Mal wieder eine Frage als Überschrift*, dazu noch eine, auf die ich selbst erst mal mit der Gegenfrage “Wer behauptet denn sowas?” reagieren würde. Diese Gegenfrage jedenfalls ist ziemlich klar zu beantworten: Laut der Pressemitteilung der Penn State University ist dies der Tenor des Papers, das der Soziologe Christopher Scheitle in der aktuellen Ausgabe des Journal of Health and Social Behaviour (während ich das schreibe, steht auf der Journal-Website leider noch der Inhalt der letzten Ausgabe – mehr als die Pressemitteilung habe ich daher nicht verfügbar) untergebracht hat.

* Als Journalist soll man Fragezeichen in Headlines ja grundsätzlich vermeiden, aber als Blogger nehme ich mir gerade diese Freiheit des Nachfragens sehr gerne.

Worum geht’s in der Studie, die Scheitle gemeinsam mit der Religionssoziologin Amy Adamczyk durchgeführt hat und zu deren Zweck die Daten von insgesamt 423 Mitgliedern streng religiöser Gruppen (ausgefiltert aus insgesamt 30.523 Fallbeispielen zwischen 1972 und 2006) aus der Langzeitstudie General Social Survey ausgewertet wurden?

Previous research showed some association between belonging to a religious group and positive health outcomes. We became interested in what would happen to your health if you left a religious group.
Frühere Forschungsergebnisse wiesen auf einen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe und positiven Gesundheitsresultaten hin. Wir wollten wissen was mit der Gesundheit geschieht, wenn man aus einer religiösen Gruppe austritt.

Was passiert, das kann man ja schon aus meiner Überschrift ahnen: Die Leute werden kränker. Scheinbar. Vielleicht. Okay, rund 40 Prozent aller Sektenmitglieder gaben an, dass sie sich bei hervorragender Gesundheit befänden. Von denen, die aus ihren Sekten ausgetreten und anderen Gemeinschaften beigetreten waren, sind’s hingegen nur 25 Prozent. Und von jenen, die sich völlig von der Religion abgewandt hatten, sind nur – alles nach eigenen, subjektiven Angaben, versteht sich – fühlen sich nur noch 20 Prozent rundum gesund. Alles klar?

Zugegeben, Scheitle kann sogar ein paar nachvollziehbare Mechanismen nennen, die den Mitgliedern strenger Sekten – genannt werden im Pressetext unter anderem die Church of Jesus Christ of Latter-day Saints (besser bekannt als Mormonen) oder die Zeugen Jehovas – zu besserer Gesundheit verhelfen: strenge diätetische Vorschriften etwa, die etwa so ungesunde Verhaltensweisen wie das Rauchen und den Alkoholgenuss untersagen, oder ein starkes soziales Netz, das vor allem der geistigen Gesundheit förderlich sein könne (!): “The social solidarity and social support could have psychological benefits. That could lead to certain health benefits”, vermutet Scheitle – zu deutsch: die soziale Solidarität und der soziale Rückhalt habe psychologischen Nutzen, der wiederum einen gesundheitlichen Nutzen nach sich ziehen könne. Und spätestens da werd’ ich skeptisch, denn das klingt mir einfach zu positiv.

Selbst die Einschränkung, dass es nicht undenkbar sei, wenn Krankheit nicht Folge, sondern Ursache des Sektenaustritts sei, da “einem kranken Sektenmitglied Zweifel an der Zugehörigkeit zu einer Gruppe kommen könnten, die den Glauben an ein allmächtiges Wesen verbreitet, das versäumt hat, ihre oder seine Krankheit zu heilen”, greift meines Erachtens zwar nicht total daneben, aber bestimmt zu kurz.

Ich würde nämlich mal die Vermutung in den Ring werfen, dass Gesundheit – genauer gesagt, der feste Glaube, dass man selbst gesund sei – eine conditio sine qua non nicht weniger Sekten ist. Gerade weil sie an diesen allmächtigen und allheilenden Gott glauben, darf es gar nicht sein, dass jemand krank ist, so lange er dem Glauben treu anhängt. Wenn die Gesundheit dann doch versagt, so ist es eine Strafe eben jenen Gottes für Zweifler und Abtrünnige, die selbstverständlich auch keinen Platz mehr in der Glaubensgemeinschaft haben. Das muss natürlich nicht immer so plump ausgedrückt werden, wie ich es jetzt hier formuliert habe, aber dass der Mechanismus “wen Gott verlässt, der hat’s verdient” sowieso ein unterschwelliges Druckmittel der meisten “strengen” (lies: fundamentalistischen) Glaubensgemeinschaften ist, habe ich aus eigenen Beobachtungen über die Jahre hinweg gelernt. Und da Scheitles Studie rein methodisch mit der Auswertung nicht zielspezifisch erhobener und nur subjektiv chasrakterisierter “Daten” auf wackeligen Beinen steht, erlaube ich mir, meine Betrachtung ebenso subjektiv – oder sagen wir “heuristisch”, das klingt besser – gegen seine zu stellen.

