wohl noch mal auf die Uni zurück schicken müsste: Schließlich weiß ich doch, dass Antibiotika nicht gegen Viren wirken. Und als es meinem Kind danach besser ging, dachte ich erst, es sei halt nur der Placeboeffekt. Bis mich dann die gleiche Grippe erwischte und unser Doc mir im Prinzip die gleiche Behandlung anriet. Seine Begründung: Manchmal sei es halt nicht das Grippevirus, das einem am meisten zu schaffen macht, sondern eine sekundäre bakterielle Infektion. Schien mir plausibel genug, um die antibiotischen Pillen zu schlucken – und wirklich, nach zwei Tagen ging’s mir besser.

Wie sich nun zeigt, sind Antibiotika gegen Grippe keineswegs nur Placebos, und eine These, wie das Virus die Entwickung von baktieriellen Infektionen befördert, könnte erklären, warum sich eine Influenza für manche Menschen zur tödlichen Bedrohung entwickeln kann. In einem online freigeschalteten Artikel aus dem Journal of Leukocyte Biology beschreiben Dr. Kathleen Sullivan, Chefin der Abteilung für Allergien und Immunologie des Children’s Hospital of Philadelphia, und mehrere ihrer Kollegen, wie es einem Grippevirus gelingen kann, die Immunreaktion des Körpers so lahm zu legen, dass er – zum Teil für längere Zeit – extrem anfällig für sekundäre bakterielle Infektionen wie etwa eine Lungenentzündung wird. Offenbar hemmt das Virus unter bestimmten Voraussetzungen die Aktivitäten der so genannten “Toll-artigen Rezeptoren“, die gewissermaßen als “Türsteher” des Immunsystems erkennen, wenn Krankheitserreger im Körper auftauchen.

Dass bakterielle Komplikationen beim tödlichen Verlauf der Grippe eine Rolle spielen, weiß man schon lange (etwa ein Viertel aller Kinder, die an den Folgen der Grippe sterben, erliegen einer sekundären bakteriellen Infektion). Aber der Artikel zeigt auch, dass dies – entgegen der bisherigen Annhamen – nicht nur einer angeborenen oder anderweitig erworbenen, also bereits existierenden Immunschwäche zuzuschreiben ist, sondern auch das direkte Resultat der Vireninfektion sein kann.

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Kommentare (7)

  1. #1 wolfgang
    5. Mai 2009

    Deswegen hat ja die USA bei der momentanen “neuen Influenza” einen Vorteil, dort sind viele Kinder bis 2 Jahren einerseits gegen Influenza geimpft, auch Kinder bis 18 Jhr sind bereits zu einem beträchtlichen Teil geimpft. Sollte sich herausstellen dass diese Kinder nicht partiell gegen Neue Grippe immun sind, hilft immer noch, dass Säuglinge in USA seit Jahren flächendeckend gegen Pneumokokkenpneumonie geimpft sind, daher diese Erreger in der Population nicht mehr zirkulieren (Herdenimmunität) und daher auch keine Pneumokokkenpneumonie, die ja sehr häufig einer Influenza folgt bekommen können.
    Österreich zB hat da eindeutig schlechtere Karten, eine der schlechtesten Influenza Durchimpfungsraten in der EU (Grund: muss selbst bezahlt werden), völlig unzureichende Impfung der Säuglinge gegen Pneumokokken (Grund muss selbst bezahlt werden). Furchtbare 2-Klassenmedizin. Kurzsichtig und letztlich teuer, da Therapiekosten höher als Präventionskosten.

  2. #2 Ludmila Carone
    5. Mai 2009

    Das mir der Sekundär-Infektion bei viralen Infekten habe ich auch erst vor kurzem erfahren. Es zeigt sich mal wieder: Oft genug sind die Dinge nicht ganz so eineindeutig, wie wir sie gerne hätten. Und genau dafür braucht es Wissenschaft bzw. echte Medizin.

  3. #3 Alexander Knoll
    6. Mai 2009

    Hoffentlich hat der Arzt wenigstens nachgeprüft, ob denn wirklich eine Sekundärinfektion vorliegt. Denn einfach auf Verdacht Antibiotika zu verschreiben ist auch nicht gerade toll, das führt zu resistenten Krankheitserregern.

