So stelle ich mir als Nicht-Fachmann das Prinzip die medizinischen Forschung vor: Grundlagenforscher entdecken ein Molekül/Gen/Protein etc. mit dem Potenzial, die Entstehung oder Ausbreitung einer Krankheit wie Krebs, Aids, oder auch dem gewöhnlichen Schnupfen, zu verhindern oder zu hemmen. Staatliche Institute und Pharma-Stiftungen fördern die weitere akademische Forschung, die schließlich die Basis für konkrete Medikamente/Therapien bildet; Pharmahersteller betreiben die letzte Phase der Entwicklung, die letztlich zudem führt, was der Arzt dann auf den Rezeptblock kritzeln kann.
Irgendwie so sollte es wohl sein – doch offenbar klafft hier eine enorme Lücke: das “Tal des Todes” (Valley of Death), wie es im Sprachgebrauch der Forscher offenbar genannt wird und auf das nun das US-Magazin Newsweek in seiner aktuellen Coverstory hinweist: Die Zahl der neu zugelassenen Medikamente ging, trotz steigender staatlicher Förderung, drastisch zurück: Während zwischen 1996 und 1999 noch insgesamt 157 neue Medikamente von der FDA zugelassen worden seien, habe sich diese Zahl in den Jahren 2006 bis 2009 auf 74 reduziert. Und das, obwohl das Budget der National Institutes of Health – als ein indikator für die Entwicklung der Grundlagenforschung – seit 1998 von etwa 13,5 Milliarden auf heute 31 Milliarden Dollar gestiegen sei.
Eine der Ursachen, die das Blatt für die Entwicklung verantwortlich macht, ist die Neigung der staatlichen Gesundheitsinstitute, Fördergelder vor allem für Grundlagenforschung auszugeben – aber der nächste Schritt, diese grundlegenden Resultate zu “operationalisieren” und zum Beispiel den konkreten molekularen Effekt eines Gens auszuforschen, sei für die Pharmaindustrie noch zu grundlegend, aber für den akademischen Erfolg nicht mehr grundlegend genug:
“The incentive driving academic labs is grants for creative, innovative research, and you’re not going to get one to learn how much of a compound kills a rat”
umschreibt Kenneth Chahine, ein Patentrechtsexperte der University of Utah das Dilemma der Forscher. Ein anderer, namentlich nicht genannter Experte einer Gesundheitsstifung beklagt:
The way science careers are structured, big labs get established based on a theory or a target or a mechanism, and the last thing they want to do is disprove it and give up what they’re working on. That’s why we have so many targets. We’d like people to work on moving them from a ‘maybe’ to a ‘no,’ but it’s bad for careers to rule things out: that kind of study tends not to get published, so doing that doesn’t advance people’s careers.
Ein weiteres Problem ist das amerikanische Patentrecht: Offenbar sind Erkenntnisse nicht mehr schützbar, wenn sie vorher schon publiziert wurden. Genau dies jedenfalls sei dem Forscher Robert Sackstein passiert, der ein Molekül entdeckt hatte, durch das Stammzellen quasi auf eine bestimmte Gewebeart – in Sacksteins Fall waren dies Knochenzellen – programmiert werden können. Weil er dies 2008 in einem Paper in Nature Medicine veröffentlicht hatte, sei ihm, wie Newsweek schreibt, ein US-Patent verweigert worden. Doch selbst wenn, wie in diesem Fall, die europäischen und japanischen Patenbehörden diesen Schutz gewähren, winkt die multinationale Pharmaindustrie hier ab: Ohne den Exklusivschutz für den US-Markt lohnt sich die ganze Rechnung der Entwicklung nicht. Aber Forschung, deren Ergebnisse nicht publiziert werden darf, ist aus akademischer Karriere-Sicht so gut wie keine Forschung …
Wie realitätsnah der Newsweek-Artikel tatsächlich ist, kann ich als Leser natürlich nicht beurteilen. So unvorstellbar es scheint, wenn erfolgversprechende Entdeckungen, die potenziell enorme Heilpotenziale haben – das Blatt schildert gleich zu Anfang den Fall des Peptids A5G27, das 2004 von der NIH-Forscherin Hynda Kleinman und ihren Kollegen entdeckt wurde und durch das die Metastasierung von Krebszellen blockiert werden kann – einfach durch den Rost fallen, weil es niemanden gibt, der sich für die Weiterführung hin zur konkreten Heilanwendung zuständig oder berufen fühlt (Hynda Kleinman selbst ist eine Pharmazeutin, die in der Dentalforschung arbeitet, mit Krebsforschung also nichts zu tun hat), so drängend scheint das Problem inzwischen zu werden: “Die Grundlagenforschung ist sehr gesund in Amerika”, zitiert Newsweek den Stanford-Professor John Adler. “Aber die Patienten haben nichts davon. Unser Verständnis von Krankheiten ist größer denn je. Aber Akademiker denken ‘Wir hatten drei Papers in Science oder Nature, also muss das Geld der NIH doch gut angelegt gewesen sein.”
Der Senator Arlen Specter jedenfalls will mit noch ein bisschen mehr Geld dieses Tall des Todes wenigstens ein bisschen auffüllen: Die von ihm angeregte Intiative eines Cures Acceleration Network wurde in das Gesundheitsreform-Paket der Obama-Regierung aufgenommen, es soll bei den NIH angesiedelt werden und mit einer halben Milliarde Dollar die Weiterentwicklung erfolgversprechender Grundlagen-Resultate fördern.
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