Zum ersten Mal hatte ich von Mikrokrediten im Oktober 2006 gehört: Mohammed Yunus, dem ein paar Wochen später der Friedensnobelpreis verliehen wurde, war Gast der Clinton Global Initiative und erzählte voller mitreißendem Enthusiasmus von den Mikrofinanzierungs-Projekten seiner Grameen Bank, die Menschen in Bangladesh mit umgerechnet ein paar Dollar Kredit einen Weg aus der Armut ermöglichte. Die Kredite gingen zumeist an Frauen, die sich vielleicht eine Kuh für 20 Dollar oder, wenn sie etwas ehrgeiziger waren, eine Nähmaschine zulegten und ihr eigenes kleines Business starteten. Besser als ihnen das Geld einfach zu schenken, wie Yunus glaubhaft versicherte – er sprach von Rückzahlungsquoten um die 90 Prozent (besser als die meisten kommerziellen Kredite bei uns – und zwar noch vor der Hypothekenkrise), die ja nur dadurch zu schaffen waren, dass sich die Frauen tatsächlich etwas aufgebaut hatten. Genial!
Nun lese ich, dass dieses Mikrokredit-System in Indien (wo es bisher am weitesten gediehen war) vor dem Zusammenbruch steht: Wie schon bei der Hypothekenblase, die 2008 beinahe die Weltwirtschaft zum Platzen brachte, waren auch hier von gierigen – und nunmehr am Profit orientierten – Geldgebern zu leichte Kredite mit zu hohen Zinsen verkauft worden, und immer mehr Schuldner und Schuldnerinnen konnten sich die Rückzahlung zu Wucherzinsen nicht mehr leisten. Und nun streiken sie, verweigern die Zahlung – und die indischen Banken, die hier runde vier Milliarden Dollar investiert haben, kommen ins Schleudern.
Rückblende: Von der Idee fasziniert und von einer Story im New Yorker über den milliardenschweren Mäzen Pierre Omidyar und seine Pläne, mit 200 Milliarden Dollar die Armut aus der Welt zu schaffen inspiriert, kam mir ein Gedanke. Wie wäre es, dachte ich damals, mit entsprechenden Mikro-Bürgschaften? Wie wäre es, wenn jeder von uns in der entwickelten Welt sich verpflichtete, mit ein paar Euro/Dollar für einen eventuellen Kreditausfall zu haften? Dies könnte die westlichen Geschäftsbanken (oder sonstige Finanziers mit tiefen Taschen), die bis dahin einen weiten Bogen um diese mittel- und kontenlose Kundschaft machten, vielleicht dazu bringen, das Risiko zu akzpetieren und solche Kredite vorfinanzieren – zu verträglichen Konditionen? Denn selbst die Grameen Bank musste damals schon ihren Kundinnen bis zu 20 Prozent Zinsen abverlangen. Solche Aval-Kredite sind ja zur Bürgschaftsfinanzierung bei uns alltäglich.
Mit den Details will ich mich jetzt nicht lange aufhalten (sie waren auch nicht bis ins Letzte durchdacht, wie ich heute weiß – aber das war halt vor der Banken- und Hypothekenkrise). Nach vielen Gesprächen mit Freunden und sogar einem Ökonomen, der die Idee – trotz einiger Bedenken – grundsätzlich brauchbar fand, war ich optimistisch genug, um mit dem Konzept der Mikro-Bürgschaften “hausieren” zu gehen. Ich schrieb an Yunus, an diverse Frauen-Organisationen, an Omidyar, an die Clinton-Stiftung – außer einem zwar freundlichen, aber völlig unverbindlichen Brief von Bill Clinton, der mir “viel Erfolg mit der Idee” wünschte, kam keine Reaktion. Null. Muss wohl eine Schnapsidee gewesen sein …
Aber wenn ich nun lesen muss, dass dieses System der Mikrokredite unter der Gier der Geldgeber zusammenzubrechen droht, dann bin ich erst mal ziemlich erschüttert. Es schien doch eigentlich so simpel zu sein – Hilfe zur Selbsthilfe. Doch was eine humanitäre Geste hätte bleiben können, wurde zum Business – und zwar zum Business derer, die stets nur auf das schnelle Geld schielen. Ich weiß natürlich nicht, ob es besser funktioniert hätte und ob man durch mehr Gemeinnützig- und Verantwortlichkeit das Profitdenken “außen vor” hätte lassen können, aber jetzt frage ich mich schon: Vielleicht war die Idee doch nicht so blöd?
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