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Da mein letztes Posting vor der mehrwöchigen Sommerpause (die weniger mit dem Sommer als vielmehr mit einer tief greifenden, wenngleich insgesamt sehr positiven Veränderung meiner Lebensumstände zusammenhing – dazu ein andermal ein paar Zeilen mehr) sich mit der Frage Wissenschaft und Glauben befasste, reizt es mich nun, mal wieder in die Tasten zu greifen, um auf einen kürzlich erschienenen Leitartikel im Wall Street Journal von Stephen Hawking und Leonard Mlodinow (eigentlich ein Auszug aus ihrem an diesem Dienstag erschienenen Buch The Grand Design), in dem die beiden erklären, warum es keinen Gott braucht, um die Existenz des Universums zu rechtfertigen.


Damit klappen sie natürlich den letzten kleinen Spalt in jener Tür zu, hinter der die Religion(en) noch eine Koexistenzberechtigung in einer wissenschaftlich erklärbaren Welt zu finden erhofften: Dass zumindest die Entstehung des Universums und seiner wissenschaftlich beschreibbaren Regeln, nach denen alles seither abläuft, der Akt eines übernatürlichen Schöpfers gewesen sein muss. Nö, muss es nicht, sagen Hawking und Mlodinow, und bestätigen damit, was die meisten (Natur-)Wissenschaftler eh’ schon längst geahnt haben. Wobei sie mit der Verwendung des Begriffs “Design” im Titel den Kreationisten/ID-Anhängern noch extra eine Nase drehen …

Dass dies natürlich nicht das Ende der Religion sein wird, muss man nicht betonen – wenn dies mit sachlichen Argumenten erreichen ließe, wären die Kutten und liturgischen Gewänder aller Konfessionen längst in die Altkleidersammlung gewandert. Menschen glauben, was sie glauben wollen, und vor allem, weil sie glauben wollen. Aber genau so, wie Wissenschaft eben keine Glaubenssache ist, sollte Glauben – im spirituellen Sinn – sich nicht an der Wissenschaft messen. Angesichts mehrerer Jahrtausende oft krass antipodischer Religions- und Wissenschaftsgeschichte sicher eine naive Annahme – aber keine, die völlig unbegründet und vor allem ohne praktischen Beleg ist.

Ab dieser Stelle wird’s sehr persönlich; wem das zu sentimental oder zu subjektiv im Rahmen eines Wissenschaftsblogs vorkommt – bitte hier klicken! Dann ist’s weg vom Bildschirm.

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Vor genau einem Jahr und drei Wochen starb Arnold Westwood (Foto), ein sehr lieber, alter Freund von mir. Ein trotz seiner 88 Jahre von beinahe jugendlicher Neugier und Begeisterung für alles Wissen geprägter Mann, der sich für Wissenschaft, Technik, Umweltfragen, Politik – kurz: für alles, begeistern konnte. Und ja, wie man auf dem Bild vielleicht erkennen kann, war Arnold das, was man einen “Geistlichen” nennt – Magister der Theologie an der Tufts University, Gründer und Leiter gleich mehrerer Kirchengemeinden, und bis zum Schluss ein enthusiastisches Mitglied einer kleinen Gemeinde in West Cummington, Massachusetts, wohin ich, ein tief überzeugter, lebenslanger Atheist, ihn bei jedem meiner Besuche begleitete. Ich, in einer Kirche? “Kirche” wird dort gewiss nicht so verstanden, wie wir sie vor allem im katholischen Bayern kennen lernten: Eine Gemeinde, die nicht von einem Priester, sondern von einem Schriftsteller – Stephen Philbrick stammt aus einer literarischen Neuengland-Familie – geführt wird; in der es außer einem Strauß Blumen keinerlei Symbole gibt – kein Kreuz, keine Ikonen, keine Bibeln; die gegen Krieg und für Schwulenehe eintritt und dafür, sommers wie eiskalten winters Mahnwachen hält; die keinen bestimmten Glauben als Aufnahmebedingung kennt – nicht mal Christ muss man dort sein, da es auch jüdische Gemeindemitglieder gibt.

Ja, ist so was denn dann noch Kirche, hat das noch etwas mit Religion zu tun? Ich kann jedem versichern, dass die Rituale, die Gesänge und natürlich die Kollekte (die einzige Einnahmequelle des Predigers) so “kirchlich” sind wie in jeder anderen frei-, sams- oder sonntäglich zusammentretenden Kongregation. Und der Zweck der Zusammenkunft ist so spirituell, wie er in einer Kirche nur sein kann. Der Unterschied ist nur, dass es dabei nicht um einen übernatürlichen Gott geht, sondern durchaus natürlich um den Menschen.

Doch selbst ich war bis zur Sprachlosigkeit überrascht, als einer von Arnolds Söhnen auf der Trauerfeier vor einem Jahr ein Geheimnis seines Vaters verriet: “Ihr werdet überrascht sein, aber mein Vater glaubte nicht an ein Leben nach dem Tod.” Wie, da wurde jemand Priester, ohne sich des ultimaten Incentives aller Geistlichen zu versichern – dass es ein Leben nach dem Tod gibt, in dem sie üppig belohnt und privilegiert sein werden? Nein, Arnold glaubte, dass der Himmel, die Hölle das sind, was wir Menschen in unserem Leben aus unserer Welt machen. Nicht mehr, und nicht weniger.

