Der Ton, so sagt man, macht die Musik. Richtiger müsste es natürlich heißen, die Töne – denn erst dann kann es so etwas wie Harmonie und Melodie geben. Aber was macht eigentlich den “Wohlklang” aus, der generell als eine der Grundeigenschaften von Musik angesehen wird? Dass diese subjektive Bewertung sehr viel mit Harmonie – die laut Wikipedia als ein ganzzahliges Verhältnis zwischen Frequenzen definiert werden kann und daher eine mathematisch-physikalisch klar beschreibbare Eigenschaft ist – zu tun hat, würde ein Laie ungeprüft akzeptieren. Aber vielleicht kommt es auch dabei auf die Rezeptoren und Neuronen in unserem Gehirn an, oder darauf, was man halt als wohlklingend gelernt hat? Warum sonst hätte mich mein Sitzbank-Nachbar heute morgen in der U-Bahn so schräg angeschaut – mag er vielleicht die Latin Playboys nicht, die durch die Ohrhörer meines MP3-Spielers nach draußen an sein Ohr gedrungen waren?
Der Frage nach dem Wohlklang ist der Neurophysiologe Josh McDermott, der heute an der New York University forscht, noch in seiner Zeit an der University of Minnesota in Minneapolis nachgegangen; das Paper ist nun in Current Biology erschienen, auch die New York Times hat ein paar Zeilen dazu geschrieben. Das Resultat ist zwar nicht enorm überraschend: Die 250 Studenten, die McDermott als Testpersonen zur Verfügung standen, assoziierten Wohlklang überwiegend mit Harmonie. Allerdings allerdings sei, so zeigen die Daten, auch eine deutliche positive Korrelation zwischen der Präferenz für harmonische Töne und der Dauer einer musikalischen Ausbildung gegeben. Mit anderen Worten: Was wir als musikalisch schön empfinden, ist zumindest zum Teil auch erlernt.
Das sagt uns leider trotzdem nicht viel darüber, was Musik ist, und ob es so etwas wie ein universales Musikverständnis gibt. Sicher können wir auch Vogelgezwitscher oder die Gesänge der Wale oder sogar die Anfahrgeräusche er New Yorker Subway-Züge als als wohlklingend empfinden:
Aber ist das Musik? Können uns natürliche (= in der Natur vorkommende) Harmonien vortäuschen, das Resultat menschlicher Kreativität zu sein? Und da fiel mir ein, dass ich zu diesem Thema vor einigen Monaten ein Interview mit dem an der kanadischen McGill-Universität forschenden und lehrenden Musik-Psychologen Daniel Levitin geführt hatte, das bisher nirgendwo erschienen war. Und das passt hier ganz gut hin, also:
Foto: © Tobias Everke
Wären wir Menschen auch dann noch Menschen, wenn es keine Musik gäbe?
Das greift mir ein bisschen zu hoch. Wie wesentlich wäre denn das Sehen, das Schmecken dafür, dass wir zu Menschen geworden sind? Aber es stimmt schon, dass wir ohne Musik eine andere Art von Menschen wären. Musik ist überall, jede Kultur kennt sie, und sie hat uns mindestens so lange begleitet, wie es Aufzeichnungen gibt. Wir wären fundamental anders ohne Musik.
Aber ist sie etwa ebenso wichtig wie die Sprache, die uns ermöglicht hat, Gesellschaften zu bilden, Wissen weiter zu geben und so weiter?
Musik könnte mindestens ebenso bedeutsam sein wie Sprache, und das wurde bisher unterschätzt und zu wenig darüber berichtet.
In Ihrem Buch This Is Your Brain on Music (auf deutsch: Der Musik-Instinkt) behaupten Sie, dass unser Gehirn in einer Art und Weise strukturiert ist, die Musik praktisch unvermeidlich macht. Aber ist es nicht doch eine Art “Missbrauch” des Hirns, etwa wie Mathematik, die ja auch keine “natürliche” Anwendung des Denkvermögens ist?
Es gibt die These, dass Musikalität in etwa der gleichen Weise jene neuronalen Schaltkreise ausnutzt, die für die Sprachkommunikation zuständig sind, wie Heroin das Lustzentrum missbraucht. Die wissenschaftlichen Instrumente, die wir bisher zur Erforschung solcher Dinge verfügbar haben, von der Archäologie bis hin zur Neurowissenschaft, erlauben uns leider bisher nicht, dies genauer festzulegen – aber vielleicht klappt das ja in der Zukunft.
Sind wir programmiert, Musik zu erkennen, sie – ohne dass wir es gelernt haben – von natürlichen Geräuschen zu unterscheiden?
