Dass ich ein längeres Blog-Sabbatical (das ich sehr bald wohl rechtfertigen und beenden werde) jetzt doch mal unterbreche, liegt nur daran, dass ich mir in meinem Journalistenberuf einfach zu oft jene Frage stellen muss, die ich auch als Überschrift gewählt habe. Ohne weiter zu kommentieren, will ich dies an einem aktuellen Beispiel erläutern: Heute (20.10.) ging durch die Medien, dass der indisch-texanische Paläontologe Sankar Chatterjee von der Texas Tech University in Lubbock, Texas, seine Kollegen mit der These geschockt habe, dass das Aussterben der Dinosaurier, das den Übergang von der Kreidezeit zum Tertiär markierte, nicht durch einen Asteroiden-Einschlag verursacht wurde, sondern von zweien – dem bekannten Chicxulub-Einschlag bei Yucatan und einem zeitgleichen vor dem indischen Subkontinent, den er als “Schiwa” bezeichnet. Nachzulesen ist die Meldung hier, hier, hier oder auch hier, um mal ein paar Beispiele anzuführen. Die allen Wahrscheinlichkeitsrechnungen widersprechende Zeitgleichheit der Ereignisse könne dadurch erklärt werden, dass es sich um zwei Fragmente eines größeren Asteroiden gehandelt habe.
So weit, so gut (und vielleicht auch, so unbewiesen). Der Haken ist nur, dass ich vor mehr als zwölf Jahren zur Publikation in deutschen Zeitungen zu exakt dem gleichen Thema mit Chatterjee geredet hatte. Wer Lust hat, kann ja mal obige Quellen durchlesen und sie dann mit dem Nachfolgenden vergleichen, was ich damals geschrieben hatte. Und mir dann verraten, was daran neu ist …
Ein astronomischer “Doppelschlag” löschte Saurier aus
Utl.: Asteroid zerbrach vor 65 Millionen Jahren, ähnlich wie Shoemaker-Levy
Springer-Auslandsdienst, New York, 22. Mai 1997
Sie waren vermutlich die großartigsten und erfolgreichsten Wesen, die jemals die Erde bevölkert haben: 130 Millionen Jahre lang waren die Dinosaurier uneingeschränkte Herrscher der Welt. Doch eines Tages, vor genau 65 Millionen Jahren, schlug das Schicksal mit einer steinernen Riesenfaust zu: Ein gewaltiger Asteroid krachte mit 90.000 Stundenkilometern auf die Erde und explodierte mit der Wucht von 100 Millionen Megatonnen Sprengstoff – das ist das Tausendfache aller Nuklearsprengköpfe der Welt zusammengerechnet. Die Saurier, die den Druck-, Hitze- und Flutwellen entgangen waren, starben spätestens im jahrzehntelangen Winter, der durch gewaltige Aschewolken in der Atmosphäre verursacht wurde.Dieses Szenario, Anfang der 80er Jahre von den amerikanischen Erdwissenschaftlern Luis und Walter Alvarez an der Universität von Kalifornien in Berkeley entwickelt, wird heute von der Mehrheit der Paläontologen akzeptiert. Im Jahr 1991 wurde dann auch tatsächlich vor der mexikanischen Halbinsel der gewaltige Chicxulub-Kraters mit etwa 150 Kilometern Durchmesser entdeckt, der genau vor 65 Millionen Jahren durch einen Asteroiden von etwa zehn Kilometern Durchmesser (diese Größe hatte das Alvarez-Team errechnet) entstanden war.