  4. #4 madalu
    7. Mai 2009

    Die Überschrift hat mich elektrisiert. Kann es sein, daß Antibiotika bei Grippe tatsächlich helfen? Das würde aber so ziemlich alles über den Haufen werfen, was man darüber weiß. Das will ich genau wissen.

    Ich bin nicht ganz sicher, ob ich das richtig verstanden habe. Nachdem wir uns hier bei den Science Blogs befinden würde ich gern ein paar von meinen Fragen an den Mann bringen in Erwartung einer wissenschaftlich fundierten Antwort.

    1. Was genau ist denn hier mit Grippe gemeint? Wirklich Grippe? Influenza also? Oder geht es um Erkältungen? Ein nicht ganz unbedeutender Unterschied. Welches Virus hat Ihr Arzt gemeint, als er gesagt hat, “manchmal sei es halt nicht das Grippevirus, das einem am meisten zu schaffen macht, sondern eine sekundäre bakterielle Infektion.”.

    2. Was macht Sie so sicher, daß Sie (ebenso wie Ihr Kind) wirklich zwei Infektionen gleichzeitig hatten – eine mit “dem Grippevirus” (welches auch immer) und eine mit Bakterien?

    Wie hat Ihr Arzt das denn festgestellt? Wurden Viren gefunden? Influenza – oder welche? Wurde ein Abstrich gemacht und Bakterien in ausreichender Menge nachgewiesen? Wurde das Blut untersucht? Oder gar eine Röntgenaufnahme gemacht?

    3. Und wie hat Ihr Arzt festgestellt, daß Sie eine bakterielle Superinfektion hatten, bei der eine Behandlung mit Antibiotika angezeigt oder notwendig ist? Oder braucht es das in solchen Fällen grundsätzlich? Rein vorsorglich?

    4. Nach zwei Tagen Antibiotika ging es besser. Inwiefern ist das ein Zeichen dafür, daß außer dem Virus auch noch Bakterien im Spiel waren?

    5. Hat Ihr Arzt Ihnen gesagt, wie häufig diese Komplikation bei einer Erkältung – oder auch bei einer Influenza – ist? Ist das Risiko bei Ihnen und Ihrem – oder jedem anderen – Kind denn gleich groß?

    6. Ist dieses Risiko nicht eher niedrig? Soweit ich weiß entwickeln nur wenige Erkältete einen bakteriellen Infekt. Die Angaben schwanken von weniger als 1% bis 5%. Solche Zweitinfektionen sind im übrigen in der Regel nicht schwer. Antibiotika braucht es meist nicht.
    https://www.yale.edu/uhs/med_services/health_ed/flu-overview.html

    Bei Influenza könnte das Risiko einer Superinfektion etwas höher sein. Allerdings haben normalerweise (wenn es nicht gerade eine Epidemie gibt) nur wenige Erkältete eine Influenza. So genau weiß man das nicht, es wird meist nicht geklärt, weil das eh in der Regel keine praktischen Konsequenzen hat. Kinder sind sollen besonders gefährdet sein.

    In den USA wo seit einigen Jahren gemeldet werden muß, wenn Kinder an (nachgewiesener) Influenza sterben wurden in einem Jahr (1.10.06 bis 30.09.07) 112 solche Fälle gezählt. Bei 30 lag eine bakterielle Zweitinfektion vor.
    https://www2a.cdc.gov/HAN/ArchiveSys/ViewMsgV.asp?AlertNum=00268

    7. Die Arbeit, auf die Sie sich stützen ist eine experimentelle Studie. Läßt nicht allein das eine gewisse Vorsicht bei Schlussfolgerungen für die klinische Praxis ratsam erscheinen? Die Wissenschaftler suchen – und finden – Belege für ihre Hypothese, daß die Zytokinproduktion höher ist, wenn eine Influenza schwerer verläuft, wo Superinfektionen vor allem zu beobachten sind.

    Dabei haben sie eher nebenbei an Zellkulturen eine Beobachtung gemacht, die Hinweise liefert, wie möglicherweise die Zweitinfektion mit Bakterien bei den schwerer Influenza vonstatten gehen könnte. Den Vorgang selber haben sie nicht untersucht.

    Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie aus all dem folgt, daß „Antibiotika bei Grippe wirken können“ oder auch daß “Antibiotika gegen Grippe keineswegs nur Placebos” sind. Ich für mein Teil würde auch nach Lekture dieses Artikels und der Quellen die Verordnung von Antibiotika bei Erkältung für einen elementaren Fehler halten. Darf ich um Aufklärung bitten?

  5. #5 Jürgen Schönstein
    7. Mai 2009

    @madalu
    “Darf ich um Aufklärung bitten?”
    Sicher. Woher wusste mein Arzt, dass es sich bei mir in meinem Sohn um eine Influenza und nicht nur eine gewöhnliche Erkälltung handelte? Anamnese und Diagnose sind hier wohl die Fachbegriffe: Er ließ sich detailliert die Symptome schildern, schaute in Hals und Augen etc. – und er wusste natürlich aus seiner täglichen Praxis, welches saisonale Virus in diesem Winter in New York gerade “umging”. Sicher könnte er sich dabei auch geirrt haben, aber ein bisschen Vertrauen in die Erfahrung eines langjährig praktizierenden Mediziners darf man wohl auch einem ScienceBlogger nachsehen. Wie er darauf kam, dass es eine Sekundärinfektion sein könnte? Weil nach einiger Zeit – ich schätze mal, es war mehr als eine Woche – bestimmte Symptome (das Fieber, zum Beispiel, das zwar mit etwa 37,5 Grad nicht mehr hoch, aber immer noch messbar vorhanden war) nicht, wie sonst typisch, abgeklungen waren. Welche bakterielle Infektion? Ich glaube mich zu erinnern, dass seine Diagnose auf Streptokokken lautete, wiederum basierend auf den Symptomen und auf seiner “Praxis-Epidemiologie” – denn auch solche Infekte gehen nun mal um und häufen sich zu bestimmten Zeiten. Hätte ein Labortest klarere Antworten gebracht? Vermutlich. Aber der hätte erstens mehrere Tage gebraucht (in New York gibt es viele Arztpraxen und nur wenige Großlabore – da muss an schon ein paar Tage auf Resultate warten, wenn nicht wirklich ein Notfall vorliegt) und zweitens ein paar Hundert Dollar gekostet, die ich aus eigener Tasche bezahlen müsste.
    War das alles wissenschaftlich hieb- und stichfest? Natürlich nicht. Mein Doc ist praktischer Arzt, kein Forscher. Gab es ein Risiko, dass ich dabei eingegangen bin? Ja, aber es war überschaubar, da mein Arzt – das ist einer der Gründe, warum ich ihn mir ausgesucht habe – zu der Sorte gehört, die dank Handy 24 Stunden und sogar im Urlaub erreichbar ist. Und weil er es ernst meinte, als er sagte, dass man ihn bei eventuellen Verschlechterungen sofort anrufen solle.
    Natürlich war dies nur eine Anekdote, die eine offenbar gängige Praxis schildern sollte, der ich bis jetzt, trotz des scheinbaren (oder tatsächlichen) Heilungserfolges, skeptisch gegenüber stand. Doch das Paper, auf das ich verlinkt habe, erklärt einen Mechanismus, der dieser Praxis eine gewisse Plausibilität verleiht. Das Wort “können” verrät ja schon in der Überschrift, dass dies nicht in jedem Fall so sein muss. Alle weiter gehenden Fragen zum Paper sollten Sie allerdings direkt an die Autoren richten (im paper ist Kathleen Sullivan als Kontaktperson identifiziert, sie kann unter der e-Mailadresse sullivak@mail.med.upenn.edu erreicht werden).
    Und noch etwas: Wenn bei 30 von 112 grippetoten Kindern eine Sekundärinfektion festgestellt wurde, ist das gewiss kein unbedeutender Faktor, finden Sie nicht auch?

  6. #6 madamalu
    8. Mai 2009

    Ich habe doch gar keine Fragen zu dem Paper. Ich kann lediglich Ihre Schlussfolgerungen nicht nachvollziehen.

