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Die Story lag noch aus der gestrigen New York Times auf meinem Tisch: Der Stamm der Havasupai, der im Grand Canyon lebt, hatte sich mit der Arizona State University darüber verkracht, wie genetisches Material, das ASU-Forscher vor einem Jahrzehnt von rund 100 Stammesmitgliedern eingesammelt hatten, verwendet wurde. Eingesammelt wurde es zur Erforschung der überproportional hohen Diabetes-Anfälligkeit der Havasupai, doch die Proben wurden dann auch für weitere Studien verwendet, unter anderem über psychische Störungen und – für die Havasupai sicher das ärgerlichste – die geographische Herkunft des kleinen Volkes (worin die Wissenschaft der Stammesfolklore zu widersprechen scheint). Dieser “Missbrauch” kostete die Uni nun 700.000 Dollar an Abfindung für den Stamm, nicht eingerechnet die 1,7 Millionen Dollar an Anwalts- und Verfahrenskosten.

Das Thema ist insofern mehr als eine lokale Anekdote, weil es erstens grundsätzliche Fragen der Forschungspraxis aufwirft und zweitens zum ersten Mal finanzielle Schadenersatzansprüche daraus ableitet, dass die DNA-Spender zwar nicht körperlich, aber in ihrer Entscheidungsfreiheit beschädigt worden seien. Die Frage wird in der New York Times auch hier noch einmal kurz diskutiert.

Ich finde die Diskussion auch recht spannend; davon abgesehen, dass die Havasupai, die sich zwar einen malerischen, wenn ziemlich unwirtlichen Lebensraum auserkoren haben (das Pro-Kopf-Einkommen liegt hier unter 10.000 Dollar im Jahr, das ist 60 Prozent unter dem Durchschnitt in Arizona), jede materielle Zuwendung brauchen können, fällt es mir schwer nachzuvollziehen, welchen Schaden sie tatsächlich erlitten haben. Dass ihre Stammeslegende, nach der sich der Canyon nach einer Sintflut gebildet hatte und dort die Wiege der Menschheit liegt, auch ohne eine genetische Bestätigung der Abstammung von asiatischen Urzeit-Einwanderen wissenschaftlich keinen Bestand haben konnte, darf man den ASU-Forschern nun auch nicht zum Vorwurf machen. Zudem wurden die Blutproben – die nun alle zurück gegeben werden müssen – auch nicht für kommerzielle Zwecke oder Entwicklungen benutzt, wie es in etwas abgewandelter Form bei den Krebszellen von Henrietta Lacks der Fall war.

Aber andererseits hätte es vermutlich auch die Forschung nicht wirklich behindert, wenn man sich vor der Zweit- und Drittverwertung des Materials noch einmal bei den Spendern vergewissert hätte, dass sie damit auch einverstanden sind. Denn selbst – oder gerade – bei genetischen Analysen kann das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen zum tragen kommen, wie die – sicherlich nur als Urban Legend erklärbare, aber doch immer wieder gerne kolportierte – Anekdote über einen Biologielehrer zeigt, der seiner Klasse die Vererbbarkeit von Blutgruppen demonstrieren wollte und dabei ungewollt aufdeckte, dass der vermeintliche Vater eines Schülers gar nicht dessen biologischer Erzeuger sein konnte.

Foto: Moondigger via Wikimedia, unter Creative Commons CC-By-SA-2.5

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Kommentare (5)

  1. #1 ka
    23. April 2010

  2. #2 Arnd
    23. April 2010

    Viele Leute lieben eben ihre Ignoranz…

  3. #3 Minerva
    23. April 2010

    Meine Großmutter weigert sich beharrlich eine DNA Probe zu Verfügung zu stellen. Wir haben eine Genmutation in der Familie, die offenbar über die mütterliche Seite vererbt wird und in unserem Fall vergleichsweise keine große Sache ist. Es gibt einer Forschgruppe, die an diesem Phänomen arbeitet und sich über DNA freuen würde – aber meine Großmutter möchte egal wie nicht als Gendefektüberträger dastehen, wahrscheinlich ein Relikt ihrer Erziehung in der Nazizeit -> Erbkranheiten gehen eben garnicht.

    Irgendwann ist eben das Ende von sachlichen Argumenten erreicht, dann kann man zwarmit den Schultern zucken, muss das aber hinnehmen (extra schreibe ich nicht “respektieren”).

  4. #4 Karl Mistelberger
    23. April 2010

    In einem Seitenarm des Grand Canyon siedelt nämlich seit vielen Jahrhunderten der Stamm der Havasupai-Indianer. Und da das Areal bis heute so schwer zugänglich ist, leben die Havasupai so isoliert, wie kein anderer Indianerstamm in den USA.

    dass die Havasupai, die sich zwar einen malerischen, wenn ziemlich unwirtlichen Lebensraum auserkoren haben (das Pro-Kopf-Einkommen liegt hier unter 10.000 Dollar im Jahr, das ist 60 Prozent unter dem Durchschnitt in Arizona), jede materielle Zuwendung brauchen können

    Auf dieser Welt gibt es Entlegenere und Bedürftigere:

    Over the next century the tribe used the United States judicial system as a means of fighting for the restoration of the land which had been unceremoniously taken from them. In 1975, after years without progress, the tribe succeeded in regaining 251,000 acres of their ancestors’ land with the passage of Congressional bill S. 1296.

    Besides their battle on Capitol Hill, the Havasupai are well-known for the area in which they reside. As a means of surviving and flourishing in the modern economy the tribe has turned its land, which consists of richly colored waters and its awe-inspiring waterfalls, into a bustling tourist hub that attracts thousands of people every year.

    Knappe Worte aus der Wikipedia, aber es besteht kein Zweifel daran, dass diese Leute in der glücklichen Lage sind, selbst zu bestimmen, wieviel Dollar genug sind. Würden sie mehr brauchen ließen sie mehr Touristen in ihr Land ohne die saftigen Preise zu verderben.

    Wer nett zu ihnen ist kann dort auch heiraten: https://www.southwestclimbers.com/wedding/Picture%20Pages/Ceremony.html

  5. #5 ZA
    23. April 2010

    Äh, wie, wo soll der Schaden bei dem Stamm liegen?
    Das ist eine Sache von Wissenschaftsethik und ich finde es sehr gut und richtig, dass man da um Prinzipien kämpft. Letztendlich schadet sich die Wissenschaft außerdem selbst wenn sie über den Kopf der Probanden/Spender von DNA/etc hinweg entscheidet und gegen Absprachen verstößt, spätestens wenn man das nächste Mal etwas von der entsprechenden Gruppe will.