In gewisser Weise ist dies eine Replik auf Martin Bäkers Experiment zum Sexismus in der deutschen Sprache, das seinerseits wiederum einen Gedanken aufgriff, der Martin bei der Lektüre von Ali Arbias Posting zur politischen Korrektheit gekommen war (mal sehen, wer dann wiederum den Faden von meinem Beitrag aufgreift*). Ich war durch eine Pressemitteilung der Göteburg-Universität (für die es hier auch eine deutsche Version gibt) aufmerksam gemacht worden , die auf die Dissertation von Magnus Pettersson über “Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen. Eine Referenz- und Relevanzanalyse an Texten” hinweist. Pettersson behandelt genau die gleiche Problemstellung wie Martins Experiment: Wenn die deutsche Sprache sowohl weibliche als auch männliche Substantivformen kennt (die Lehrerin/der Lehrer), warum wird dann manchmal eine gesplittete Anredeform (“Liebe Kolleginnen und Kollegen”) verwendet, und manchmal die männliche Form (“Proletarier aller Länder … – dieses Beispiel stammt von mir!) als generischer, scheinbar geschlechtsneutraler Überbegriff?
* Nachtrag: Jörg Rings, und zwar hier: Der Effekt geschlechtsneutraler Sprache
Obwohl die Uni-Website den Zugriff auf die Dissertation – die, trotz der schwedischen Universität und des englischen Abstracts, auf Deutsch abgefasst ist – versprochen hat, komme ich nur an jenen Abstract heran. Und der enthält leider keinen Beleg für die Feststellung, die der bereits erwähnten Pressemitteilung fett vorangestellt ist und die ich dann auch ich in meiner Überschrift aufgegriffen habe:
The German language uses gender-inclusive personal nouns to express closeness and sympathy with the people under discussion and to ensure that all readers feel included when addressed. However, masculine language forms are used to express distance and distaste, reveals a new thesis on the German language from the University of Gothenburg.
Die deutsche Sprache verwendet geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen um Nähe und Sympathie mit den betreffenden Personen auszudrücken und sicher zu stellen, dass sich alle Leser in die Anrede eingeschlossen fühlen. Die männliche Formen hingegen werden verwendet, um Distanz und Abneigung auszudrücken, enthüllt eine neue Doktorarbeit über die deutsche Sprache an der Göteborg-Universität.
Das wäre im Prinzip das exakte Gegenteil dessen was Martin in seinem Scienceblogs-Experiment gefunden hat – dort schien es ihm, dass durch die Verwendung männlicher Sammelbegriffe (“Radfahrer” war sein Beispiel) eine unterschwellige Präferenz für das Maskuline zum Ausdruck komme. Mal abgesehen davon, dass Pettersson dieses ihm als Entdecker zugeordnete Distanzbedürfnis offenbar nur bei der gezielten Verwendung männlicher Formen im feministischen Kontext gefunden hat:
“It turns out that not even feminists are always consistent. A lot of masculine forms sneak in, generally when the people under discussion are in some way stereotypically male, or when the author wants to introduce an element of distance from them.
Es zeigt sich, dass selbst Feministen* nicht immer konsequent sind. Viele männliche Formen schleichen sich ein, im Allgemeinen wenn die betroffenen Personen irgendwie typisch männlich sind, oder wenn der Autor* ein Element der Distanz zu ihnen einbringen will.“
woraus dann selbst in der bereits erwähnten Uni-Presserklärung nur noch folgert, dass
In this way, masculine language forms in a feminist context become a marker for distance and distaste.
Auf diese Weise werden männliche Formen in einem feministischen Kontext ein Zeichen für Distanz und Abneigung.”
Und im feministischen Zusammenhang mag es ja tatsächlich so sein. Ich konnte mir übrigens die beiden kleinen Asteriske bei “Feministen” und “Autor” nicht verkneifen: Sind hier wirklich männliche Akteure gemeint? Wenn nicht, ist unsere Sprache ja dankenswerter Weise ganz eindeutig: Wenn’s Frauen sind, dann schreiben wir “Feministinnen” und “Autorin”. Und das ist nicht ein Ausdruck der Geschlechterpräferenz, sondern der Klarheit.
