Ich denke mal, dass ich mich in der Reihe der Leute, die nicht viel von Craig Venter halten (muss ich dem Mann jetzt wirklich einen Link spendieren – näh!), gaaanz weit hinten anstellen müsste, hinter echten Biologen, Chemikern, Biochemikern, eigentlich Forschern aller Art. Was ich von ihm halte, wird also die Fachwelt etwa ebenso beeindrucken wie ein Niesen im Sturm. Aber es ist Freitagabend, und darum will ich noch vor dem Wochenende den Gedanken Luft machen, die mir als Reaktion auf Venters Ankündigung, eine Zelle “geschaffen” zu haben, durch den Kopf gingen. Eigentlich ist es gar nicht so sehr die Ankündigung selbst, sondern die Rezeption der Nachricht, die sich ziemlich gut in der Coverstory des aktuellen Economist manifestiert: “And man made life” – die Idee, dass hier Leben neu “geschaffen” wurde.
Was natürlich nicht nur die Frage nach dem aufwirft, was Leben ist (worüber zum Beispiel auch Erwin Schrödinger nachgedacht hatte), sondern vor allem auch: Was ist “Schaffen”? Ab wann ist man ein kreativer “Schöpfer” von etwas völlig Neuem, das die Welt noch nie gesehen hat, im Gegensatz zu einem Nachahmer, Weiterentwickler, Um- oder Abschreiber, Kopierer, Plagiator, oder was man sonst noch als Synonym hier einsetzen könnte?
Die Frage ist nicht unbedingt eine wissenschaftliche, das ist klar: Aus wissenschaftlicher Sicht war die jüngste Errungenschaft von Venter und seinem Mit-Entwickler, Dr. Hamilton Smith eine Novität; die Veröffentlichung in Science mag dafür allein schon als Prüfstempel genügen. Aber ist der technische Vorgang, eine DNA-Sequenz aus bekannten Bausteinen (und bekannten Mustern folgend) zu synthetisieren und in einen vorhandenen – wenn auch entsprechend modifizierten – Zellkörper zu implantieren und daraus ein reproduktionsfähiges Bakterium zu erzeugen, ein kreativer Vorgang?
Wie schon gesagt, ich bin kein Fan von Craig Venter, da ich – und nicht nur ich – stets das Gefühl habe, dass er mehr Showman als Wissenschaftler ist, der André Heller der Biotechnologie, gewissermaßen (dass er unter den 24 Co-Autoren des Science-Artikels als letzter genannt wird, der folglich als “Gibson et al.” zitiert wird, ist nicht wirklich ein Zeichen von Bescheidenheit, da alle Beteiligten an seinem nach sich selbst benannten Institut beschäftigt sind und er als Hauptverfasser identifiziert ist). Und vermutlich bin ich daher überkritisch. Aber ich wüsste schon ganz gerne, was die schöpferische Leistung hier ist.
Nehmen wir mal als Analogie den Autobau: Die meisten Blechschlitten, die heute über die Straßen rollen, werden von Herstellern gebaut, die es schon seit Jahrzehnten gibt, die heutige Daimler AG zum Beispiel geht auf die vor rund 120 Jahren gegründete Daimler-Motoren-Gesellschaft zurück. Und selbst die ersten Motorenwagen fielen nicht aus dem heiteren Himmel, sondern nutzten technische Elemente (Räder und Achsen, um mal die offensichtlichsten Bestandteile zu nennen), die schon lange vorher entwickelt wurden. Die heutigen Autos als Abkömmlinge einer Evolutionsreihe zu beschreiben, die alle auf ältere Vorfahren zurück gehen, wäre sicher eine erlaubte Metapher.
In dieser Analogie hat Venter also auf vorhandene Bauelemente zurück gegriffen, die er in einer zwar minimalistischen, aber ansonsten keineswegs radikal anderen Weise kombiniert hat. Das Modell, das er dabei konstruiert hat, ist zwar neu, aber der Bauplan als solcher folgt den bekannten Prinzipien. Diesen neuen Prototyp lässt er dann in einer ausrangierten Machinenfabrik, die zu diesem Zweck umgebaut wurde, in Serie fertigen. Hat er damit das Auto neu erfunden? Selbst so vergleichsweise drastische technische Neuausrichtungen wie beispielsweise die Tesla-Elektroautos oder der Smart würden nie als “Neu-Erfindung des Autos” gefeiert.
Also nochmal: Hat Venter nun Leben “neu” geschaffen, oder hat er es nachgebaut? Ob ich nun mein Auto von einem alteingesessenen Hersteller beziehe oder mir die Pläne besorge, ein paar Modifikationen mache und das Produkt dann von einem Maschinenbauer fertigen lasse, macht zwar einen Unterschied bei den kosten, dem Aussehen und wahrscheinlich der Fertigungsqualität – das Auto hätte ich im zweiten Fall aber trotzdem nicht neu erfunden. Ich habe bestenfalls ein neues Modell geschaffen. Im gleichen Sinn hat Venter mit seinen Kollegen kein neues Leben geschaffen, streng genommen nicht mal ein neues Lebewesen (die übernommene Zellhülle, nebst den mitgelieferten Ribosomen etc. ist einfach zu wesentlich für den gesamten Prozess). Sein Produkt nutzt die bekannten Bausteine und folgt den bekannten Regeln – genauer gesagt, ohne die kenntnis dieser Regeln wäre es vermutlich gar nicht denkbar. Es ist eher reverse Engineering als eine schöpferische Leistung. Und ob es eine Verbesserung darstellt, bleibt dabei sowieso erst mal völlig unbeantwortet.
Die Sorgen, die der Ecomonist in seinem Leitartikel anspricht und die mit dem Missbrauch der Technologie zu tun haben, teile ich eher nicht:
The Home Brew computing club launched Steve Jobs and Apple, but similar ventures produced a thousand computer viruses. What if a home-brew synthetic-biology club were accidentally to launch a real virus or bacterium? What if a terrorist were to do the same deliberately?
Zu deutsch: Der Home-Brew-Computerclub lancierte Steve Jobs und Apple, aber ähnliche Unterfangen erzeugten tausende von Computerviren. Was nun, wenn ein heimgebrauter Synthetik-Biologie-Club aus Versehen ein Virus oder ein Bakterium freisetzt? Was, wenn ein Terrorist das gleiche mit Absicht täte?
Die simple Antwort: Diese Angst müssen wir sowieso haben, denn mit dem Gencode wird – natürlich und im Labor – eh’ schon täglich millionenfach (sag’ ich jetzt mal, ohne dies recherchiert zu haben) manipuliert, und Mutationen passieren praktisch pausenlos; und wozu soll ein Terrorist sich lange die Mühe machen, künstliche Viren zu fertigen, deren Wirkungen er nicht kennt, wenn es schon mehr als genug echte Viren mit bekannten fatalen Folgen gibt? Venters Neuerung wird dieses Risiko sicher nicht wesentlich erhöhen …
Nein, eigentlich will ich die Leistung der Forscher gar nicht schmälern: Sie haben etwas erreicht, woran sie seit Jahren arbeiten. Und sie haben es publiziert, anstatt es einfach nur zu patentieren. Aber Leben geschaffen – oder gar Gott gespielt (eine Lieblingsmetapher der Medien, der übrigens auch der sonst eher kühlköpfige Economist nicht widerstehen konnte) – haben sie nicht.
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