Schön (Jan Hendrik Schön, um präzise zu sein) war der Name des Wissenschaftlers, und unschön war das, was er mit der Wissenschaft anstellte. Ich vermute, dass auch (oder gerade) in Deutschland der Fall des scheinbaren Physik-Wunderkinds, das organische Laser, Leuchttransistoren und Halbleiter aus einem einzigen Molekül basteln konnte und dann als datenfälschender Schwindler entlarvt wurde, noch bekannt genug ist, dass ich hier nicht all zu sehr ins Detail gehen muss – aber wer will, kann es noch einmal in diesem Artikel des aktuellen US-Magazins Physics World nachlesen. Oder warten, bis das Buch “Plastic Fantastic” der Autorin Eugenie Samuel Reich, das die Grundlage des Artikels liefert, auf den Markt kommt.
Ich selbst erinnere mich an den Fall noch sehr gut, weil ich damals selbst hinter dem Skandal hinterher recherchieren musste. Vor allem aber erinnere ich mich daran, dass der Fall Schön als ein blaues Auge der Wissenschaftspublikation gesehen wurde: Kaum 30 Jahre alt, hatte Schön als bis dato kaum bekannter Forscher der Bell Labs in den Jahren 2000 und 2001 dreizehn Dutzend Fachartikel in Science und Nature publiziert, die sich später alle als auf gefälschten Daten oder gar gefälschten (im Sinn von: die durchgeführten) Laborversuchen beruhend entpuppt hatten und widerrufen werden mussten.
In “Plastic Fantastic” versucht die Autorin, soweit ich dies aus ihrem Artikel entnehmen kann, den Aufstieg und Fall Schöns – und vor allem seine Motive, die wohl vor allem mit dem Bedürfnis zu tun hatten, seinen Kollegen zu imponieren – nachvollziehbar zu machen. Das gibt sicher eine spannende Lektüre, doch hier will ich mich mal nur mit der einen Frage befassen, die auch das Buch aufgreift: Hat das Peer-Review-System versagt?
Eugenie Samuel Reichs Antwort (der ich mich damals auch angeschlossen hätte) ist eindeutig: Ja. In ihren Worten:
“Science was corrected in the Schön case, but not by itself – only because indicidual scientists made corrections. (…) The correcting process turned out to be as human and haphazard as the fraud – and certainly less systematic than Schön’s songle-minded committment to keep trying to publish fabrications.”
Meine Position damals war (und die gilt auch heute noch): Wenn in wenigen Monaten Dutzende Artikel über bis dato unmöglich gehaltene Technologien von einem bestimmten Autor vorgelegt werden, müssten eigentlich grundsätzlich alle Warnsignale hochgehen – sooo ignorant kann der Rest der Zunft doch nicht sein, dass er von einem einzelnen “Genie” gleich mit mehreren aus dem Ärmel geschüttelten Durchbrüchen “vorgeführt” werden kann. (Aber da kam wohl der kaiserliche Garderobeeffekt mit ins Spiel – wer traut sich schon zuzugeben, dass er selbst nicht sehen kann, was ein anderer so klar vor Augen hat?) Und da es sich in allen Fällen um die Resultate/Messergebnisse von Laborexperimenten handelte, wäre mir sinnvoll erschienen, dass man mit der Publikation wartet, bis diese entweder von anderen Labors nachgestellt wurden – oder, noch einfacher, den Autor mal in seinem Labor besucht und sich die Experimente vorführen lässt. Wiederholbarkeit ist ja nun eine Voraussetzung von Wissenschaft, und es hätte im Großraum New York (die Bell Labs liegen knapp 50 Kilometer, also kaum mehr als eine Dreiviertelstunde per PKW, von Manhattan entfernt) sicher genug qualifizierte Reviewer gegeben. Aber das ist vielleicht die naive Sicht eines Journalisten, von dem man so etwas ja wohl erwartet hätte …