An dieser Stelle will ich nun auch meinen Sicht zu Martins Sexismus-Experiment abliefern, und zwar aus der Sicht eines Sprachpraktikers (ein Vierteljahrhundert im Journalismus rechtfertigt diese Selbstbezeichnung, denke ich). Hier noch einmal sein Setup:
Für unsere neue Doku-Soap-Parodie “Liebe auf zwei Rädern” brauchen wir noch einen Namen (Vor- und Nachname) für einen Radfahrer im Rentenalter.
Und daraus, dass dann 77 von 84 Kommentatoren einen männlichen Namen vorschlugen, schloss er auf einen “ganz normalen Sexismus der deutschen Sprache”. Dass Sprache sexistisch sein kann, und dass das Deutsche dagegen nicht gefeit ist, will ich gar nicht bestreiten. Aber dass dies mit dem obigen Experiment belegt werden kann, bestreite ich. Wie auch mehrere Kommentatoren betonten: Die geschlechtsneutrale Form ist immer im Plural. Die Radfahrer können beiderlei Geschlechts sein, aber im Singular müssen wir uns entscheiden: der Radfahrer oder die Radfahrerin. Hätte Martin geschrieben “brauchen wir noch Namen … für Radfahrer im Rentenalter” und nur oder überwiegend männliche Vorschläge erhalten, dann hätte sein Experiment einen Sinn gehabt. Aber wenn er als vermeintlicher Casting-Direktor “einen Radfahrer im Rentenalter” sucht, dann sucht er eindeutig einen Mann. Bei einer Frau hingegen muss es ganz klar heißen “eine Radfahrerin im Rentenalter” – und wenn es noch nicht entschieden ist, dann braucht er sowieso mehrere, also die bereits erwähnten Plural-Radfahrer. Und nein, ich brauche kein Lingustikstudium oder eine lange Latte von Papern, um diesen letzten Satz zu belegen – das ist unser Sprachgebrauch. Genau so, wie der Baum männlich, die Eiche aber weiblich ist. Ist halt so, und das weiß jeder. Ich würde zudem behaupten, dass die Pluralform, vor allem dank des Plural-Pronomens “die”, das dem weiblichen Singular gleich ist, immer irgendwie weiblich klingt.
Und ich bin als Journalist und Leser eigentlich ganz dankbar für die Fähigkeit der deutschen Sprache, diese Geschlechtsinformation spontan zu liefern: Wenn ich in einem amerikanischen Polizeibericht über einen tödlichen Unfall (mal als Beispiel, kann aber jeder andere Bericht auch sein) von “a driver” lese, dann weiß ich eben nicht, ob hier ein Mann oder eine Frau ums Leben kam. Und als ich den Auftrag erhielt, “professor Loren Cordain” zum Thema Steinzeit-Diät zu interviewen, nahm ich fälschlicher Weise an, dass es sich hier um eine Frau handeln müsse (die daraus resultierende Peinlichkeit muss ich keinem erklären, aber mangels eines Fotos und ansonsten nur geschlechtsneutraler Attribute war sie geradezu unauusweichlich geworden). Wenn im deutschen Polizeibericht “der Autofahrer” steht, dann war’s auch ein Mann, ansonsten steht da nämlich “die Autofahrerin” oder “eine nicht identifizierte Person am Steuer des Fahrzeugs”.
Ich finde es eine Bereicherung für die deutsche Sprache, dass sie dieses Detail so leicht codieren kann. Sicher, das macht die Anrede von Gruppen (“liebe Leserinnen und Leser”) etwas umständlicher – was Amerikaner und Engländer eher amüsant finden mögen. Im Englischen sind solche Pauschalanreden wiederum zwar viel leichter (“Dear Readers”), denn Geschlechter-Differenzierungen, wie zum Beispiel bei “actor – actress”, sind eher selten, und in vielen Fällen wirken sie holperig oder unbeholfen (she-devil für Teufelin fällt mir da spontan ein). Aber dafür weiß man oft nicht, ob man Männlein oder Weiblein meint. Mehr noch: Wenn dann mal eine feminine Form existiert, wie etwa bei den erwähnten Schauspielerinnen, dann wird sie eher als ausgrenzend empfunden. Darum bevorzugen ambitionierte Darstellerinnen auch die männliche Form: “I am an actor”, sagt beispielsweise Meryl Streep über sich. Und so wie sie es sagt, meint das auch: “Ich nehme es mit jedem Mann auf.” Aber das glaubt man ihr auch, ohne dass sie es sagt …
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