Dieser Eintrag – das sei als Warnung vorweg gesagt – hat nichts mit Wissenschaft, sondern nur mit Bloggen zu tun. Genauer gesagt, mit den Kommentaren und Kommentatoren. Und obwohl ich mich hier auf den Meinungsbeitrag Where Anonymity Breeds Contempt beziehe, den die Facebook-Produktentwicklerin Julie Zhuo vor einigen Tagen in der New York Times veröffentlich hatte, ist der Anlass doch ein ganz persönlicher (auch wenn ich aus Gründen der Diskussionsvereinfachung hier darauf verzichten werde, die ganz konkreten Auslöser zu markieren; wer regelmäßig hier mitliest, kommt da wahrscheinlich sowieso von alleine drauf). Es geht um die Frage, ob das von vielen Webseiten – nicht nur Blogs, auch Medien aller Art – gewährte Recht, anonyme Kommentare zu hinterlassen, nicht geradezu zum “Trollen” herausfordert, weil dies eben in der menschlichen Natur liege.
Julie Zhuo greift dabei weit zurück, mehr als 2300 Jahre: In seinem Werk Politeia lässt Plato seinen Bruder Glaukon die Geschichte vom Hirten Gyges und seinem Unsichtbarkeitsring erzählen, deren Moral darin besteht, dass jeder Mensch, befreit von der Sorge, erkannt zu werden und damit befreit von der Angst vor Strafe, sich unmoralisch und unrechtmäßig verhalten würde.
Die Gelegenheiten zu Königsmorden sind in Kommentarspalten natürlich extrem selten, und es ist sicher kein Verbrechen im juristischen Sinn, durch unsinnige, unsachliche oder einfach nur unpassende Kommentare eine Diskussion zu (zer-)stören. Und aus eigener Erfahrung hier würde ich erst einmal bestreiten, dass Kommentare und Diskussionsbeiträge zwangsläufig störend sein müssen, nur weil die Kommentatoren unbekannt beziehungsweise nur durch ein selbstgewähltes Alias anonym bleiben können (und umgedreht ist nicht jeder Kommentar, der unter vollem Klarnamen abgesondert wird, eine Bereicherung der Diskussion). Aber im Prinzip kenne ich das Problem, dass man sich als Blogger – was faktisch auch heißt: Hausherr der jeweiligen Diskussion – gelegentlich wünscht, den ein oder anderen Störer gar nicht erst reingelassen zu haben. Denn obwohl es in der Praxis ein paar (mehr oder weniger zuverlässige) Möglichkeiten gibt, einzelne Kommentarautoren zu sperren – es ist unerfreulich und wirkt kleinlich.
Was eine Sperrung jedoch ausdrücklich nicht ist: Zensur. Denn die ist ein politisches Verhalten, zumeist direkt oder indirekt vom Staat ausgeübt (siehe hier auf Wikipedia). Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung heißt nicht, dass jeder immer und überall alles sagen darf – und schon gar nicht, dass Blogger jeden Kommentar hinnehmen müssen. Ich zitiere hierzu mal die Blogger-Autorität Bora Zivkovich, der sich dazu auf unserer Konkurrenz-Website WissensLogs dazu geäußert hatte (der dem Zitat vorausgehende Satz bezog sich auf die Webseiten von Zeitungen):
They have this absolutely idiotic idea that people posting comments have the right of free speech. It’s your site, you moderate the comments, and if they say something stupid, you delete. There is no freedom of speech in comments on your article, that’s an absolutely ridiculous idea.
Sie haben diese absolut idiotische Vorstellung, dass Leute, die Kommentare posten, ein Recht auf freie Meinungsäußerung hätten. Es ist deine Seite, du moderierst die Kommentare zu deinem Artikel, und wenn sie etwas Dummes sagen, dann löschst Du es. Es gibt keine Redefreiheit in den Kommentaren zu deinem Artikel, das ist eine absolut lächerliche Idee.
Das ist drastischer als ich es formulieren würde. Aber es bleibt festzustellen, dass mancher Kommentarstrang davon profitiert hätte, wenn der ein oder andere “Senf” gar nicht erst abgesondert worden wäre (es ist in der Praxis fast unmöglich, die Störeffekte wieder zu eliminieren – nur den Original-Störbeitrag zu tilgen hilft auch nicht mehr, wenn erst mal andere Kommentatoren dadurch provoziert wurden).
In ihrem Times-Beitrag zeigt Julie Zhuo auf, wie einige Webseiten versucht haben, dieses Problem zu lösen. Reuters zum Beispiel erlaubt auf seiner US-Website Kommentare nur von registrierten (und verifizierten) Usern; Gizmodo erprobt ein System, in dem die ersten Einträge neuer Kommentatoren erst nach Sichtung durch einen Moderator freigeschaltet werden – erst nach einer erfolgreich absolvierten “Probezeit” können die Kommentatoren dann frei posten. Und die Blogger-Diskussionsseite Disqus entwickelt ein Bewertungssystem, das sie Clout nennt: Kommentatoren können andere Kommentatoren bewerten; die daraus entstehende Bewertungsskala soll helfen, eventuelle Trolle auszusortieren.
Ohne dass ich hier für alle Scienceblogger sprechen kann, denke ich doch, dass wir uns bisher einig waren, die Einstiegsschwelle für Leser und Kommentatoren so gering wie möglich zu halten. Ich weiß auch gar nicht, welche technischen Möglichkeiten unsere Software kennt, diese Hürden höher zu legen, ohne Kollateralschäden in der Form zu unrecht blockierter Leser entstehen würden. Aber ich wüsste hier schon mal ganz gerne, aus purer Neugier, ob und wenn ja welche Hürden sich die Leser und Kommentatoren – ja, Ihr seid gemeint – wünschen beziehungsweise erträglich vorstellen könnten. Und ja, Antworten werden auch anonym akzeptiert.
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