Niemand geht, vermute ich mal, in der Erwartung ins Krankenhaus, dort nicht gesünder, sondern kränker zu werden – aber zumindest in US-Kliniken sollte man sich darauf vorsorglich schon mal einstellen: Je nach Studie erleiden zwischen 13,5 und 25,1 Prozent der Krankenhauspatienten dort eine durch vermeidbare Fehler bedingte Schädigung, und für etwa jeden zehnten dieser Patienten sind diese Schäden sogar tödlich. Eine dieser Studien, mit dem Titel Temporal Trends in Rates of Patient Harm Resulting from Medical Care, stammt nicht etwa von erklärten Gegnern der konventionellen Medizin, wie man meinen möchte, sondern wurde unter der Federführung des Harvard-Medizinprofessors Christopher Landrigan erstellt und in der aktuellen Ausgabe des New England Journal of Medicine publiziert.
Aus dieser Studie, die am Fallbeispiel von zehn Kliniken in North Carolina zwischen 2000 und 2007 untersucht wurde, kommt zu den oberen Schadenswerten (25,1 geschädigt und 2,4 Prozent tödlich); eine methodisch zwar nicht vergleichbare, aber aufgrund der Menge der Betroffenen in jedem Fall aussagekräftige Analyse des staatlichen US-Gesundheitssystems Medicare ergab die unteren Margen (13,5 bzw. 1,5 Prozent). Doch die Zahl der Betroffenen alleine, so dramatisch und erschreckend sie ist, wäre noch nicht einmal der größte Aufreger – schlimmer ist, dass sich trotz langjähriger Bemühungen, das Problem in den Griff zu bekommen, nicht wirklich etwas seit dem Ende des vergangenen Jahrzehnts verbessert hat (mehr dazu in der New York Times: Study Finds No Progress in Safety at Hospitals. Und da die verfügbaren Informationen alle nur auf freiwilligen Angaben der Kliniken beruhten und daher vermutlich eher unter- als überrepräsentativ sind, fordert Landrigan als erstes mal ein besseres Berichtssystem, das solche Fehler deutlicher erfasst.
Die Komplikationen reichen von Harnwegsinfektionen durch unsachgemäß gelegte Katheter über Infektionen nach Operationen bis hin zu Fehlmedikationen. Aber laut der NEJM-Studie wären die Mehrzahl dieser Komplikationen vermeidbar gewesen. Und auf dieses Wort “vermeidbar” kommt es dabei wirklich an: Sie sind vermeidbar, weil die Medizin – als Wissenschaft und Lehre – weiß, wie man sie vermeiden kann. Sie wurden aber nicht vermieden, weil die Medizin als praktische Anwendung versagt hat. Bessere Informationsver- und -Aufarbeitung (zum Beispiel Patientendatenbanken, die Fehler und Konflikte bei der Medikation schnell erkennen lassen, Checklisten etc.), aber auch weniger überlastetes – und vielleicht auch manchmal besser geschultes (und somit besser bezahltes) Personal könnten auch schon viel helfen.
Eine der Ursachen, die ich zumindest im New-York-Times-Artikel auch erwähnt finde (und die vielleicht eine Hoffung gäbe, warum es in Deutschland ein bisschen besser sein könnte), ist die kommerzielle Ausrichtung des amerikanischen Gesundheitswesens: Kliniken sind Profitcenter, die ihre Kosten aus Gewinnüberlegungen heraus knapp – zu knapp, fürchte ich – kalkulieren müssen. Und so zynisch es klingt: So lange sie ihre Kunstfehler im wörtlichen Sinn begraben können, wird sich daran auch nicht viel ändern. Es ist nun mal im Einzelfall (obige Studie bezieht sich auf anonymisierte statistische Aggregationen) nur schwer nachzuweisen, ob die Komplikation vermeidbar oder eine direkte Folge des Gesundheitsproblems war, das primär ja überhaupt erst den Klinikaufenthalt bedingt hatte. Ein besseres – jawohl, gesetzlich geregeltes (was vermutlich wieder einige Ayn-Rand-Fans hier aufregen wird) – Erfassungs- und Berichtssystem könnte solche Kunstfehler-Häufigkeiten zu einem Faktor bei der Entscheidung eines Patienten machen, welchem Krankenhaus er sich anvertraut. Dann gäbe es vielleicht einen Konkurrenzvorteil für jene Institutionen, die sich hier besonders bemühen. Wär’ ja immer noch eine marktwirtschaftliche Lösung, die selbst in den USA plausibel und akzeptabel sein dürfte.
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