Vor elf Jahren beispielsweise hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, im Auftrag der Berliner Morgenpost eine Art Weltkongress der selbst ernannten “Wunderheiler” in ihrem Hauptquartier bei Wisconsin Dells zu beobachten. Diese Gruppe – die sich selbst natürlich niemals als eine Sekte verstanden wissen will – geht, um es mal ganz schlicht auszudrücken, von dem Credo aus, dass Krankheit und Tod für den Gläubigen nicht existieren. Nur wer beschließt, krank zu sein, der wird auch krank. “Niemand leidet Schmerzen, wenn nicht seine Entscheidung diesen Zustand für ihn wählt”, war eine derf Thesen, die der namentlich nicht identifizierte “Master Teacher” (also der de-facto-Sektenchef) damals verkündete. Wer sich ein paar O-Töne dieses Meisterlehrers antun will, die bis an meine Schmerzgrenze mit pseudobabbeligen Anspielungen auf die Quantenphysik garniert sind, der mag hier klicken – einbetten werd’ ich solche Videos hier bestimmt nicht. Origineller Weise schien diese spirituelle Vorbild durchaus beschlossen zu haben, dass körperliche Versehrtheit auch für ihn existieren kann – in seinem Auto war damals ganz deutlich ein Behinderten-Parkausweis zu sehen …

Der Umkehrschluss lautet auch hier: Wer krank ist, der glaubt nur nicht richtig. Dabei glauben diese armen Leute dem Ganzen sogar so sehr, dass sie sich dann nicht mehr für würdig halten, der Sekte anzugehören. Klar, dass das dann krank macht …

flattr this!

Kommentare (15)

  1. #1 Wb
    23. September 2010

    Schön, dass man bei Ihnen zur Studie gleich die Meinung mitbekommt. das spart Zeit.
    Einigen sich Wb und Inhaltemeister aber vielleicht darauf, dass der Atheist sich nicht mehr so richtig gerne vermehrt.

    Ist ein wenig so wie im Film “Gladiator”, wenn Antonius Proximo einen Händler wegen den Kamelen anmängelt, man weiß nicht warum und so, aber man ahnt: Die Kamele waren ungläubig. 🙂

    MFG
    Wb

  2. #2 Randifan
    23. September 2010

    Im Grunde müsste der Titel des Berichts lauten, Abkehr von der christlichen Religion mache krank, mancher christlicher Missionar dürfte von diesen Studien empört sein, wenn manche Andersgläubige es vorziehen aus Angst um ihre Gesundheit ihren Glauben zu behalten.

    In einem alten Spiegelartikel wird ein ehemaliger Zeuge Jehovas zitiert, der behauptet in manchen Gemeinden schlucken 50 % aller Mitglieder Antidrepressiva.
    https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13693277.html

    Laut Mormonenkritikern sieht es bei den Mormonen nicht besser aus.
    https://www.mormonen-wissen.de/Utahs-finstere-Realit.ae.t.htm

  3. #3 Jürgen Schönstein
    23. September 2010

    @Wb

    Einigen sich Wb und Inhaltemeister aber vielleicht darauf, dass der Atheist sich nicht mehr so richtig gerne vermehrt.

    ???

  4. #4 kommentarabo
    24. September 2010

  5. #5 michael
    24. September 2010

    @WB
    > der Atheist sich nicht mehr so richtig gerne vermehrt

    Etwas OffTopic:

    Wie der verehrte Webbaer ja woanders (bei MartinB) dargelegt hat, bedeutet der Artikel ‘der’ in ‘der Atheist’, dass der Webbaer an einen männlichen Atheisten denkt. Aber wie vermehrt sich denn ein männlicher Atheist? Durch Klonen oder durch Knospen?

  6. #6 pogobi
    24. September 2010

    Durch Störche natürlich!

  7. #7 CCS
    24. September 2010

    Es scheint zumindest eine Korrelation zwischen kleinen (religiösen) Gemeinden und langem Leben zu geben. Ist natürlich nur ein Faktor unter vielen, aber dennoch recht interessant. Eine Publikation habe ich dazu nicht, aber diesen TEDtalk:

  8. #8 Klaus
    24. September 2010

    Für die meisten Amerikaner (Weiße – Europäischen Ursprungs) ist das so! Der religiöse Zusammenhalt ist enorm wichtig.
    Das gesamte amerikanische Gesellschaftssystem beruht auf religiösen Überzeugungen!
    Vom einfachen Arbeiter, über den IT Manager bis hin um Präsidenten spielt Religion eine bedeutende Rolle.
    Die gleiche Entwicklung ist seit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus, übrigens auch in Russland auszumachen.

