Das bisschen Musik, das ich höre, mache ich mir zwar meistens selber, aber als ich vergangene Woche zur Premiere einer geheimnisvollen Weltneuheit ins Haupquartier der Firma Bose in Framingham (Massachusetts) geladen war, wären auch meine von HiFeinheiten unbedarften Ohren vor Überraschung beinahe abgefallen: Es ist den Technikern dieser Unterhaltungselektronik-Firma gelungen, den akustischen Leistungsumfang einer 5.1-SurroundSound-Anlage in die Rückwand eines 46-Zoll-Flachbildschirms zu packen – inklusive des ansonsten mit mörderischen (aus der Sicht des 1080p-LCD-Bildschirms) Vibrationen daher kommenden SubWoofers.
Für jemanden, der wie ich noch einen Vinyl-Plattenspieler im Haus hat und der im Traum nicht daran denken würde, seine eh’ schon pro Flächeneinheit viel zu teure Wohnimmobilie mit den für solche Systeme üblichen fünf Boxen etc. zuzubauen, ist das jedenfalls enorm verblüffend. Und dass für dieses VideoWave-System (sorry, soll keine Schleichwerbung sein, aber man muss das Kind ja auch mal beim Namen nennen) eine ganze Reihe von neuen Erfindungen nötig waren, will ich gerne glauben. Der so genannte PhaseGuide, beispielsweise, der wie ein Laserpointer den Schall spezifischer Bänder so projizieren kann, dass ausschließlich dessen Reflexion – von der Stelle, wo die “virtuelle” Schallquelle sein soll – unser Ohr erreicht. Könnte man auch ein prima Kinderspielzeug draus machen … Allein die dafür entwickelte (und patentierte) Software, mit der die insgesamt sieben Lautsprecher im TV-Gehäuse angesteuert werden, sei so aufwändig, erklärte der beteiligte Forscher Bill Berardi, dass Billig-Nachbauten auf lange Sicht nicht zu befürchten seien.
Aber dies hier ist kein HiFi-Blog, sondern es soll ja um Wissenschaft, um Forschung gehen. Tut’s auch: Die Firma hat in diesen Flachbildschirm mit eingebauten Kinoklang (der auch als reines Musiksystem dienen kann – man muss nur den Bildschirm schwarz drehen) mehr als zehn Jahre Forschungsarbeit gesteckt. Und zwar nicht nur die Arbeit eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe, sondern von mehreren Dutzend Ingenieuren.
Wenn ich jetzt böse drauf wäre, würde ich beckmessern: Die haben tatsächlich zehn Jahre und wer-weiß-wieviele Arbeitsstunden in ein Forschungsprojekt investiert, das noch nicht mal wirklich etwas neues leistet (5.1-Raumklangsysteme gibt’s ja schon reichlich), sondern lediglich das Bekannte etwas komfortabler macht? Gibt’s denn keine dringenderen Probleme auf der Welt, die man lösen kann?
Die gibt’s natürlich, und darüber, ob die Welt wirklich ein einfacheres Raumklang- und Heimkino-Produkt gebraucht hat, kann man gerne streiten. Letztlich wird sich diese Frage an den Registrierkassen des Einzelhandels entscheiden. Aber Tatsache ist, dass Unternehmen wie Bose eine Menge Geld in Forschung stecken und damit nicht nur Jobs für Hochschulabsolventen schaffen, sondern jenen oft mehr Freiheit lassen, als sich manche Hochschul-Forscher erträumen könnten. Ich hatte zu diesem Thema vor einigen Jahren schon mal ein längeres Gespräch mit dem Firmengründer Amar Bose geführt, aus dem ich hier nun zitieren will:
Man sagt, Ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilung sei eine der größten der Branche.
Bose: Mag sein. Wir beschäftigen rund 900 Mitarbeiter in F&E.
Ist es eigentlich schwer, gute Wissenschaftler für die Privatwirtschaft zu finden? Ehrgeizige Akademiker finden es sicher ziemlich unattraktiv, dass sie die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht publizieren oder gar unter eigenem Namen patentieren lassen können.
