Darüber, dass nicht jeder Wissenschaftler auch ein talentierter Autor ist, haben wir hier auf WeiterGen schon mal diskutiert. Dass es der wissenschaftlichen Publikation also nicht schaden könnte, wenn sich die Paper-Autoren auch mal gelegentlich der Hilfe begabter – und natürlich auch bezahlter – Schreiber bedienen würden, hätte ich als Journalist jedenfalls sofort unterschrieben. Aber wie ist’s, wenn die Arbeit, sagen wir mal, ein Lehrbuch, nicht nur von Profischreibern betreut, sondern gleich von diesen Ghostwritern komplett im Namen zweier Wissenschaftler verfasst wird? Und diese Geisterschreiber zudem von einem Pharmakonzern bezahlt sind?

i-0de1ce11e1a3544c5b9c223572f26ebd-8990-thumb-120x179.gif

Genau so soll das Werk Recognition and Treatment of Psychiatric Disorders: A Psychopharmacology Handbook for Primary Care von Charles B. Nemeroff und Alan F. Schatzberg (der letztjährige Präsident der American Psychiatric Association) entstanden sein. In einem Schreiben von Danielle Brian, geschäftsführende Direktorin der Watchdog-Organisation Project on Government Oversight, an Francis Collins, Direktor der National Institutes of Health (in dem noch eine ganze Reihe von Fällen der Geisterschreiberei im Namen anderer NIH-Forschungsgeldempfänger aufgelistet sind), steht:

A draft of the textbook states that it was sponsored by GSK and written by Diane M. Coniglio and Sally K. Laden of STI. (Attachment D) In a letter addressed to Dr. Nemeroff, Ms. Laden provided an updated status of the textbook. Her timeline states that she wrote the first draft, which was then sent to Drs. Nemeroff and Schatzberg, the publisher, and GlaxoSmithKline. The timeline also notes that GSK was given all three drafts, and was sent page proofs for final approval. (Attachment E).

Demnach hätte die vom Pharmakonzern GlaxoSmithKline – der im Vorwort des fertigen Buches zwar ebenso dankend erwähnt wird wie die Ghostwriterin Diane Coniglio und die Firma Scientific Therapeutics Information (STI)

i-79ae7dc934d52df0bffa3b89f33ffe5a-GSK-Wuerdigung-thumb-325x200.jpg

– geleistete Hilfe nicht nur in einem “unbeschränkten Zuschuss” bestanden, sondern GSK hätte sich um alles gekümmert – und sich dann auch das Recht vorbehalten, das fertige Produkt abzusegnen.

Was natürlich das genaue Gegenteil von “unbeschränkt” wäre. “Ein ganzes Lehrbuch von Ghostwritern schreiben lassen, das ist eine neue Ebene der Chutzpe” entrüstet sich denn auch der frühere Chef der Food and Drug Administration, David Kessler, in einem Beitrag der New York Times.

Die beiden Autoren (ich gehe erst mal weiterhin davon aus, dass sie’s sind) sowie der Verlag wehren sich zwar gegen diese Vorwürfe: Diese Art der Unterstützung, vor allem bei der Materialsammlung und Prüfung, sei bei solchen Werken durchaus normal, versicherte der Chef der American Psychiatric Publishing Inc. (der Verlags-Arm der American Psychiatric Association), Ron McMillen dem Stanford Daily. Die Autoren hätten erst nach zweijährigen Verhandlungen einen Vertrag unterzeichnet; die Vorschläge in jenem Schreiben der Firma STI seien nie angenommen worden. “Zu sagen, das Ghostwriter das Buch geschrieben haben, ist unwahr.” Und in dem oben verlinkten Artikel der New York Times erklärt Schatzberg noch einmal ausdrücklich, dass GlaxoSmithKline “keinerlei Einfluss auf den Inhalt” gehabt habe. Nemeroff versichert, er und sein Co-Autor hätten “jede Seite gründlich geprüft und wenn nötig umgeschrieben und bearbeitet” und sich das Recht zur endgültigen Absegnung vorbehalten.

Aber nun frage ich mich: Wäre es wirklich so überraschend, wenn Professoren ihre Namen für etwas hergeben, von dem sie (im Extremfall) keine einzige Zeile – außer der Autorenzeile, versteht sich – geschrieben haben? Irgendwie erinnere ich mich dunkel aus meiner Studienzeit daran, dass dies geradezu als das Recht der Professoren angesehen wurde. Wenn nicht eine auf medizinische Publikationen spezialisierte Agentur, sondern ein (unbezahlter?) Doktorand den Text verfasst hätte – wäre die Aufregung dann die gleiche gewesen? Und der Einfluss der Pharmafirmen ist in einem gesponsorten Forschungsbetrieb sowieso schon enorm … soll ich’s sagen? Ja: Ein auf seine Gelder bedachter Forscher wird so oder so darauf achten, dass er nicht die Hand beißt, die ihn füttert; ob mit oder ohne Recht auf Imprimatur. Und dass zumindest einer der beiden Autoren sehr stark am GSK-Tropf hing, steht – leider – außer Frage: Nemeroff war im Jahr 2008, damals noch an der Emory University, für zwei Jahre von allen NIH-Fördermitteln ausgeschlossen worden, weil er – wie ein Senats-Untersuchungsausschuss festgestellt hatte, dass er über Jahre hinweg von Pharmaunternehmen (darunter auch GlaxoSmithKline) mehr als 1,2 Millionen Dollar erhalten und nicht offen gelegt hatte.

Und wenn man diesem (hoffentlich nicht ghost-verfassten) Paper in PLoS Medicine glauben darf, dann scheinen Geisterautoren sowieso eher die Regel als die Ausnahme in dieser Branche zu sein: Nur jede fünfte von insgesamt 50 untersuchten medizinischen Fakultäten untersagt explizit den Einsatz von Ghostwritern. Fazit des Papers: “Medical ghostwriting is a threat to public health.”

flattr this!

Kommentare (3)

  1. #1 KommentarAbo
    2. Dezember 2010

  2. #2 Lichtecho
    4. Dezember 2010

    “Wäre es wirklich so überraschend, wenn Professoren ihre Namen für etwas hergeben, von dem sie (im Extremfall) keine einzige Zeile – außer der Autorenzeile, versteht sich – geschrieben haben?”

    Warum nicht? Professoren sind sich ja auch nicht zu schade Gefälligkeitskommentare zu Büchern zu schreiben, die sie nie gelesen haben. Merke: Um so hochtrabender der Titel eines Rezensenten, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass er das Buch nicht gelesen hat, über das ers schreibt.

  3. #3 Geraldine Göllner
    21. Dezember 2010

    Es ist schwierig ein solches Vorgehen aus der Außenperspektive zu bewerten, das Thema Ghostwriting wird immer gern schnell abgeurteilt. Jedoch bleibt aus dieser Perspektive in der Regel unklar, welche Eigenleistung derjenige erbracht hat, der Ghostwriting in Auftrag gibt. Warum sollten wir auf Forschungsergebnisse verzichten wollen, die auf schlecht schreibende Wissenschaftler zurückgehen?
    Durch den wachsenden Innovationsdruck erscheint es zunehmend sinnvoll eine mögliche Aufgabenteilung erneut zu überdenken.