Ein Kollege von mir, Pascal Belin, hat durch Hirnscans eine Region lokalisiert, die ausschließlich auf menschliche Stimmlaute reagiert, aber sonst auf keine anderen Geräusche. Sie erkennt, lachen, Niesen, Reden, und so weiter, aber sie ignoriert Sachen wie Vogelgezwitscher oder Autohupen. Ich denke, dass jegliche vom Menschen gemachte Musik der vergangenen 50.000 Jahre von jedem Menschen als Musik erkannt würde.
Aber würde ein Yanomami auf eine Bach-Sonate in vergleichbarer Weise reagieren wie ein Westeuropäer?
Ich glaube nicht, dass auch nur zwei Menschen, selbst aus dem gleichen sozialen Umfeld, identische Reaktionen auf ein und das selbe Kunstwerk zeigen würden. Aber es gibt Konventionen in der westlichen Musik, die wir schon im Mutterleib lernen. Hohe Töne und schnelle Tempi vermitteln Fröhlichkeit, beispielsweise. Aber wir haben auch Nerven-Schaltkreise, die auf Kreischen und Alarmrufe von Tieren reagieren, oder auf Donnergeräusche – und das nutzen Komponisten ebenfalls aus. Jedes Säugetier wird durch einen lautes Rumpeln erschreckt, das einen herabstürzenden Felsen oder das Nähern einer Lawine signalisieren könnte, und Komponisten nutzen dies mit Basstrommeln und tief gestimmten Instrumenten aus.
Das wären dann also universal erkennbare Elemente der Musik?
Tja, das ist der Punkt, an dem es kompliziert wird. Reden wir erst mal über vier emotionale Grundzustände, die durch Musik vermittelt werden könnten: fröhlich, traurig, ängstlich und friedlich/entspannt. Einige der Wege, wie Komponisten diese Emotionen abbilden, lassen sich in andere Kulturen übertragen. Wenn Sie eine chinesische Oper oder einen indischen Raga hören, dann möchte ich nicht garantieren, dass Sie darin traurig von fröhlich unterscheiden könnten. Kleinkinder aus anderen Kulturen assoziieren nicht notwendiger Weise Dur-Akkorde mit fröhlich und Moll-Akkorde mit traurig. Das ist kulturell. Die Musik des Nahen Ostens ist überwiegend in Moll-Tonarten – aber nicht alles ist traurig gemeint. Es ist nichts intrinsisch Trauriges in Moll-Tonarten. Der komplizierte Teil ist, dass es Elemente gibt, die durchaus kulturübergreifend sind – aber die sind nicht vollständig kartiert. Man hört of das Argument, dass Musik universell verständliche Metaphern bemüht, wie eben Furcht durch Donner oder Schmerzensschreie von Tieren. Denken Sie an den Soundtrack zu “Psycho” – den würde vermutlich jeder, egal aus welcher Kultur, begreifen. Interessant dabei ist aber, dass ausgerechnet unsere nächsten genetischen Verwandten, wie Schimpansen oder Orang-Utans, keinen Sinn für Musik haben. Wenn man ihnen verschiedene Arten von Musik vorspielt, daneben aber auch das Kratzen von Fingernägeln auf einer Kreidetafel – dann ziehen sie die Fingernägel auf der Kreidetafel vor. Na ja, zumindest zogen sie’s Van Halen vor …
Also noch mal: Können wir spontan zwischen Musik und Geräusch unterscheiden?
Das ist subjektiv. Fortgeschrittene Zuhörer würden verstehen, ob die Intention eine musikalische war. Komponisten versuchen, die Grenzen der Musik zu erweitern, so wie es Pierre Schaeffer mit seiner Musique concrète gemacht hatte, für die er zum Beispiel Eisenbahnzüge anstelle von Musikinstrumenten verwendete. Es ist ein Kontinuum – ein Haufen Zeugs an einem Ende, das jedermann als Musik akzeptiert, und ein Haufen Zeugs am anderen Ende, wo jedermann akzeptiert, dass es nur Geräusch ist. Aber es gibt eine ganze Menge dazwischen, wo dies nicht ganz klar ist: Vogelgezwitscher, die Gesänge von Walen, die Musik der Beatles (zumindest für die Generation meiner Eltern) …
Wenn man genug über diese neuronalen Eigenschaften von Musik wüsste – könnte man sie dann so formalisieren, dass, sagen wir mal, neun von zehn Zuhörern positiv darauf reagieren und somit einen Hit garantieren?
Ja, es gibt Hinweise darauf, dass man das kann. Aber ich bin da skeptisch. Wenn es eine wahre Formel gäbe, dann dürfte man davon ausgehen, dass großartige Komponisten wie Bach oder Mozart oder Lennon & McCartney darauf gestoßen wären, egal ob bewusst oder unbewusst. Sie haben gewiss viele großartige Stücke geschaffen, die über die Zeit hinweg Bestand haben. Aber sie hatten auch eine Menge von Flops, und die kamen manchmal nach den Hits. Was immer das für eine Formel auch sein könnte, da wäre eine Menge an Zufälligkeit drin enthalten.
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