Ob ein Krebs-Patient nun Hautcreme vor einer Bestrahlungsbehandlung auftragen sollte oder nicht, mag auf den ersten Blick als eine geradezu läppische Nebensache im medizinisch-technischen Konzert der Krebs-Therapien wirken. Doch wie ich aus meiner ganz subjektiven – also nicht-randomisierten, nicht doppelt verblindeten und nicht-placebokontrollierten – Erfahrung weiß, sind es oft die Nebenerscheinungen der Therapie, wie beispielsweise Übelkeit und Schwindelgefühle bei der Chemotherapie oder Hautirritationen und -Infektionen bei der Radiotherapie, die den Patienten die Lebensqualität und sicher nicht selten den Mut zum Durchstehen der Behandlung rauben. Das solche Nebenerscheinungen oft mit – aus streng wissenschaftlicher Sicht – unkonventionellen Methoden behandelt werden, habe ich schon mehrfach geschrieben, und scheine damit zum Beispiel hier und hier in eine Art Wespennest gestochen zu haben – obwohl es dabei nie um Heilungsansprüche ging, sondern stets um das, was man neudeutsch wohl als “Wellness” bezeichnen würde. Und auch das Paper, das ich hier ansprechen will und das im Clinical Journal of Oncology Nursing veröffentlicht wurde, könnte ein solcher “Störfall” sein – allein schon, weil es nicht von forschenden Akademikern, sondern von zwei praktizierenden Krankenschwestern erarbeitet wurde.
Womit ich übrigens nichts gegen den Beruf und vor allem die – in den USA auch akademisch mögliche – generell hochkarätige Ausbildung der so genannten “Registered Nurses” (was wohl etwa unseren staatlich geprüften Krankenschwester entsprechen dürfte) sagen will. Aber es ist sicher eine Ausnahme, wenn Krankenschwestern nicht die Helfer, sondern die Initiatoren eines Forschungsprojekts sind. In diesem Fall ging es darum, dass sich die Initatorin der Studie, Trish Biek, R.N. vom James P. Wilmot Cancer Center der New Yorker Rochester University, mal Gedanken darüber gemacht hatte, warum das National Cancer Institute (NCI) den Bestrahlungspatienten empfiehlt, spätestens vier Stunden vor der Behandlung auf die Anwendung von Hautlotion zu verzichten. Die dahinter stehende Logik war, dass beispielsweise durch den Auftrag von Lotion die Haut verdickt und daher die Strahlungsbelastung an der Oberfläche verstärkt werden könnte. Andererseits kann unbehandelte Haut durch die Strahlung beschädigt oder jedenfalls gereizt werden. Die Vier-Stunden-Regel war offenbar ein Kompromiss.
Aber einer, der durch nichts belegbar ist, wie die Krankenschwester heraus fand: Sie studierte relevante Fachpublikationen, befragte Fachleute, wandte sich an andere Krebszentren und Berufsorganisationen. “Beim näheren Hinsehen fand ich kaum Belege, die diese Vier-Stunden-Regel unterstützen”, wird die Krankenschwester in der oben verlinkten Pressemitteilung des James P. Wilmot Cancer Center zitiert. “Statt dessen beruhte diese Praxis auf einer historische Praxis – in anderen Worten, ‘weil das so ist, wie wir’s immer gemacht haben’.” Wie sie selbst zugibt, steht ihre Forschung leider auf dünnen Beinen – weil es bisher eben nur fünf wissenschaftliche Papers gab, die sich überhaupt mit der Frage befasst hatten. Aber davon, dass die Vier-Stunden-Regel für die Verwendung von Hautlotion nicht evidenzbasiert ist, hat sie das NCI – und ihre eigene Klinik – schon mal überzeugen können. Nichts deute darauf hin, dass durch den Auftrag von Hautcreme die Strahlenbehandlung beeinträchtigt werde, und daher sei es dem Patienten selbst überlassen, wann und wie oft er sich die malträtierten Stellen eincremt – so lange er es nicht unmittelbar vor der Behandlung tut.
Kommentare (5)