Doch nun hat der indische Geowissenschaftler und Paläontologe Sankar Chatterjee, Professor an der Texas-Tech- Universität in Lubbock noch einen weiteren Krater entdeckt, der zur gleichen Zeit wie Chicxulub entstanden war. Um diesen tropfenförmigen Krater, der mit 600 Kilometern
Länge und 450 Kilometern Breite deutlich größer als sein mexikanischer “Konkurrent” ist, überhaupt finden zu können, bedurfte es einiger Phantasie: Durch die Wucht des vermutlich 40 Kilometer durchmessenden Asteroiden war die Erdkruste an der Einschlagstelle gebrochen; dieser sogenannte Carlsbad-Rücken läuft mitten durch den indischen Ozean und hat den Krater in zwei Hälften getrennt, die durch die Kontinentaldrift inzwischen 2800 Kilometer voneinander entfernt sind. Chatterjee taufte diesen Krater Schiwa, nach dem Hindu-Gott der Zerstörung; eine Hälfte liegt bei den Seychellen, die andere im Meer vor Bombay an Indiens Westküste.Geologische Messungen ergaben, daß die beiden Krater, Chicxulub und Schiwa, genau gleich alt sind – und genau zu jener Zeit entstanden, als plötzlich alle fossilen Spuren der Saurier aufhörten (geologisch ausgedrückt war dies die Grenze zwischen der Kreidezeit und dem Tertiär). Diese Grenzschicht wird durch einen auffallend hohen Iridium-Gehalt markiert – ein Metall, das auf der Erde nur selten vorkommt, aber typisch für Asteroiden ist. Da Meteoriten von mehr als zehn Kilometer Größe rein statistisch nur alle 40 Millionen Jahre die Erde treffen, wäre es jedoch ein unglaublicher Zufall, wenn sich gleich zwei Asteroiden so kurz nacheinander unseren blauen Planeten als Ziel ausgesucht hätten.
Chatterjees Theorie, die sich auch mit den spärlichen mineralogischen Hinweisen deckt, die bisher aus den tief unter dem Meer liegenden Kratern geborgen wurden: Ein wesentlich größerer Asteroid ist – ähnlich wie der Komet Shoemaker-Levy 9, der 1994 wie eine Gewehrsalve auf dem Jupiter einschlug – in mehrere Teile zerbrochen. Der erste Schlag traf an der Stelle des heutigen indischen Ozeans und riß den Schiwa-Krater; zwölf Stunden später schlug der kleinere zweite Teil an jener Stelle ein, die wir heute Yucatan nennen. Der geballten Wucht dieses Doppelschlags hatten die Saurier nichts entgegenzusetzen. Tatsächlich starben fast 99 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten als Folge der Katastrophe aus; daß die kleinen, spitzmausartigen Säugetiere oder auch die leichten Vögel überlebten, haben sie vermutlich ihrer Warmblütigkeit zu verdanken.
Doch dies ist nicht der einzige Beweis, den Chatterjee für das Schicksal der Dinosaurier ins Feld führen kann. Zweifler an der Meteoriten-Theorie gehen davon aus, daß die Saurier längst degeneriert waren und ihren biologischen Höhepunkt überschritten hatten – der Asteroid, wenn er überhaupt etwas mit dem Tod der Tiere zu tun hatte, habe allenfalls beschleunigt, was sowieso schon unausweichlich war. Ihr Hauptargument: Wenn alle Tiere plötzlich und auf einen Schlag gestorben sind, müßte es doch massenhaft Knochenfunde genau unterhalb der dünnen Iridiumschicht geben, die wie ein geologisches Lesezeichen das Ende der Saurierzeit markiert. Doch Fossilien sind in diesen Schichten rar – waren die Saurier also schon längst verschwunden?
Dem widerspricht ein Fund, den Chatterjee und sein Kollege Dhiraj Kumar Rudra, Geologe des Indischen Statistischen Instituts, gemacht haben: Entlang einer etwa tausend Kilometer langen Linie, die sich von Anjar im Bundesstaat Gujarat bis nach Jabalpur in Madhya Pradesh zieht, fanden sie hunderte von fossilen Titanosaurier-Gelegen, die exakt aus der Zeit des Meteoriteneinschlags stammen. Diese Gelege sind alle intakt (in der Tat werden die Steineier von einigen einheimischen Stämmen in Gujarat als heilig verehrt), es gibt keinerlei Anzeichen, daß Tiere geschlüpft sind – und auch keine Hinweise darauf, daß die Eier durch degenerative Schäden sowieso unfruchtbar waren.
Chatterjee ließ Knochen des pflanzenfressenden Titanosaurus, die praktisch schon in der Iridium-Schicht gefunden wurden, von dem Experten Moses Atrep am Los Alamos National Laboratory untersuchen. Ergebnis: Obwohl die umliegende Gesteinsschicht deutlich erhöhte Iridiumwerte aufweist, ist dieses Metall in den Knochen nur in der geringen Menge nachzuweisen, die auf der Erde von Natur aus vorkommt. Diese Saurier sind also mit großer Wahrscheinlichkeit durch eine Katastrophe unmittelbar vor einem Iridium-Ascheregen ums Leben gekommen, ehe sie ihre Eier ausbrüten konnten.
Kommentare (10)