Über ein Buch zu schreiben, dass man noch nicht selbst gelesen hat, wäre mit “voreilig” wahrscheinlich noch großzügig abgeurteilt. Und nein, ich habe bisher noch nicht die Zeit gefunden, das Buch “The Immortal Life of Henrietta Lacks” von Rebecca Skloot zu lesen. Die Geschichte der 31-jährigen Frau aus dem Baltimore-Vorort Dundalk, die am 4. Oktober 1951 an den Folgen einer aggressiven Form von Gebärmutterhalskrebs starb und deren Krebszellen in Labors weltweit weiterleben, ist an sich schon faszinierend. Und ich werde im Folgenden auch darauf weiter eingehen. Aber dies hier ist keine Buchrezension; die Frage, die mich – angestoßen durch das, was ich aus dem und über das Buch gelesen habe – seither beschäftigt ist: Sind Menschen, oder zumindest ihre Zellen, patentierbar? (Das Fass mit der patentierten DNA will ich hier gar nicht erst aufmachen …)
In den paar Stunden, die ich für die Recherche frei machen konnte, habe ich natürlich gerade mal an der Oberfläche dieser Angelegenheit kratzen können, und die juristische Expertise zu solchen Fragen fehlt mir gleich ganz und gar. Spontan würde ich vermutlich wie die Angehörigen von Henrietta Lacks reagieren, die erst 1975 durch Zufall – laut einem Artikel im Baltimore City Paper vom 14. April 2002 – erfuhr, dass die Zellkulturen ihrer Mutter jene HeLa-Zellen waren, die Milliardenfach in der medizinischen Forschung eingesetzt werden: verstört und empört. Wobei ich aus dem, was ich bisher gelesen habe (unter anderem einen Artikel aus dem Jahr 2001, den Rebecca Skloot damals für die New York Times geschrieben hatte), folgern kann, dass es den Angehörigen nicht um irgend eine finanzielle Kompensation für die ohne Wissen und Zustimmung entnommenen Zellproben geht, sondern in erster Linie um Anerkennung.
Hier sollte man ergänzen, dass damals die Empfindlichkeit vor allem in der afroamerikanischen Bevölkerung gegen nicht autorisierte Forschung besonders groß war: 1972, also nur etwa drei Jahre vor der Enthüllung der HeLa-Herkunft, war bekannt geworden, dass der nationale Gesundheitsdienst der USA vier Jahrzehnte lang schwarze Landarbeiter aus Alabama ohne ihr Wissen für das so genannte Tuskegee Syphilis Experiment missbraucht hatte: 128 der 399 Patienten waren im Lauf der “Studie” an unbehandelter Syphilis gestorben.
Henrietta Lacks’ unaufhörlich wachsende Krebszellen waren mit dabei, als Dr. Jonas Salk den Impfstoff gegen Polio fand; sie flogen mit dem Space Shuttle ins All, sie dienen der Erforschung aller denkbarer Krankheiten, von der Grippe bis zu Parkinsons. Der Nutzen ist unbestreitbar, und die Hinweis darauf, dass ein kleiner Teil von Henrietta Lacks damit praktisch unsterblich geworden ist und eine geradzu gigantische “Körpermasse” – im Vorwort zu ihrem Buch zitiert Rebecca Skloot einen ungenannten Wissenschaftler mit der Schätzung von “50 Millionen Tonnen” – erreicht hat, ist vielleicht gruselig, aber nicht wirklich sachdienlich. Denn entscheidend scheint hier, dass die Johns Hopkins University, in deren Klinik Henrietta Lacks behandelt worden war, nach eigenen Angaben die Zellkulturen nie kommerziell verwertet oder gar patentiert hatte. Und die Anerkennung für den unfreiwlligen Beitrag, den Henrietta zur Forschung geleistet hat, wurde inzwischen zumindest teilweise gezollt: Seither sind mehrere Artikel in verschiedenen Publikationen erschienen; selbst Rebecca Skloot hatte schon vor einem Jahrzehnt die Story der HeLa-Zellen erzählt (unter anderm im Johns Hopkins Magazine vom April 2000). Und spätestens jetzt ihr endlich veröffentlichtes Buch (an dem sie seit einem Jahrzehnt schreibt) bringt die Story einer breiten Leserschaft nahe.
Doch beim Herumstöbern zu dem Thema bin ich auch auf einen weiteren Artikel der gleichen Autorin, ebenfalls in der New York Times, gestoßen. Und der ist weitaus beunruhigender: Es ist in der Tat denkbar, dass ein Arzt oder Forscher sich die Zellen eines Patienten patentieren lässt und anschließend kommerziell vermarktet – mit der bizarren Folge, dass dieser Patient dann nicht mal mehr das Recht hätte, eine Blut- oder Gewebeprobe für Forschungszwecke abzugeben, da er damit diese Patentrechte verletzten würde. Klingt – zumindest für den Laien – einigermaßen absurd und konstruiert. Doch genau dieser Fall wurde bereits vor zwei Jahrzehnten entschieden – und zwar gegen den Patienten.
