Dieser Spruch, der auf einen Satz in Friedrick Nietzsche’s Erinnerungsbuch Ecce Homo zurück geht (dort steht er allerdings in der dritten Person: “Was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker”), wird oft zitiert – aber stimmt das auch? Wenn man dem Paper Whatever does not kill us: Cumulative lifetime adversity, vulnerability, and resilience glauben darf, das im aktuellen Journal of Personality and Social Psychology erschienen ist, dann hat diese zum Klischee degenerierte Einsicht eine wissenschaftliche Substanz:

Exposure to adverse life events typically predicts subsequent negative effects on mental health and well-being, such that more adversity predicts worse outcomes. However, adverse experiences may also foster subsequent resilience, with resulting advantages for mental health and well-being.

schreiben Mark Seery (Psychologie-Professor an der University at Buffalo), Alison Holman und Roxane Cohen Silver (beide von der University of California in Irvine).

Persönlich würde ich erst mal behaupten, dass der Nietzsche-Spruch nichts weiter ist als eine triviale Durchhalte-Parole. Spontan könnte ich wohl mehr (anekdotische) Fälle aufzählen, in denen Personen von Schicksals- oder Gesundheitsschlägen erheblich gebeutelt wurden und nie wieder ihre frühere geistige und körperliche Fitness erreichten. Und wenn mir Leute mit dem Spruch kommen, dann sträuben sich mir die Nackenhaare. Die haben ja leicht reden …

Und doch sind sich Seery und seine Mit-Autorinnen sicher, dass sie in den Daten einer Langzeitstudie mit 2398 Teilnehmern zwischen 2001 und 2004 die Probanden, denen “einige Widrigkeiten” (“some adverse events” heißt es in der Uni-Pressemitteilung) widerfahren waren, geistig besser drauf waren als beispielsweise Teilnehmer ohne jegliche negative Erfahrungen im Beobachtungszeitraum. Aber dies gilt offenbar nur in einem Mittelfeld der Widrigkeiten: Probanden mit sehr hohem Level an negativen Erlebnissen schnitten ebenfalls schlechter ab.

Naja, von da ab wird’s dann, so will mir scheinen, zunehmend wässerig. Denn natürlich sagt diese Korrelation nichts über die im Nietzsche-Zitat unterstellte Kausation – ebenso gut könnte man postulieren, dass eine gute psychische Konstitution hilft, auch kleinere und mittlere Schicksalsschläge ohne nennenswerten Schaden zu überstehen. Die Forscher vermuten zwar, dass die negativen Erfahrungen in Maßen dazu beitragen, die seelische Widerstandskraft zu erhöhen, aber beweisen können sie es letztlich nicht. Weshalb das Fazit der Pressemitteilung sicher den Kernsatz enthält:

…there is much work that still needs to be done to fully understand resilience and where it comes from.”

Zu deutsch: Wir haben noch viel Arbeit vor uns, ehe wir eigentlich was sagen können.

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Kommentare (4)

  1. #1 Dr. Webbaer
    16. Oktober 2010

    Und wenn mir Leute mit dem Spruch kommen, dann sträuben sich mir die Nackenhaare.

    “Indianer fühlen keinen Schmerz.” war früher die vergleichbare Variante für Kinder beim Zahnarzt. 🙂
    Wb gar gewusst haben, dass das von Nietzsche war.

    MFG
    Wb

  2. #2 kommentarabo
    16. Oktober 2010

  3. #3 MisterX
    18. Oktober 2010

    wieso macht man mit so einem quatsch eine studie?

  4. #4 Sven Türpe
    18. Oktober 2010

    Welcherart waren denn die betrachteten Widrigkeiten und wieviele Probanden entschieden sich im Laufe der Studie für den Freitod?