Über den Zusammenhang zwischen einer Infektion mit dem Schnupfen erregenden Adenovirus des Serotyps 36 (kurz: AD36) hatte ich schon vor gut zehn Jahren mal etwas geschrieben – muss aber zugeben, das ich die Forschung seit damals nicht mehr weiter beobachtet habe. Nach der damaligen Datenlage wäre ich nicht überrascht gewesen, wenn sich die Sache am Ende als eine reine Korrelation ohne Kausation entpuppt hätte. Aber offenbar ist da mehr dran, denn in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazin Pediatrics berichtet der Kindermediziner Jeffrey B. Schwimmer von der University of California in San Diego über einen Zusammenhang zwischen AD36-Infektionen und Fettsucht speziell bei Kindern – und über den möglichen Mechanismus, der dabei am Werk ist.
Erst mal zu den Zahlen (alles aus dem Abstract, wegen des üblichen Problems mit dem Abo-Zugriff …). Demnach wurden bei 19 von 124 Kindern und Jugendlichen zwischen acht und 18 Jahren, die für die Studie untersucht wurden (= 15 Prozent), Antikörper für das AD36-Virus gefunden. 15 dieser Kinder waren klinisch übergewichtig – das sind 79 Prozent, nur vier Kinder mit AD36-Antikörpern fielen in die Kategorie normalgewichtig. Wobei man hinzufügen muss, dass etwa die Hälfte der Grundgesamtheit von 124 Kindern als fettleibig eingestuft wurde. Hinzu kommt, wie Schwimmer in diesem Video-Cliperklärt, die Kinder, die Anzeichen einer AD36-Infektion hatten, deutlich mehr Gewicht auf die Waage brachten als ihre ebenfalls übergewichtigen, aber AD36-freien Altersgenossen.
Das sind zwar, bei einer Grundgesamtheit von 124, nur kleine Kohorten, was die Beurteilung der Ergebnisse eher schwierig macht. Aber da Schwimmer und seine Kollegen auch einen Mechanismus beschreiben können, der den Zusammenhang plausibel macht, gehe ich mal davon aus, dass es sich hier um mehr als nur eine zufällige (oder durch eine Drittursache bedingte) Korrelation handelt: Bei de Untersuchung von Zellkulturen konnten die Forscher beobachten, dass wenn AD36-Viren prä-adipöse Zellen (= Vorstufen von Fettzellen) befallen, diese sich schneller entwickeln und schneller vermehren.
So weit, so gut. Den Zusammenhang zwischen Fettsucht bei Kindern und Infektionen mit dem Adenovirus des Typs 36 halte ich jedenfalls für überzeugend genug demonstriert, um ihn als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen zu akzeptieren (ich hoffe, das war jetzt wischiwaschi vorsichtig genug formuliert). Warum also das Fragezeichen in meiner Überschrift? Weil’s mir hier ähnlich geht wie bei der Lektüre all der Artikel und Papers, nach denn Gene etwas “verursachen”. Das Intelligenz-Gen beispielsweise hatte ja Thilo Sarrazin – zwar eher indirekt, aber dennoch recht unpassend – bemüht, mit bekannten Konsequenzen. Bei Eigenschaften wie Haar- und Augenfarbe halte ich den Kausalnexus von Geno- und Phänotyp für unbestreitbar; aber nicht alles, was eine genetische Komponente hat, wird von Genen verursacht. Die gleiche Unterscheidung muss man, meiner Ansicht nach, auch hier treffen: Die Infektion mit AD36 erhöht gewiss die Neigung zur Fettleibigkeit, und das womöglich in großem Ausmaß. Aber das heißt sicher nicht, dass damit Coca-Cola, Pepsi, McDonalds, Kraft und wie all die Kalorienlieferanten speziell für Kinder auch heißen mögen, von jeglicher Mitverantwortung befreit sind. Denn das Virus schafft vielleicht die Anlage, aber die Milka, der Bigmäc, die Cola etc. liefern das “Baumaterial”.
So viel muss man aber in jedem Fall auch klarstellen: Es ist nicht die Schuld des Kindes, wenn es übergewichtig ist, und es ist auch nicht die Schuld der Süßwaren- und Limonadenhersteller. Und ja, es ist vielleicht niemandes Schuld, schon gar nicht, wenn ein unauffälliges Virus mit im Spiel ist. Aber das heißt nicht, dass man nichts dagegen tun kann. Ist wie Glatteis, das ja auch nicht den Unfall verursacht, sondern nur die Voraussetzung schafft, auf der man dann mit nicht angemessenem Tempo ins Fiasko schlittert …
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