Aber heute sehe ich die Sache doch etwas differenzierter. Erstens will ich den Reviewern von Science und Nature zugestehen, dass sie erst mal von so einer grundsätzlichen Annahme von akademischer Integrität ausgehen und sich daher vor allem auf die typischen Mängel wissenschaftlicher Paper konzentrieren: Enthält es methodische Fehler, Irrtümer bei der Analyse von Daten, selektives “Cherry Picking” von Testresultaten, überzogene Interpretationen von Ergebnissen etc.? Der Verdacht des groben, skrupellosen Betrugs liegt in einem kollegial und kooperativ geprägten Umfeld sicher weit ferner als in der vom nackten Profitstreben motivierten Wirtschaftswelt. Akademische Reputation mag zwar auch Geld wert sein, weil sie sich in Forschungsaufträge und Stipendien umsetzen lässt – aber reich wird man mit so etwas wohl kaum. Vor allem dann nicht, wenn es sich nicht in patentierbare Resultate umsetzen lässt, was dem Schwindler ja klar sein müsste. So gesehen bietet der Wissenschaftsbetrieb zwar genug Gründe, sich selbst großartiger zu präsentieren als man vielleicht verdient hat – aber für den puren Schwindel, die dreiste und unumwundene Betrügerei fehlt eigentlich der wichtigste Anlass: der schnöde, materielle Profit.
Zweitens war Schön offenbar vor allem mit der Fähigkeit begabt, zu erkennen,was andere von ihm – oder von einem bestimmten Forschungsergebnis – erwarten. Und dementsprechend manipulierte er seine “Ergebnisse” so, dass sie genau in das Spektrum fielen, das ein Reviewer erwarten würde. Oder vielleicht waren es sogar genau die Ergebnisse, die er selbst erwartet hatte – mit anderen Worten, er fiel auf sich selbst rein. So jedenfalls las sich sein Statement, das er vor der internen Untersuchungskommission der Bell Labs abgab:
“Einige dieser Fehler mögen im Zusammenhang mit schwierigen Umständen entstanden sein, andere habe ich nicht rechtzeitig bemerkt. (…) Ich möchte jedoch feststellen, dass alle wissenschaftlichen Publikationen, die ich vorbereitet habe, auf experimentellen Beobachtungen beruhen. Ich habe die verschiedenen physikalischen Effekte, über die in diesen Publikationen berichtet wurde, wie den Quanten-Hall-Effekt, Superleitfähigkeit in verschiedenen Materialien, Lasing, oder Gate-Modulation in selbstorganisierten Monoschichten beobachtet, und ich bin überzeugt dass sie real sind, auch wenn ich dies dem Untersuchungskomitee nicht beweisen konnte.”
Und drittens war der Spuk am Ende doch nur kurzlebig Im September 2002 endete die Karriere des Jan Hendrik Schön unrühmlich mit der fristlosen Entlassung, gefolgt von der Aberkennung seines Doktortitels (den er an der Uni Konstanz eigentlich korrekt erworben hatte) und einer achtjährigen Sperrung durch die Deutsche Forschungsgmeinschaft. Oder, um es mit Abraham Lincoln zu sagen: “You can fool some of the people all of the time and all of the people some of the time – but you can’t fool all of the people all of the time.”
Diese Zeit, die es Schön gelungen war, seine Fachkollegen zum Narren zu halten, ist natürlich nicht unbedeutend – man kann sich nur vorstellen, was mit dem Millionen-Aufwand, den andere Labors in die erfolglosen Wiederholungsversuche der Schön’schen “Experimente” gesteckt hatten, eventuell anderweitig erreichbar gewesen wäre. Aber vielleicht hat der wissenschaftliche Publikationsapparat ja daraus eine kostbare Lektion gelernt, die letztlich sogar zu einer Verbesserung der Qualität – sowohl in der Forschung als auch in der wissenschaftichen Veröffentlichung – geführt hat. Schön wär’s …
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