Und spätestens seit dieser “Offenbarung” weiß ich, dass eine Religion nicht der Glaube an einen Gott sein muss – sie kann auch der Glaube an den Menschen sein. So eine Religion braucht keine Schöpfungsgeschichte, um zu erkunden, wie wir besser miteinander umgehen können. Und sie muss nicht mit der Wissenschaft um das Recht auf Antworten konkurrieren. Und sie braucht deswegen, wie das Leben Arnold Westwoods zeigt, nicht weniger spirituell erfüllt zu sein.

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Kommentare (11)

  1. #1 kommentarabo
    8. September 2010

  2. #2 Andreas
    8. September 2010

    1.: Gibt es was zum Buch von Hawking/Mlodinow zu sagen?
    2.: Was haben die bloß gegen Homosexualität?

  3. #3 Hagen
    8. September 2010

    Wow. Das ist eine Kirche, in die selbst ich mal gehen würde.

    Und das Buch von Hawking steht jetzt auf meiner Liste!

  4. #4 adenosine
    8. September 2010

    Die Frage ist eher, ob der Mensch eine Erklärung über den Sinn seiner Existenz benötigt, oder ob er sich damit abfinden kann, dass das ungewiss ist. Aussagen über die Gravitation werden da nicht helfen.

  5. #5 Frank Quednau
    8. September 2010

    Die Sache mit Arnold Westwod gefällt mir gut – aber ich fürchte in Hawking’s Buch wird nichts belegbares drin stehen, dass die Entstehung des Universums tatsächlich so ablief. Multiversum? M-theorie? Riecht alles sehr nach “string theory landscape”. Ist’s denn kein Glauben mehr, nur weil ein paar Formeln dazugeschrieben werden?

  6. #6 Arnd
    8. September 2010

    Tufts University scheint interessant zu sein. Da kommt doch auch Dan Dennet her.

    Schöner Text. Ich glaube viele Priester in Deutschland sind in Wirklichkeit auch so drauf, können es aber natürlich nicht zugeben.

  7. #7 Lichtecho
    8. September 2010

    “… und bestätigen damit, was die meisten (Natur-)Wissenschaftler eh’ schon längst geahnt haben.” Ja, das Buch an dieser Gottesfrage aufzuhängen ist ein durchschaubarer Marketingtrick. Überhaupt neigen ja englischsprachige Sachbuchautoren gerne dazu ihren Büchern Pep zu geben, in dem irgendwo das Wort Gott eingebaut wird. Das funktioniert halt ganz gut.

    Den zweiten Teil des Blogpost finde ich ganz sympathisch. Mein Kirchenaustritt hat sich auch lange hinausgezögert, weil ich gehofft habe, dass sich die (ev.) Kirche vielleicht doch von einer dogmengeleiteten Kirche zu einer Kirche für Menschen weiterentwickelt. Unter Bischof Huber ist aber genau das Gegenteil passiert. Es ist echt schade, was für eine große Möglichkeit die Kirchen da leichtfertig verspielen.

  8. #8 Uwe Wolff
    8. September 2010

    Den Mann hätte ich auch gerne mal kennengelernt……

  9. #9 Uwe Wolff
    8. September 2010

    Den Mann hätte ich auch gerne mal kennengelernt……

  10. #10 miesepeter3
    9. September 2010

    @Jörg Schönstein

    Das Universum hat keinen Gott nötig…. ist eine Binsenwahrheit.
    Wieviel Gott verträgt das Universum? ist eine Frage, die das Universum wohl ebenso kalt ließe, bloß uns Menschen nicht. Aber wir können uns dann herrlich streiten. Und manch einer nimmt das dann auch noch ernst. Offensichtlich sogar jemand vom Kaliber eines Hawkings.

  11. #11 Professore Webbaer
    15. September 2010

    in dem die beiden erklären, warum es keinen Gott braucht, um die Existenz des Universums zu rechtfertigen

    Wurde Hawking nicht früher immer vorgeworfen einen Sinn zu suchen und so indirekt oder direkt religiös zu sein? Ist Hawking, jetzt im Alter (sieh an, sieh an), unreligiös geworden?

    Ansonsten:
    Irgendetwas treibt die Welt an. Dieses Etwas beweist dann auch den Pantheismus, der richtig verstanden aber eben nicht religiös ist. Jedenfalls nicht so religiös wie bspw. die Weltreligionen inkl. Atheismus (der Glauben daran, dass es Gott nicht gibt, LOL) sind.

    Man darf aber auch gerne agnostisch sein in dieser Frage. BTW, welche Religion hat Obama, ist er vielleicht ungläubig (im weltreligiösen Sinn), ist er vielleicht Atheist?
    A: Nein, auch Obama ist agnostisch.

    Die Frage, ob Gott benötigt wird für das Uni- oder Multiversum beantwortet sich übrigens aus der Fragestellung heraus.

    Sicherlich hat die Welt ein Design, möglicherweise ist sie auch designt, aber all das wird der freundliche und geneigte Leser dem sicherlich wieder großartigen Buch von Hawking (und Mlodinow) selbst entnehmen können.

    HTH
    Wb