Dass Arznei- und Kunstfehlerprozesse erstens teuer und zweitens weitreichend für Forschung und Praxis der Medizin in den USA sein können, hatte ich im Zusammenhang mit dem Fall Hanna Bruesewitz hier schon mal angesprochen. Wie naiv es wäre, in solchen Prozessen auch nur im Ansatz einen Versuch des gerechten Ausgleichs zwischen den Interessen der Patienten und der Medizin zu finden, merke ich spätestens jetzt, nach der Lektüre dieses Artikels in der New York Times: Findige Investoren und Hedgefonds haben entdeckt, dass sich mit solchen Prozessen vor allem Profit machen lässt – und für eine Beteiligung an den “Erlösen” (= gerichtlich oder außergerichtlich festgelegten Schadenersatz- und Schmerzensgeldbeträgen) strecken sie das Geld für die zunehmend teuerer werdenden Prozesse vor.
Im ersten Moment klingt dies ja fast humanitär: Wie sonst könnten sich geschädigte Familien, die dabei weniger gegen ihre Ärzte als vielmehr gegen deren Milliarden schwere Versicherungen antreten müssen, die Prozesskosten leisten? Und wer weiß, wenn ich die Nachbehandlungs- und Dauerpflegekosten für eine verpatzte Operation, beispielsweise, aufbringen müsste, wäre ich vermutlich auch dankbar für eine solche Finanzbeihilfe.
Aber die amerikanische Praxis zeigt, so denke ich, ziemlich klar drei Dinge: Erstens, dass durch das Damoklesschwert der unbegrenzt bezifferten Schadenersatzklage keine Kunstfehler vermieden werden – sonst gäbe es ja nicht so viele Fälle (zwischen 15.000 und 19.000 pro Jahr werden, laut der vom US-Gesundheitsministerium eingerichteten National Practitioner Data Bank, durch Zahlungen geregelt); zweitens führt es zu einer Flut unnötiger Diagnostik-Schritte, wie beispielsweise Tomografien aller Art, weil nur so Ärzte glauben, sich gegen eventuelle gerichtliche Vorwürfe absichern zu können; und drittens treibt es die Kosten des Gesundheitssystems in absurde Höhen – die USA haben das teuerste Gesundheitssystem der Welt (laut WHO), aber rangieren in Effizienz desselben bestenfalls im globalen Mittelmaß (und klar hinter der EU, beispielsweise). Und es ist vermutlich keine Übertreibung zu sagen, dass allein schon aus diesem Grund ein so hoher Prozentsatz der Bevölkerung gar nicht (man spricht von rund 16 Prozent) und ein noch größerer Teil extrem unterversichert ist. Als in den USA Krankenversicherter erlebe ich die Diskrepanz zwischen Beitrag und Leistung tagtäglich an mir selbst.
Zurück zu den von Investoren finanzierten Klagen (die sich natürlich nicht nur auf ärztliche Kunstfehlerprozesse beschränken, sondern auch jede andere Form der Schadenersatzklage betreffen können): Die Investments reichen hier von den – wie immer, wenn Hedgefonds ihre Finger im Spiel haben – Multimillionen-Dollar-Verfahren, wie beispielsweise einer Sammelklage von gesundheitlich geschädigten Rettungsarbeitern nach den World-Trade-Center-Anschlägen, in die eine Tochter der Citibank runde 35 Millionen gesteckt und 11 Millionen Gewinn aus der Gesamt-Schadenersatzsumme von gut 712 Millionen Dollar einstreichen konnte, bis hin zu den 45.000 Dollar, mit denen ein Anwalt seine Klage im Namen eines bei der Geburt geschädigten Kindes gegen einen Frauenarzt und ein Krankenhaus finanzieren konnte – die Geldgeber können sich aus der erstrittenen knappen halben Millionen mit 24 Prozent Zinsen (die sich auf jährliche 10.800 Dollar summieren) pro Jahr schadlos halten. Das Gesamtbusiness der Klage-Investoren liegt amerikaweit bereits bei über einer Milliarde Dollar.
Aber wenn’s den Klägern hilft, damit ihr Recht zu erstreiten, dann ist’s doch in Ordnung, oder? Wenn denn alles nur edel, hilfreich und gut wäre. Denn was die meisten Anwälte (sie sind die direkten Partner der Investoren) ihren Mandanten nicht wirklich gut erklären ist, dass dabei so horrende ZInsen anfallen, für die sie letztlich verantwortlich sind, dass sie am Ende statt Geld zu bekommen, noch draufzahlen müssen: Die NY Times zitiert den – sicher nicht typischen, aber auch nicht völlig absurden – Fall einer Frau, die 1995 in der Nähe von Philadelphia be einem Autounfall verletzt wurde. Nach einem jahrelangen Verfahren wurden ihr vom Gericht 169.125 Dollar zugesprochen, doch die Geldgeber schickten eine Zinsforderung über 221.000 Dollar.
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