Nein, das soll jetzt kein Aphorismus werden. Außerdem sind Zufälle sind ja sowieso eher der Normalfall im Leben, wie schon Friedrich der Große einsehen musste:
“Plus on vieillit, plus on se persuade, que sa sacrée Majesté le Hazard fait les trois quarts de la besogne de ce misérable Univers.”
Je älter man wird, desto mehr überzeugt man sich davon, dass seine heilige Majestät der Zufall drei Viertel der Geschäfte dieses armseligen Universums besorgt.” (Brief an Voltaire, 1773)
Die Frage ist nur, was wir eigentlich meinen, wenn wir vom “Zufall” reden …
An dieser Stelle sollte ich erst mal die kleine Anekdote erzählen, die mich überhapt erst darauf gebracht hat, über Zufälligkeiten nachzudenken: Der Zufall – genauer gesagt, ein kurz entstandener Recherche-Auftrag – wollte, dass ich mich seit Sonntagabend für eine Story im Silicon Valley aufhielt. Als ich am Montagnachmittag zum Zeitvertreib durch Palo Alto schlenderte, überfiel mich – Jetlag! – ein dringendes Bedürfnis nach einem doppelten Espresso, und da kam mir ein Café/Joghurt-Laden namens “Fraiche” (oder so ähnlich) gerade gelegen. Und als ich vor meinem Doppio saß, fiel mir auf, dass mir der Typ am Nebentisch bekannt vorkam … Es war der Flipboard-Gründer Mike McCue, den ich am vorherigen Freitag hatte interviewen wollen (da McCue, dessen Firma in San Francisco sitzt, an diesem Tag verreist war, sprach ich schließlich mit seinem Partner und Mitgründer Evan Doll). Wir plauderten kurz und amüsierten uns über diesen Zufall, der eine besondere Pointe dadurch erhielt, dass sich Flipboard gerade eine “Zufälligkeit” der Informationsvermittlung zum Ziel gesetzt hat (was genau damit gemeint ist, geht aus dem Interview selbst – hier noch einmal der Link – hervor).
So, nach diesem langen Anlauf komme ich endlich zur Sache: Im Englischen benutzt man nämlich für diese Art von Zufälligkeit den Begriff “Serendipity“, für den es im Deutschen keine wirklich gute Entsprechung gibt. Unser deutsches Wort Zufall hat eine starke Konnotation des statistisch Berechenbaren – die Zufälligkeit des Würfelns, beispielsweise, oder der Lottozahlen. “Zufall” und “Wahrscheinlichkeit” erscheinen uns oft wie siamesische Zwillinge, der eine nicht ohne den anderen vorstellbar. Doch wie berechnet man die Wahrscheinlichkeit der oben beschriebenen Begegnung? Oder wie wahrscheinlich war es, dass ich bei meinem in zwei Jahrzehnten bislang einzigen Krankenhausaufenthalt in New York das Zimmer ausgerechnet mit jemandem teilen musste, der wie ich aus Schweinfurt stammt?
Weil sie sich der Berechenbarkeit zu entziehen scheinen, neigen wir dazu, solchen Ereignissen eine besondere Bedeutung zuzuschreiben – “Schicksal” oder “höhere Fügung” oder sonst was Mystisches. Wenn ich solche Zufalls-Anekdoten (von denen vermutlich jeder von uns ein ganzes Arsenal hat) erzähle, höre ich früher oder später mit an Sicherheit grenzender (und absolut unzufälliger) Wahrscheinlichkeit, “das hat bestimmt was zu bedeuten …” Nun will ich nicht behaupten, dass Amerikaner (und Briten sicher auch – aber mit denen kenne ich mich nicht sehr gut aus) dank eines passenderen Begriffs gegen diese Überinterpretation des Zufälligen besser gefeit sind, aber rein empirisch habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie solche Anekdoten eher mit Gelassenheit registrieren. Ist’s eine eher positive Story, dann nennen sie’s Serendipity – und bei allem anderen gilt:
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