  9. #9 Wb
    24. September 2010

    Man stößt jedenfalls nach der Abwendung von der Religion in ein Wertedefizit, das es zu füllen gilt. Damit sich die Leutz wohlfühlen – wer sich nicht wohlfühlt, fühlt sich oft krank. Muss natürlich nicht so sein, die Lebenserwartung zeigt ja deutlich nach oben, die Fertilitätsrate dagegen aber nach unten. Auch als der feste sozialistische Werteverbund der DDR hopp ging, ließen die Geburtenzahlen in den neuen Bundesländern nach.

    Das Sein bestimmt das Bewusstsein, zum Sein gehören aber auch Werte (von Marx vllt nicht ganz so gemeint 🙂 und der Mensch (vs. Webbaer) will typischerweise glauben.

    Das soll jetzt keineswegs als Plädoyer für die Esoterik oder billige andere Glaubensmengen (Anti-Kernkraft, “Hundehusten”, CO2-Eisbären etc.) verstanden werden, sondern nur so, dass die Abkehr von der Religion krank machen kann.

    “Der Umkehrschluss lautet auch hier: Wer krank ist, der glaubt nur nicht richtig.”, hmm, da könnte was dran sein, auch wenn nicht so wie der “Sekte” unterstellt.

    MFG
    Wb

  10. #10 YeRainbow
    25. September 2010

    Survey?

    Befragung von Leuten erhebt keine Daten, sondern nur meanings.
    Seit den 70ern ist das den sozialwissenschaftlern eigentlich bekannt.

    Daß der Wegfall sozialer Sicherheiten und sozialer netzwerke Menschen einige SChwierigkeiten bereitet, ist ebenso keine neue Erkentnis.

  11. #11 Jaddy
    27. September 2010

    Erste Frage: Wie ist denn die Altersverteilung der Befragten? Und warum haben sich die Apostaten von ihrem ehemaligen Glauben losgesagt?

    Ich vermute, dass da noch eine Menge Dinge offen sind. In der Pressemitteilung schränken die Autoren ja auch ein, dass sie nur das subjektive Gesundheitsempfinden der Befragten aufzeichnen und keine objektiven Daten.

  12. #12 Threepoints...
    28. September 2010

    “Befragung von Leuten erhebt keine Daten, sondern nur meanings.”

    Aber ja, … nur Meinungen werden dadurch erhalten. Aus diesen aber kann bei intelligenter generierung durchaus Fakten erstellt werden. Viele mögen jetzt wieder einwänden, das sei dann doch alles Subjektiv. Aber so einfach kann das nicht wegerklärt werden. Die Meinung selbst war subjektiv – und die darauf folgende Generierung macht darauf wieder ein weitaus weniger subjektive Faktensammlung. Wenn auch nur Meinung gegen Meinung weggerechnet werden wird – so bleibt irgendwo ein kalter Stamm an Tatsachen.

    Meine Meinung vom Glauben:

    Der interlektuelle Glaube mündet im “ismus”. Der ausserlektuelle beim Götzenbild, …. und der Nichtglaube beim Monster…?!

  13. #13 Geoman
    28. September 2010

    Mich würde interessieren, ob auch die Abkehr vom Wissenschaftsaberglauben, der fast den gesamten Scienceblogs durchseucht hat, krank macht, oder ob die Blogger und Kommentatoren, die so unbeirrbar an diesem Aberglauben festhalten, fürchten, durch eine Abkehr krank zu werden.

  14. #14 Andrea N.D.
    29. September 2010

    @Webbie:
    “Man stößt jedenfalls nach der Abwendung von der Religion in ein Wertedefizit, das es zu füllen gilt.”

    Viel beschworen, nie verifiziert. Hoffentlich stößt Du nicht mit Deinen “Werten” in das angebliche Vakuum. Dein “Wertekonzept”, das Du des öfteren meinst, hier präsentieren zu müssen, ist “moralisch” höchst bedenklich.

  15. #15 threepoints...
    29. September 2010

    Nach Abdrehen des Wasserhahns entsteht irgendwo ein Wasserdefizit. aber auch nur, weil man mit mehr Wasser gerechnet hat – wie es so ist mit halben Sachen… . Und so entstünde möglicherweise nach abwendung vom Wissenschaftsglauben kein Wissensdefizit, sondern ein “Erwartungsdefizit”. Solcherlei Defizite entstehen eben immer nur aus einer Erwartungshaltung.

    Und es wird gleich sein, aus welchem Glauben eine Erwartung entstammt. Diese Funktion bleibt unbeeindruckt.
    Es ist nur eindeutg, dass sich der Gläubige weder ersatzlos abwenden darf – noch irgend Erfüllung finden darf, ohne dass ihm daduch neue Erwartungen aufgehen.

    So funktioniert alelrdings eben nur der Glaube, nicht aber das Wissen – wenn letztendlich jemand eine Trennung vornehmen will …