Bei dieser Meldung wusste ich erst nicht, ob ich lachen oder weinen soll: Eine amerikanische Bauarbeiter-Gewerkschaft, der Mid-Atlantic Regional Council of Carpenters, heuert – zum gesetzlichen Mindestlohn, den die Gewerkschaft selbst als Drückerlohn ansieht – arbeitslose Nicht-Mitglieder an, damit diese als Streikposten gegen einen Arbeitgeber demonstrieren, der Nicht-Gewerkschafter zu Mickerlöhnen beschäftigt. Einerseits finde ich es irgendwie witzig, wenn die Gewerkschaften (Disclosure: Ich bin in der Tradition der westdeutschen Arbeiterbewegung groß geworden und halte Gewerkschaften für eines der wichtigsten Instrumente des sozialen Ausgleichs) den Arbeitgeber mit seinen eigenen Mitteln schlagen und ihre eh’ schon knappen Streikkassen durch kostengünstiges “Outsourcing” schonen, und außerdem tun sie wenigstens auch mal was für Nicht-Mitglieder. Aber andererseits ist die Sache einfach absurd – welche Glaubwürdigkeit kann eine Gewerkschaft denn noch haben, die genau das tut? Ich als Privatperson denke, dass der Schaden, den die Gewerkschaft sich und und den anderen Arbeiterorganisationen (die in den USA längst nicht so zentralisiert sind wie bei uns in Deutschland und oft nur mit Mühe überleben können) damit zufügt, jeden potenziellen Nutzen weit überwiegt.
Aber erstens schreibe ich hier nicht nur als Privatperson, sondern auch als Scienceblogger, und zweitens sollte ich mir deshalb wenigstens einen irgendwie plausiblen Grund einfallen lassen, warum ich so etwas im Umfeld von Scienceblogs.de poste. Also, los geht’s:
Was mich an dieser Meldung vor allem fasziniert hat, ist ihre Absurdität. Absurdität ist zwar das Gegenteil von Logik – und doch ist sie keine ins Nichts führende Aberration des Denkens, sondern ein Gedankenpfad, den Autoren und Philosophen mit großer Gewandheit beschreiten. (Sonst noch was G’scheites zu sagen, Herr Schönstein? Kommen wir jetzt bald mal zur Wissenschaft?) Und das wiederum bringt mich zur Frage: Wie würde ein Computer oder ein Programm mit Absurdität umgehen können? Wäre dies nicht ein wichtiges Kriterium für das, was man “künstliche Intelligenz” nennt?
Nicht, dass ich eine Antwort darauf wüsste, aber die Frage stelle ich mir, seit ich 1980 mit größtem Vergnügen Gödel, Escher, Bach gelesen habe. Künstliche Intelligenz in dem Sinn, wie ich sie seither erwartet hatte, meint etwas, das dem menschlichen Denken und Empfinden ebenbürtig ist – strong Artificial Intelligence, wie es die Fachleute nennen – und eben nicht jene heute übliche abgeschwächte Form, die sich im Wesentlichen auf Datenmining und limitierte Aufgabenbereiche konzentriert. Tja, und daran, dass wir auf diese starke AI bis heute – trotz mehr als einem halben Jahrhundert Forschung und des anfänglichen Optimismus der Vordenker wie Alan Turing – immer noch vergeblich warten (oder uns, je nach Standtpunkt und Weltbild, noch ganz unbegründet vor ihr fürchten), erinnert mich die aktuelle Wired-Coverstory “The future that never happened – why we still don’t have …” (sorry, vorerst kein Link hier – die Wired-Schnarchzapfen haben noch das vergangene Heft auf ihrer Website). Künstliche Intelligenz im starken Sinne wird darin zwar nicht aufgeführt, hätte aber sehr gut reingepasst.
So, und damit habe ich diese Kuh nun wirklich lange genug gemolken – eigentlich brauchte ich ja nur einen Vorwand für die absurde Story über nicht-gewerkschaftliches Outsourcing von gewerkschaftlichen Streikposten.
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