In der Sache John Moore vs. Regents of University of California entschied ein Gericht in Kalifornien, dass die Patent- und damit Verwertungsrechte an Zellkulturen, die der Krebsforscher Dr. David Golde dem Leukämiepatienten John Moore entnommen hatte, in der Tat alleine bei Golde und der Universität liegen. Doch im Gegensatz zu den HeLa-Zellen war bei diesen Mo-Zellkulturen eine Menge Geld im Spiel: Die Zellen – die dahingehend einmalig waren, dass sie entzündunsghemmende Proteine produzierten und für die HIV-Forschung relevante Informationen enthielen – hatten laut dem genannten Gerichtsurteil einen Marktwert von mehr als drei Milliarden Dollar; Golde konnte zudem einen Deal mit dem Genetics Institute abschließen (heute ein Teil des Pfizer-Konzerns), der ihm jährlich zwischen 330.000 und 440.000 Dollar als “Beraterhonorar” einbrachte. Ähnlich gelagert, wenn auch letztlich durch eine außergerichtliche Einigung beigelegt, war der Streit zwischen der Familie Greenberg und dem Miami Children’s Hospital, der darum entbrannt war, dass das Krankenhaus sich die genetische Information der Greenberg-Kinder patentieren ließ, die an der so genannten Canavan-Krankheit litten und deren Behandlung die Greenbergs mit Spenden mehrerer Hilfsorganisationen finanziert hatten.
Und spätestens hier setzt das Unbehagen ein: Unbestreitbar ist, dass Forschung undenkbar wäre, wenn Gewebeproben immer nur mit der ausdrücklichen Zustimmung der biologischen Eigentümer verwendet werden dürften. Unbestreitbar ist zudem, dass es sich bei den Zellen generell um etwas handelt, das die Patienten ausdrücklich aus ihrem Körper entfernt haben wollten. Zudem ist die Lagerung und Kultivierung der Zellen eine teure Angelegenheit. Sollte man dem Patienten dafür dann etwa anteilige Kosten in Rechnung stellen?
Doch andererseits kann es der Freiheit der Foschung auch nicht gerade dienlich sein, wenn durch solche Patente einer einzelnen Institution – ob nun Pfizer oder die University of California – eine monopolistische Kontrolle über diese Zellkulturen gegeben wird. Hinzu kommt, dass zumindest in den USA die Regel gilt, dass Patente, die ein Forscher im Lauf seiner akademischen Arbeit entwickelt, geistiges Eigentum der Universität sind, die ihn bezahlt. Und dies gilt auch für die Gewebeproben, die er für seine Forschungstätigkeit angesammelt hat, wie der Fall Catalona zeigt:
Dr. William Catalona, ein prominenter Spezialist für Prostatakrebs, hatte während seiner Tätigkeit an der Washington University in St. Louis Gewebeproben von rund 6000 Patienten gesammelt, die mehrere Kühltruhen in der Gewebe-Datenbank der Universität füllten. Der Wert der Gewebsammlung wurde auf 15 Millionen Dollar geschätzt. Doch dieser akademische Wert wurde zum Streitwert, als die Uni erfuhr, dass Catalona die Prostata- und Serum-Proben freigiebig – und kostenlos – mit Forscherkollegen geteilt hatte (offiziell warf sie ihm vor, Proben eigenmächtig vernichtet zu haben), entzog sie ih die Verfügungsgewalt. Daraufhin wechselte Catalona zur Northwestern University in Chicago und wollte “seine” Gewebeproben – von seinen Patienten, die ihm persönlich dazu Vollmacht erteilten – an seine neue Wirkungsstätte mitnehmen. Die Uni klagte.
Der Fall wurde – mit dem Segen des US-Verfassungsgerichts – vor zwei Jahren zu Gunsten der Uni entschieden. Trotz der Tatsache, dass 6000 Patienten Catalona namentlich und ausdrücklich auf ihren Freigabeformluaren für die Gewebeproben benannt hatten und sich mehrere Patienten zudem noch als Streithelfer an die Seite Catalonas gestellt hatten. Wie im Fall John Moore war auch hier das Gericht der grundsätzlichen Ansicht, dass Patienten zwar uneingeschränkt über die Zellen bestimmen können, die ihren Körper ausmachen – aber nur so lange, wie sie auch physisch Teil dieses Körpers sind.
Juristisch mag das alles begründbar sein, aber in diesem Fall fällt es mir schon schwer zu erkennen, dass dies ein Sieg der Forschung sein sollte (die Washington University sieht es jedenfalls so). Unterm Strich bedeutet es, dass einer der führenden Forscher auf seinem Gebiet – Catalona ist der Entwickler des prostataspezifischen Antigen-Tests (PSA-Screening) zu Früherkennung von Prostatakrebs – von einem Großteil seiner bisherigen Arbeit abgeschnitten wird. Und es scheint in der Tat eher so, dass hier die – kommerziellen? – Interessen einer Institiution über die des Forschers und der Patienten gestellt wurden, wie Catalona befürchtete. “Manchmal schützen Universitäten ihre Interessen zum Schaden der Patienten”, hatte er in dem NYTimes-Artikel geunkt.
Aber immerhin hatten seine Patienten eine Chance, ein Wort mitzureden – die hatten Henrietta Lacks, und in gewissen Grenzen auch John Moore, nie bekommen.
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