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Das eine Semester Klima- und Wetterkunde, das ich im Rahmen meines Studiums belegen musste, reicht leider nicht, um mich akademisch kompetent zu der Frage zu äußern, die ich hier selbst mal aufwerfen muss: Wird es für einen Ort wahrscheinlicher, von einem Hurrikan heimgesucht zu werden, nur weil es dort schon lange keinen mehr gab? Mit genau diesem Argument nämlich hat der US-Sturmexperte Rick Knabb gleich mehrere Städte, von Atlantic City und New York, auf seine Liste der “Top 5 Hurricane Vulnerable & Overdue Cities” gesetzt. Und irgendwas sagt mir, dass er da einen allfälligen Denkfehler macht …

Dass alle fünf Städte (Atlantic City, Savannah,Tampa, New York und Miami) in Zonen liegen, über die Hurrikane wegstreichen können, ist keine Neuigkeit. Und das Argument der “Überfälligkeit” würde man vermutlich auch unbesehen akzeptieren: Da verheerende Stürme sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ereignen, müssten sie auch immer wieder Mal die genannten Städte heimsuchen. Und weil dies den genannten Städten seit Jahrzehnten nicht mehr widerfahren ist, müssen sie – ist doch logisch! – jetzt ganz bald mal wieder dran sein.

Der Haken ist ja nur, dass Hurrikane – wie Asteroideneinschläge, Lottozahlen oder schlichte Spielwürfel – kein Gedächtnis haben. Nur weil etwas rein statistisch “einmal alle zehn/hundert/Millionen Jahre” passiert, heißt es nicht, dass es jetzt ganz bestimmt mal passieren muss, nur weil das letzte Ereignis dieser Art zehn/hundert/Millionen Jahre zurück liegt. Natürlich kann sich das generelle Risiko für einen verheerenden Sturm über die Jahre hinweg erhöhen, und als Folge einer globalen Erwärmung wurde auch genau dies bereits prognostiziert. Aber zu glauben, dass ein bestimmter Ort nur deswegen jetzt bald mal dran sein muss, stürmische Schläge zu kriegen, weil es schon lange verschont geblieben ist, wäre wohl etwa genau so unbegründet wie der Glaube beim Mensch-ärgere-dich-nicht, dass jetzt endlich mal die erhoffte Sechs dran sein muss.

Und um es gleich selbst hier zu erwähnen: Ich will Rick Knabb nicht unterstellen, dass er sich dieser m.E. fehlinterpretierten Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht bewusst ist. Vermutlich war seine Absicht eher, die Bewohner der bevölkerungsreichen Städte innerhalb der statistischen Gefahrenzone aus dem Irrglauben zu erwecken, dass sie vor der Gefahr eines verheerenden Wirbelsturms gefeit seien, weil ihnen schon so lange nichts mehr passiert ist.

Abbildung: Hurrikan Floyd, Sept. 1999, via disastercenter.com

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Kommentare (10)

  1. #1 Jörg
    16. Juli 2010

    Vielleicht hat er sich auch von Erdbeben-gefährdeten Städten inspirieren lassen, wo man ja z.B. für Istanbul durchaus die Erwartung haben kann dass ein Erdbeben fällig ist. Hurricanes wüsste ich jetzt aber auch keinen Grund für eine Korrelation bzw. gar “statistischen Druck”.

  2. #2 Jürgen Schönstein
    16. Juli 2010

    @Jörg
    Ja, Erdbeben sind eine ganz andere Angelegenheit – die haben, wenn man so will, ein “Gedächtnis”, zumindest, wenn sie auf tektonische Ursachen zurückzuführen sind; solche Beben sind das Resultat aufgestauter Spannungen, und ihre kinetische Energie nimmt zu, je länger sich diese Spannungen aufbauen konnten. Außerdem sind die Wahrscheinlichkeiten solcher tektonischen Beben viel deutlicher an bestimmte lokale Bedingungen (Nähe zur tektonischen Verwerfung, geologische und geomorphologische Verhältnisse etc.) geknüpft.

