Erst mal die gute (?) Nachricht vorweg; Auch im aktuellen UN-Report zur globalen Aids-Epidemie wird der bereits bekannte Trend bestätigt, dass sich zwar die Zahl der HIV-Infizierten weltweit stetig erhöht (auf derzeit etwa 33,3 Millionen Menschen), aber zumindest die Wachstumsrate der Neuinfektionen weiterhin schrumpft – aber eben nur die Wachstumsrate. Denn allein 2009 kamen weltweit immerhin noch 2,6 Millionen neu Infizierte hinzu. Die wirklich gute Nachricht wäre natürlich, dass die Neuinfektionen gestoppt werden konnten. Aber auch dafür gibt es ganz unerwartet plötzlich wenigstens so etwas wie einen Hoffnungsschimmer.

Ja, ich meine hier die allem Anschein nach doch irgendwie ernst gemeinte Bemerkung des amtierenden Papstes, dass es “berechtigte Einzelfälle geben [mag], wenn etwa ein Prostituierter ein Kondom verwendet, und dies kann ein erster Schritt hin zu einer Moralisierung sein”, die dank einer Vorab-Meldung des Osservatore Romano zum Buch “Das Licht der Welt” die Nachrichten des Wochenendes beherrschte. Und die erst mal prompt zu heftigem Zurückrudern im Vatikan und einschlägigen Kreisen führte – es handele sich hier nicht um offizielle Kirchenlehre, sondern um eine eher beiläufige Bemerkung, quasi eine Privatmeinung des Papstes (wusste gar nicht, dass er angesichts seiner Unfehlbarkeit in moralischen Fragen eine Privameinung haben kann, aber man lernt halt immer wieder dazu. Und nun scheint der aktuelle Stand zu sein, dass dies doch irgendwie ernsthaft so gemeint war (ich muss mich für meine Überlastigkeit englischsprachiger Quellen hier entschuldigen – aber das sind die Quellen, die mir hier primär zur Verfügung stehen – wer ein bisschen googelt, findet all dies sicher auch auf Deutsch).

Und wenn dies tatsächlich die neue Position des Vatikan ist, dann wäre dies sicher ein enormer Schrtitt zur besseren HIV-Bekämpfung. Denn wenn der UN-Bericht eines zeigt, dann die Wirksamkeit des Einsatzes von Kondomen. Selbst im Iran, der im Hinblick auf moralischen Fundamentalismus den Herren im Vatikan noch viel voraus hat, ist man zu diese Einsicht gekommen: In einem Artikel der heutigen New York Times über den UNAIDS-Bericht erzählt Michel Sidibé, der Direktor dieser UN-Organisation, von einem Besuch in einem iranischen Gefängnis, zu dem er eine verschleierte Frau begleitet hatte, die Kondome an die Häftlinge verteilte:

In Iran, the prisons had one of the most progressive programs. There was methadone maintenance; there was condom distribution. They even had conjugal visits for prisoners — five hours in a private room every three months with your wife. With condoms.
Im Iran hatten die Gefängnisse eines der progressivsten Programme. Es gab Methadon-Versorgung, es gab Kondomverteilung. Es gab sogar eheliche Besuche für Gefangene – alle drei Monate fünf Stunden in einem privaten Raum mit der Ehefrau. Mit Kondomen.

Beinahe ironisch, dass diese Einsichten – die definitiv nicht zu früh kamen – vielleicht igar nicht mehr nötig sein könnten. Nein, letzteres meine ich nicht wirklich ernst – es kann nie zu spät sein, so lange weltweit immer noch zweieinhab Millionen Menschen neu mit dem HI-Virus infiziert werden. Aber dann las ich heute Morgen (ebenfalls in der New York Times), dass im aktuellen New England Journal of Medicine ein Paper über

Preexposure Chemoprophylaxis for HIV Prevention in Men Who Have Sex with Men

erschienen ist. Demnach ließ sich mit der prophylaktischen täglichen Gabe von Truvada, einem bisher zur Aids-Therapie eingesetzten Kombinationspräparat zweier antiretroviraler Drogen, das Infektionsrisiko unter homosexuellen Männern um 44 Prozent senken; bei den Versuchsteilnehmern, die zuverlässig die Pille täglich genommen hatten, sogar um 90 Prozent. Eine “Schluckimpfung”, sozusagen …

Ich dachte erst, dass sich die Ergebnisse darauf bezögen, dass bereits Infizierte durch Truvada weniger infektiös werden. Aber offenbar sind es die Gesunden, die diese Pille schlucken müssen, um sich zu schützen. Und das ist erstens allein schon deshalb ein Problem, weil kein Gesunder die Disziplin haben wird, sein Leben lang täglich eine solche Pille zu schlucken (die mangelnde Einnahmedisziplin war auch ein Problem der Studie selbst). Zweitens frage ich mich, ob dies nicht – vergleichbar der zu großzügigen prophylaktischen Gabe von Antibiotika – zu ungewollten Resistenzen und “Superviren” führen könnte. Und drittens ist ein Kondom immer noch mindestens ebenso zuverlässig, muss nur im konkreten Fall angewandt werden und ist vermutlich billiger als diese Medikamente. Und ein Kondom lässt sich nicht so einfach “faken” – beide Partner wissen genau, ob es benutzt wird oder nicht. Man kann hingegen immer fälschlich behaupten (und sich selbst einreden), man habe heute schon seine Pille geschluckt.

