Wenn das Thermometer in New York – wie am heutigen Mittwoch – auf superschwüle 32 Grad Celsius klettert, sind die gekühlten Hallen des American Museum of Natural History sowieso ein stets willkommener Zufluchtsort. Sich gedanklich auf eine Expedition in die Antarktis zu begeben, wird bei solchen Witterungsbedingungen zwar ein wenig anstrengender, aber dank der ans spektakuläre grenzenden Arbeit der Museums-Kuratoren und -Designer ist die neue Ausstellung über das Wettrennen zum Südpol zwischen dem Norweger Roald Amundsen und dem britischen Offizier Robert F. Scott nicht nur kühl (klimatisiert), sondern auch cool. Eine Ausstellung zum Anfassen, im wörtlichen Sinn, und zum Miterleben – weil man dank ausgiebiger Original-Exponate und anschaulicher Nachbauten (u.a. ein Teil der Hütte, in der Scott sein Basislager bei Cape Evans eingerichtet hatte, sowie eine Nachbildung der Eishöhlen, die Amundsen für sein Ausgangscamp graben ließ) wenigstens ein kleines bisschen die Dramatik dieses Wettrennens nachempfinden kann.
Wer sich für die Details der Ausstellung oder auch einfach nur für die Geschichte dieses scheinbar letzten großen Entdeckerwettlaufs zwischen dem Marineoffizier Scott (links) und dem Abenteurer Amundsen (rechts) interessiert, der kann dem Link zur Museums-Website folgen. Die Story wäre auch ohne den Aspekt des Wettrennens (das, wenn ich die Materialien richtig verstehe, von Amundsen “provoziert” wurde – Scott hatte seine Expedition geplant, ohne sich des Rivalen bewusst zu sein, und war erst kurz vor der letzten Etappe zur Antarktis durch ein Telegramm von Amundsen über dessen Pläne informiert worden) hochdramatisch, da alleine das Wetter und die eisige Weite eine ungeheuerliche Herausforderung darstellten.
Und das tragische Ende Scotts und seiner Gefährten wirkt um so bitterer, weil sie neben der körperlichen Erschöpfung auch die Enttäuschung verkraften mussten, das Ziel erst Wochen nach der Konkurrenz erreicht zu haben. Wenn man endlich das – nachgebaute – Amundsen-Zelt “Polheim” am (nachgebauten) Südpol der Ausstellung erreicht, kann man fast schon ein wenig die Fassungslosigkeit mit empfinden, die Scott und sein Team beim Anblick der norwegischen Flagge getroffen haben muss.
Edward A. Wilson, Robert F. Scott, Edgar Evans, Lawrence Oates und Henry Robertson Bowers, aufgenommen am Südpol, vor Roald Amundsens “Polheim”-Zelt. © AMNH Library
Aber seltsamer Weise (oder vielleicht gar nicht so seltsam …) kam mir beim Gang durch die Ausstellung geradzu unausweichlich die Frage in den Sinn: War es nicht ein unglaublicher Unsinn, dieses enorme menschliche Unterfangen auf das Niveau eines Wettrennens herunter zu ziehen? Wäre Kooperation nicht viel nützlicher gewesen? Und hatte Amundsen, dem es nach eigenem Erklären primär um den Ruhm ging, der Erste zu sein, einen eitlen Wettbewerb aus einem Projekt gemacht, das Scott primär als eine wissenschaftliche Expedition konzipiert hatte? In der Tat zieht sich diese Diskrepanz zwischen Abenteurertum und Wissenschaft als ein Leitfaden durch die Ausstellung – was ihr damit, trotz des rein kalendarisch bedingten Anlasses (Scotts Schiff Terra Nova trat am 1. Juni 1910, also vor 100 Jahren, von London aus die Antarktis-Reise an), eine breitere Bedeutung gibt.
Dass die Wissenschaftlichkeit auf der Strecke bleiben kann, wenn es allein darum geht, andere auf dem Weg zum Ziel abzuhängen, lässt sich ja nicht nur am Wettlauf zum Südpol erkennen. Ein anderes Beispiel, das mir einfällt, ist die Raumfahrt, die durch das Wettrennen zum Mond in den 60-er Jahren zwar einen ungeheueren Schub erhalten hatte, aber nach dem Erreichen dieses Zieles am 21. Juli 1969 plötzlich einen wesentlichen Aspekt ihres raison d’être eingebüßt hatte. Sicher, es gab auch damals schon wissenschaftliche Satellitenprogramme, und die Nasa bemühte sich nach dem Ende des Apollo-Programms redlich, mit Skylab, Spacelab, dem Hubble-Teleskop und anderen wissenschaftlichen Programmen der Raumfahrt anhaltende Relevanz zu verschaffen. Aber letztlich war das Raumfahrtprogramm durch das Mond-Wettrennen zur politischen Keule im Kalten Krieg geworden; man hatte “es” den Russen gezeigt, und das war’s dann erst mal. Ich wage nicht mir auszumalen, wo die Raumfahrt-Technologie – und die Raumfahrt an sich – heute sein könnte, wenn man die Mittel zwar vorsichtiger, aber nachhaltiger verwendet hätte.
Und auch an das Wettrennen um die Entschlüsselung des menschlichen Genoms fühle ich mich dabei erinnert (mit Craig Venter in der Rolle des Entdecker-Entrepreneurs å la Amundsen). Das Tempo, mit dem das Genom entziffert wurde, mag durch die Konkurrenz tatsächlich beschleunigt worden sein, aber haben wir dadurch mehr über die Bedeutung der einzelnen Gene gelernt? (Das meine ich keineswegs rhetorisch: Was haben wir dabei tatsächlich gelernt?) Aus dem Mathematikunterricht erinnere ich mich noch an die Ermahnung, dass der Weg wichtiger sein kann als das Resultat. Und da auch Forschung primär ein Prozess, eine Methode ist, wäre es sicher nützlicher, diesen Weg so aufmerksam und gründlich wie möglich zu gehen.
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