  3. #3 Christian Reinboth
    16. Juli 2010

    @Jürgen: Ich denke, Du hast vollkommen Recht – das dürfte so ähnlich sein wie mit dem Eindruck, dass beispielsweise eine “Sechs” beim Würfeln irgendwann “überfällig” wird…

  4. #4 Sfefan W.
    17. Juli 2010

    Kann man denn bei Erdbeben sagen, wie groß der Bereich ist, in dem sich durch ein Beben Spannung abbaut? Daß sich die Spannung auf einem Radius von 5 km aufstaut, und da früher oder später entladen muß, und nicht etwa 10 oder 50 km weiter weg entladen kann will ich nicht so recht glauben.

    Zum zweiten sehe ich nicht, wieso man Leute mit einer Dummheit vor einer anderen Dummheit feihen will oder können sollte. Overdue ist schlicht der falsche Begriff – wieso so defensiv? Das ist gut beobachtet, und sollte klar so kritisiert werden, ohne Rückzieher und Ehrfurchtsadressen.

  5. #5 Karl Mistelberger
    18. Juli 2010

    Natürlich gibt es überfällige Hurrikane: Katrina war so einer. Leser von Spektrum der Wissenschaft erfuhren bereits 2002, was passieren würde, sollte ein Hurrikan New Orleans treffen. Das Wissen um die Folgen war aber für die Stadtverwaltung kein Grund, wirksame Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Die hatte sich nicht an Wahrscheinlichkeiten orientiert sondern eine ruhige Episode zum Anlass genommen, nichts zu tun.

    Dass aber dem Autor Rick Knabb unterstellt wird, er betreibe mit guten Absichten eine “fehlinterpretierte Wahrscheinlichkeitsrechnung” ist eine Unterstellung. “Überfällig” heisst ja nicht, dass sich wegen der nicht eingetretenen erwarteten Häufigkeit die Wahrscheinlichkeit erhöht , sondern weist auf die Tatsache hin, dass sich im Mittel die Häufigkeiten der Wahrscheinlichkeit annähern. In dieser Bedeutung ist mir das Wort seit 50 Jahren geläufig. “Überfällig” weist im obigen Zusammenhang auf die Diskrepanz zwischen gefühlter und tatsächlicher Gefährdung hin.

  6. #6 Physiker
    19. Juli 2010

    @ Karl Mistelberger:
    “”Überfällig” heisst ja nicht, dass sich wegen der nicht eingetretenen erwarteten Häufigkeit die Wahrscheinlichkeit erhöht, sondern weist auf die Tatsache hin, dass sich im Mittel die Häufigkeiten der Wahrscheinlichkeit annähern”
    Das sehe ich nicht so: Der Begriff “überfällig” bezieht sich immer auf ein Einzelereignis. Und wenn Sie aus dem Gesetz der großen Zahlen auf das Einzelereignisse schließen wollen, dann machen Sie genau den gleichen Fehler, den so gut wie jeder Laie begeht. In anderen Wort: Ihre Definition ist gar keine, denn im ersten Teil machen Sie eine (negative) Aussage über ein Einzelereignis und im zweiten Teil über ein Ensemble.

    Dem ersten Teil Ihrer Definition zufolge (und Statistik vorausgesetzt) ist “überfällig” eine absolut inhaltsleere Worthülse. Denn wenn die Aussage “etwas sei überfällig” keine Konsequnzen beinhaltet, dann könnte man sich diese Aussage gleich schenken.
    Ich halte die Interpretation von Jürgen Schönstein für völlig korrekt.

    Wir wissen, dass eine Sechs beim Würfeln niemals überfällig ist, wir verwenden den Begriff aber trotzdem (z.B. beim Spielen), weil diese Erkenntnis unserer Intuition komplett widerspricht.

  7. #7 Karl Mistelberger
    19. Juli 2010

    Es lohnt drei Dinge anzumerken:

    1. Ein Blogger definiert sich in der Regel (also nicht immer, aber in den meisten Fällen) dadurch, dass er anderer Leute Äußerungen fehlinterpretiert und diese aus den Fingern gesaugte Fehlinterpretation kritisiert.