Also: Wenn der Vatikan tatsächlich seine Position zum Einsatz von Kondomen zur Aids-Verhütung geändert hat, dann fällt mir eigentlich nur noch ein – etwas widerwilliger, zugegeben, aber dennoch berechtigter – Kommentar ein: Danke, es wurde auch Zeit.

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Kommentare (11)

  1. #1 segeln141
    24. November 2010

    @JS

    der Papst ist nur unfehlbar,wenn er ex cathedra ein Dogma verkündet.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Unfehlbarkeit

  2. #2 Jürgen Schönstein
    24. November 2010

    @segeln141
    Das habe ich ja, wie oben vermerkt und verlinkt (der blaue Teilsatz: “man lernt halt immer wieder dazu”), inzwischen auch hinzu gelernt 😉

  3. #3 KommentarAbo
    24. November 2010

  4. #4 Frosch
    24. November 2010

    1. Ich teile die Position des Vatikan zu Kondomen nicht, ich halte es für sehr wichtig, dass es Gummis gibt.

    2. Die katholische Lehre in Zusammenhang mit der Ausbreitung von HIV zu bringen, wird zwar immer wieder getan, ist aber absurd. Wer sich an die katholische Lehre halten würde, müsste als Jungfrau in die Ehe gehen, seinem Partner treu bleiben und die Ehe bis zum Tod durchhalten. Wer das tut, dessen Ansteckungsgefahr durch GV dürfte extrem gering sein. In der Gegend rumzuvögeln und sich dann beim Verzicht auf Kondome auf den Vatikan zu berufen, ist Rosinenpickerei und entspricht auch nicht dem, was die Kirche predigt.

  5. #5 Maximo
    25. November 2010

    Eins versteh ich nicht ganz. Sind es denn soviele Katholiken, die von HIV-Infektionen betroffen sind (z.B. im südlichen Afrika)? Weil immer wieder der Papst zitiert wird. Denn eigentlich betrifft das, was er sagt, ja nur seine “Schäfchen”.

  6. #6 Jürgen Schönstein
    25. November 2010

    @Maximo
    Ja, es gibt mehr als 135 Millionen Katholiken in Afrika. Wieviele davon HIV-positiv sind, weiß ich zwar nicht, aber sicher ist, dass Aids zumeist südlich der Sahara grassiert (hier leben 70 Prozent aller HIV-Infizierten der Welt); die Karte deckt sich etwa mit der Verbreitungskarte des Christentums in Afrika. Und es betrifft ja nicht nur die “sündigen Schäfchen” selbst, sondern auch die Aktionen der katholisch orientierten Hilfsorganisationen, die sich bisher an das Verhütungsverbot halten mussten und darum keine Kondome an die gefährdete Bevölkerung (die ja nicht unbedingt katholisch, sondern in erster Linie hilfsbedürftig sein muss) verteilen oder wenigstens über deren Gebrauch aufklären durften. Die moralische Macht der katholischen Kirche ist hier nicht zu unterschätzen.

  7. #7 Jürgen Schönstein
    25. November 2010

    @Frosch

    Die katholische Lehre in Zusammenhang mit der Ausbreitung von HIV zu bringen, wird zwar immer wieder getan, ist aber absurd. Wer sich an die katholische Lehre halten würde, müsste als Jungfrau in die Ehe gehen, seinem Partner treu bleiben und die Ehe bis zum Tod durchhalten.

    Oder sündigen und dann beichten.

  8. #8 rolak
    25. November 2010

    /oder s+b/ Tja, Jürgen, das ist die gelebte rheinische Variante des Katholizismus 😉

  9. #9 Chris
    25. November 2010

    @Maximo
    Diese doch etwas paradoxe Situation hatte wir seinerzeit auch “diskutiert”. Auch wenn es nicht die “wirklich streng” gläubigen Katholiken sein werden, die sich bei den Prostituierten infizieren, ist es sicherlich eine Grundeinstellung, die von der katholischen Kirche dort verbreitet wird/wurde. (So zumindest viele unabhängige Quellen, ich war selbst noch nie da)

  10. #10 wolfgang
    25. November 2010

    Jürgen schreibt

    Demnach ließ sich mit der prophylaktischen täglichen Gabe von Truvada, einem bisher zur Aids-Therapie eingesetzten Kombinationspräparat zweier antiretroviraler Drogen, das Infektionsrisiko unter homosexuellen Männern um 44 Prozent senken; bei den Versuchsteilnehmern, die zuverlässig die Pille täglich genommen hatten, sogar um 90 Prozent. Eine “Schluckimpfung”, sozusagen …

    Ist halt nur ein wenig teuer, und daher nicht generell machbar

    Kosten ca 820 € pro Monat

  11. #11 vanito
    bochum
    7. Oktober 2012

    Die katholische Lehre in Zusammenhang mit der Ausbreitung von HIV zu bringen, wird zwar immer wieder getan, ist aber absurd. Wer sich an die katholische Lehre halten würde, müsste als Jungfrau in die Ehe gehen, seinem Partner treu bleiben und die Ehe bis zum Tod durchhalten. Wer das tut, dessen Ansteckungsgefahr durch GV dürfte extrem gering sein. In der Gegend rumzuvögeln und sich dann beim Verzicht auf Kondome auf den Vatikan zu berufen, ist Rosinenpickerei und entspricht auch nicht dem, was die Kirche predigt. (Werbe-Link entfernt)