Vielleicht wird da ja noch eine Serie draus (und vielleicht liegt es an meinem eigenen Status als de-facto-Einwanderer in den USA, dass ich auf solche Themen anspringe): Professor Tim Wadsworth, Kriminal-Soziologe an der University of Colorado in Boulder, vertritt in einem Paper, das in Social Science Quarterly veröffentlich wurde, die These, dass Einwanderung nicht etwa eine erhöhte Kriminalität zur Folge hat (eines der beliebtesten Argumente von Einwanderungsgegnern, nicht nur in den USA), sondern im Gegenteil: Ein Anstieg der Einwanderung könnte erklären, warum in den Zielregionen die Verbrechensrate sinkt.
Die These an sich stammt gar nicht von Wadsworth, sondern von dem Harvard-Soziologen Robert J. Sampson, dem dieser mögliche Zusammenhang bei der Analyse von Kriminalitätsraten in unterschiedlichen ethnischen Vierteln in Chicago aufgefallen war. Wadsworth unterzog sie aber einer breiteren Überprüfung. Dazu hatte er anhand der Verbrechensstatisik des FBI und der Daten des US-Census 459 Städte mit jeweils mehr als 50.000 Einwohnern analysiert. Natürlich musste er allerlei andere Faktoren herausrechnen und korrigieren, aber letztlich kam er zu dem Schluß, dass der Zuwachs von neuen Einwanderen beispielsweise zu 9,3 Prozent zum Rückgang der Tötungsdelikte beigetragen hat. Ich musste da mal ein bisschen herumrechnen, aber bei einer gegenüber 2008 um zehn Prozent gesunkenen Mordrate 2009 von 5,4 pro 100.000 Einwohner und insgesamt 307 Millionen Menschen in den USA komme ich auf rund 1840 weniger Morde – mit andern Worten: Rein statistisch hätte somit der Zufluss von Einwanderern im vergangenen Jahr etwa 170 Menschenleben in Amerikas Städten gerettet. Bei Raubüberfällen liegt dieser Reduktionseffekt sogar bei 22,2 Prozent. Ist doch was …
Okay, das ist natürlich nur eine Korrelation, die bekanntlich nichts über Kausation und schon gar nichts, wegen des hohen Abstraktionsgrades, über die konkreten Verhältnisse in spezifischen Wohnvierteln aussagen kann. Sampson vermutet beispielsweise stabiliere Familienverhältnisse bei den Einwanderern als erklärenden Faktor; wer lieber negativ denkt, könnte den Effekt als eine self-defeating prophecy erklären: Gerade weil die latente Gefahr durch Einwanderer so groß ist, erhöht sich die Polizeipräsenz in den entsprechenden Kommunen und Wohnvierteln, was dann wiederum zu einer Verringerung der Verbrechensraten führt … was allerdings der Alltags-Erfahrung widersprechen würde: Einwanderer sind, so lange sie keine Staatsbürger sind, auch keine Wähler, und Kommunalpolitker neigen eher dazu, ihre knappen (und stetig knapper werdenden) Polizeiressourcen dazu zu verwenden, dass damit ein möglichst großer Effekt – in der Realität ebenso wie in der Wahrnehmung – bei potenziellen Wählern und Wahlkampfspendern erzielt wird.
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