Es funktioniert so zuverlässig wie das Sabbern bei Pavlovs Hund: Man muss nur erwähnen, dass es einen breiten Konsens unter Klimaforschern darüber gibt, dass sich das Erdklima erwärmt und dass dies die Folge menschlichen Handelns ist – und prompt melden sich die “Skeptiker”, die entweder bestreiten, dass es diesen Konsens gibt, oder die den Konsentierenden dann wenigstens die Kompetenz (und damit die Befugnis zum Konsenz) absprechen. Wer’s am praktischen Beispiel nachvollziehen will, braucht nur hier zu klicken: Konsens zum Klimawandel – klar doch und dann die Kommentare durchlesen. Das gleiche passiert bei nahezu jedem Reizthema, zu dem sich die Forschung zwar einig ist, der “Mann auf der Straße” aber eine andere Meinung hat (Todesstrafe wäre in den USA ein weiteres Beispiel). Warum eigentlich?
Dazu würden
wahrscheinlich jedem von uns gleich Dutzende von Antworten einfallen, aber dank eines Papers, das im aktuellen Journal of Risk Research erscheint und für das Dan M. Kahan (Yale Law School) und seine Co-Autoren von der National Science Foundation unterstützt wurden, gibt es eine – wissenschaftlich konsensusfähige, hoffe ich doch – Antwort: Es ist nicht so, dass die Konsensus-Zweifler kein Vertrauen in die Wissenschaft haben – sie können sich einfach nur nicht vorstellen, dass jemand, der eine ihrer Überzeugung widersprechende These vertritt oder unterstützt, ein “Experte” sein könnte. Also genau das, was wir hier in den Blogs, aber auch sonstwo in beinahe jeder Diskussion scheinbar kontroverser, aber wissenschaftlich relativ homogen beurteilter Themen geht. Und davon will ich mich selbst nicht unbeding ausnehmen: Copenhagen Consenus – Schnee von gestern habe ich hier im Blog selbst geschrieben (und stehe selbstverständlich auch heute noch dazu).
Leider kann ich das Paper über Cultural Cognition of Scientific Consensus nicht im O-Ton zitieren, da ich nicht weiter als bis zum Abstract vordringen kann. Und die Pressemitteilung dazu, die von der National Science Foundation verbreitet wurde, ist leider sehr arm an Daten: Darin wird als Beispiel genannt, dass Personen, die eine eher wirtschaftsfreundliche Grundeinstellung haben und daher skeptisch gegenüber Umweltschmutz-Vorwürfen an Industrie und Kommerz sind, um 70 Prozent weniger dazu neigen, einen Forscher als Experten zu akzeptieren, der die Gefahren des Klimawandels als belegt darstellt. Umgekehrt sind Personen, die dem Kapitalismus grundsätzlich kritisch gegenüber stehen, um 50 Prozent weniger geneigt, die Expertenschaft eines Forschers anzuerkennen, der erklärt, die Datenlage zum Klimawandel sei noch nicht hinreichend klar.
Das vertrackte dabei ist, dass sich vermutlich kaum jemand aus diesem Bias befreien kann. Selbstverständlich würde ich sofort bezweifeln, dass ein Forscher, der den Klimawandel und seine Ursachen nicht erkennen kann (will?) überhaupt ein Klimaexperte sein kann! Aber da bin ich offenbar in die gleiche Kulturfalle getappt wie all jene, die den Konsens bestreiten.
Was bedeutet das nun aber? Kann man den Konsens, wie ich ihn im bereits zitierten Blogbeitrag Konsens zum Klimawandel – klar doch beschrieben habe – von 3146 Klimaforschern weltweit stimmten mehr als 90 Prozent stimmen der Aussage zu, dass die globale Durchschnittstemperatur gegenüber dem Niveau vor dem Jahr 1800 gestiegen ist, und 82 Prozent sehen menschliche Tätigkeit als einen signifikanten Faktor dabei – dadurch “weg-relativieren”? Bestimmt nicht, denn es gibt ja schließlich objektivierbare Kriterien fürs Expertentum (akademische Ausbildung, Forschungsgebiet, Zahl der einschlägigen Publikationen etc.). Der Haken ist nur, und das zumindest bestätigt Kahans Studie, dass dies in der Diskussion und folgerichtig auch in der öffentlichen Meinungsbildung nichts nützt:
“It is a mistake to think ‘scientific consensus,’ of its own force, will dispel cultural polarization on issues that admit scientific investigation. The same psychological dynamics that incline people to form a particular position on climate change, nuclear power and gun control also shape their perceptions of what ‘scientific consensus’ is.”
meint Kahan, zu Deutsch: es sei ein Irrtum zu glauben dass “wissenschaftlicher Konsens” alleine die kulturelle Polarisierung bei Themen, die sich der wissenschaftlichen Untersuchung erschließen, überwinden könne. “Die gleiche psychologische Dynamik, die Menschen dazu neigen lässt, eine bestimmte Position zum Klimawandel, zur Kernkraft oder Waffengesetzgebung zu finden, formt auch ihre Wahrnehmung dessen, was ‘wissenschaftlicher Konsens’ ist.”
Fazit für mich: Am besten ist es (und gute Diskutanten tun dies ja meist auch schon), den “wissenschaftlichen Konsens” nicht als Argument, sondern als Arsenal zu benutzen. Will heißen: Über die Fakten und Daten muss man anhand der Fakten und Daten diskutieren. Wissenschaftlicher Konsens bedeutet ja auch, dass es davon reichlich gibt – gewiss mehr, als die Gegenseite aufbieten kann.
Illustration: Leonardo da Vinci, Skizzen zu “Die Schlacht von Anghiari” (public domain)
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