Ja, an den Universitäten geht es um “publish or perish” – wer nichts veröffentlicht, der ist ein Niemand. Das ist wie eine Seuche im Lehrkörper. Als ich zu meiner ersten Beförderung als Dozent am MIT anstand, riet mir mein Professor, meinen Lebenslauf dadurch aufzubessern, dass ich auch meine Hobbyforschung auf dem Gebiet der Akustik – von Haus aus bin ich Elektroniker – aufführen sollte, mit dem Hinweis “Veröffentlichung steht bevor”, obwohl das gar nicht stimmte. Ich war so entsetzt, dass ich beinahe auf den Dozentenposten verzichtet hätte.Na schön, aber sehen Ihre Forscher das genau so?
Wer für Bose arbeitet, weiß von vorne herein, dass er Anerkennung nicht durch eine wissenschaftliche Fachpublikation finden kann, sondern dadurch, dass sich die Produkte, die aus seiner Arbeit resultieren, im Markt durchsetzen. Und er weiß, dass seine Leistung in der Firma anerkannt wird.Also forschen alle an irgendwelchen Projekten, die in kommerziellen Produkten enden werden?
Das kann man sowieso nie im Voraus sagen. Aber ich kann Ihnen verraten, dass Einiges, woran meine Firma arbeitet, nie für den Privatkonsum gedacht ist. Schon kurz nachdem ich meine Firma vor nun etwa 40 Jahren gestartet hatte, nahm ich Aufträge der Regierung an, um meine Forschungsabteilung finanzieren zu können. Und das habe ich bis heute beibehalten, auch wenn wir inzwischen längst nicht mehr so auf die staatlichen Mittel angewiesen sind.
Wie viel Geld stecken Sie denn so in die Forschung?
Das verrate ich nicht, und da wir keine Aktiengesellschaft sind, muss ich das auch nicht. Aber so viel kann ich Ihnen verraten: Alle Gewinne fließen vollständig wieder in die Firma zurück.
Und doch haben Sie Rüstungsaufträge nötig?
Wir arbeiten nicht an Waffenprogrammen, falls Sie das meinen. Aber wir haben beispielsweise in den 70-er Jahren Im Auftrag des Admirals Hyman Rickover ein Steuersystem für nukleare Brennstäbe entwickelt, das heute in allen Atom-U-Booten eingesetzt wird. Es wäre auch für zivile Anwendungen denkbar, doch das ist, soweit ich weiß, nie geschehen. Aber mein erster Regierungsauftrag, den ich kurz nach der Gründung meiner Firma angenommen hatte, war die Entwicklung eines Systems, das den aus Flugzeugtriebwerken gewonnenen Strom konstant auf 50 beziehungsweise 60 Hertz hält – und dieses System ist heute in allen Verkehrsmaschinen zu finden.
Mit Akustik hat das alles aber nichts zu tun …
Bose: Nein. Rund ein Zehntel der Bose-Forscher arbeitet an Entwicklungen, die nichts mit Akustik zu tun haben.
Und manchmal kommen dann Sachen raus wie ein elektronisches Federbein, das sich das gleiche Prinzip der destruktiven Interferenz (Stichwort: Antischall) wie die NoiseCancelling-Kopfhörer zu Nutzen macht und deshalb auch als “Project Sound” gestartet wurde; falls es sich durchsetzen wird, könnte es nicht nur den Fahrkomfort, sondern auch die Sicherheit von Autos erheblich steigern. Oder die bereits erwähnten Kopfhörer, die eigentlich nicht als Produkt gedacht waren, sondern als Herausforderung an die Ingenieure:
Den ersten Prototyp hatten wir für Dick Rutan und Jenna Yaeger entwickelt, die 1986 mit ihrem Flugzeug “Voyager” nonstop die Welt umkreisten. Aus Gewichtsgründen hatten sie auf alle unnötige Isolierung verzichten müssen, mit der Folge, dass die Windgeräusche so laut waren, dass die beiden nach Einschätzung der Ärzte permanent ein Drittel ihres Gehörs verloren hätten. Da wollten wir helfen. Später haben wir daraus Kopfhörer für Panzerfahrer und Berufspiloten entwickelt. Die Idee, dass es dafür auch einen Markt für den Heimgebrauch geben könnte, ist uns erst später gekommen.
An Ideen dürfte es in einer Firma mit 900 Forschern auf der Payroll nicht mangeln.
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