    In der Tat ist gängige Praxis, was Sie schildern. Sie hätten allerdings allen Grund, der auch jetzt skeptisch gegenüberzustehen. Denn sie ist falsch.

    Und das hat Folgen. Nicht nur in Deutschland sterben jedes Jahr Tausende Menschen, weil Bakterien hauptsächlich durch eben diese Praxis unempfindlich geworden sind gegen Antibiotika. Und wenn die versagen ist der Ofen meist aus.

    Es handelt sich also keineswegs um eine Lappalie. Das Problem hat internationale Ausmaße. “Antibiotic resistance has been called one of the world’s most pressing public health problems.” (https://www.cdc.gov/drugresistance/community/anitbiotic-resistance-faqs.htm). Klicken Sie mal ein bißchen rum auf den Seiten von WHO, CDC oder NIH – Sie können’s nicht verfehlen.

    Einen erkälteten Patienten wie Sie ohne Erregernachweis und ohne eindeutige Symptome einer bakteriellen Infektion mit Antibiotika zu behandeln ist ein grober Fehler. Daß der sehr häufig gemacht wird – um so schlimmer.

    Das sollte auch und vor allem ein praktischer Arzt wissen. Es ist seine tägliche Arbeit. Erkältungen führen mehr Patienten zum Arzt als jede andere Diagnose – jedenfalls in Deutschland. In Anbetracht der schwerwiegenden Folgen, die ein systematisch falsches Vorgehen hat – wie Ihr Doktor es offenbar praktiziert – ist das ja wohl nicht zuviel verlangt.

    Dieser – falschen – Praxis kann die Studie schon allein deswegen schwerlich Plausibilität verleihen weil der „Mechanismus“, den das Paper „erklärt“ bei Ihrer Erkrankung gar nicht vorkam – sei es nun eine RSV oder Influenzainfektion gewesen. Der wurde nämlich nur bei schwerer Influenza beobachtet – die Sie mit Sicherheit nicht hatten.

    Wenn man daraus überhaupt was für die Praxis ableiten kann, so noch am ehesten, was ich oben schon gesagt habe: daß bei Erkältungen und leichter Influenza bakterielle Superinfektionen – anders als bei der schweren Influenza – wohl selten sein müssen, eine Antibiotikatherapie also in aller Regel nicht angezeigt sein dürfte. Alles andere ist Kaffeesatzleserei.

    Zu der großen Verbreitung dieser folgenschweren Praxis trägt im übrigen nicht unwesentlich bei, daß so viele – Ärzte wie Patienten – sich so wie Sie etwas plausibel machen, was einfach nicht plausibel ist.

    Es gilt, diese folgenschwere falsche Praxis des Antiobiotikaeinsatzes bei Erkältungen zu bekämpfen, nicht ihr neue Nahrung zu geben mit falschen Argumenten.

    P.S.
    Die Angaben zu influenzabedingten Todesfällen bei Kindern sollten übrigens nur eines: bekräftigen, daß so schwere Infektionen sehr selten sind.

  7. #7 Vadim Jitko
    20. August 2009

    Liebe madamalu,
    es ist sehr lobenswert und nützlich für die Besucher dieses Blogs, dass Sie so fundiert und ausführlich die Offensichtlichkeit der Fehler erörtern. Eins haben Sie aber im Feuer des Gefechts nicht bemerkt: Fehler ist im System und das System kämpft mit unlauteren Mitteln! Es ist ja schon fast offensichtlich, dass Autor Jürgen Schönstein (zweifelhaft, dass er so heißt) ein Werkzeug der (entschuldigen Sie mir die Fäkalsprache) Pharmaindustrie und Pseudomediziner ist, um das systematische Vernichten der Bevölkerung, nebst Tabak, Alkohol, genmanipulierten Nahrung etc. zu verschleiern. Wissenschaftliche Studien und Zeitungsartikel, TV-Sendungen und Seminare für Ärzte, waren schon seit Langem bestellt und bezahlt von denen, die das Harvard-Projekt umsetzen. Nun ist auch Internet eine Plattform für Desinformationsverbreitung geworden.
    Vielen Dank für Ihr Entgegenwirken!