    2. Das Geschwurbel von “Physiker” legt nahe, dass dieser keine Ahnung von Physik hat.

    3. Diese Aussage von Rick Knabb sagt alles: “Since a disastrous hurricane in any one metropolitan area is a fairly rare event, some residents can live in an area for a long period of time, perhaps even most or all of their lives, without experiencing one, despite living in a vulnerable location. People in other areas have not been so fortunate in recent years, with devastation fresh in their minds while still recovering, but remaining as much at risk as ever.”

    Nirgendwo in seinem Artikel ist auch nur ansatzweise die Rede davon, dass sich die Wahrscheinlichkeit eines Eintretens eines Ereignisses dadurch erhöht, dass es in der Vergangenheit nicht so häufig aufgetreten ist wie erwartet.

    Tatsächlich verhält es sich so, dass die durch die statistische Natur verursachten Schwankungen in der Häufigkeit des Eintretens eines Ereignisses von den Leuten als hohe bzw. niedrige Wahrscheinlichkeiten fehlinterpretiert werden.

  8. #8 Jürgen Schönstein
    19. Juli 2010

    @Karl Mistelberger

    Ein Blogger definiert sich in der Regel (also nicht immer, aber in den meisten Fällen) dadurch, dass er anderer Leute Äußerungen fehlinterpretiert und diese aus den Fingern gesaugte Fehlinterpretation kritisiert.

    Was soll diese persönliche Attacke hier? Und allein schon der Begriff “overdue” (= überfällig) belegt, dass er genau das meint: dass wegen des seit langem nicht erfolgten Eintretens eines Ereignisses (i.d.F. der Verwüstung durch einen Hurrikan) – scheinbar – ein baldiges Eintreten desselben wahrscheinlicher wird. Das sagen Sie ja auch. Und ich frage nur, ob dies nicht den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung widerspricht. Okay, ich unterstelle in der Tat, dass Rick Knabb diese Regeln sehr genau kennt, aber darin sehe ich nichts Negatives. Und mir ist auch ziemlich klar, was der Grund für diese Top-5-Liste war (hab’ ich ja im kursiv geschriebenen letzten Absatz gesagt). Warum also, noch einmal gefragt, diese unnötige persönliche Diffamierung meiner Bloggertätigkeit?

  9. #9 Physiker
    19. Juli 2010

    @ Karl Mistelberger:
    zu 1:
    Jürgen Schönstein hat die mögliche Fehlinterpretation (sehr schön und verständlich, wie ich finde) diskutiert und zum Schluss die Auflösung gebracht. Eine runde Sache also.

    zu 2:
    Was hat Physik mit Sprachverständnis zu tun? Wenn Sie meinen, dass Ihre Definition von “überfällig” allgemeingültig ist, dann können Sie das doch sicher belegen. Laut Duden
    https://www.duden.de/definition/%C3%BCberf%C3%A4llig
    bedeutet “überfällig” aber genau das was Jürgen Schönstein darunter versteht und eben nicht “dass sich im Mittel die Häufigkeiten der Wahrscheinlichkeit annähern”.

    zu 3:
    Ich sehe die Aussagen von Rick Knabb eher als Anlass für die obigen Gedankengänge. Wenn Sie den Blog-Beitrag als Vorwurf sehen wollen, dann haben Sie irgendetwas falsch verstanden. Ihre gesamte Kritik an obigen Blog-Beitrag beruht nur auf Ihrer (merkwürdigen und nicht nachvollziebaren) Definition von “überfällig”.

  10. #10 Karl Mistelberger
    13. August 2010

    Erdbeben, die die Welt verändern

    Die letzte große Verschiebung liegt jedoch bereits 300 Jahre zurück und die nächste wäre damit überfällig. … Auch wenn ein großes Erdbeben überfällig erscheint, kann es doch vorher zu kleineren Verwerfungen kommen.

    https://www.spektrum.de/artikel/1040486&_z=798888