Klingt kompliziert, ich weiß. Aber im Kern ist die Sache schlicht, wenn auch nicht unbedingt einfach: Um zu sehen, wie effizient ihr sechs Jahre altes Wohnungsbeihilfeprogramm Homebase ist, das bedrohte Personen und Familien vor dem Abgleiten in die Obdachlosigkeit bewahren soll, werden die 400 “Versuchsobjekte” (aus einer Gesamtheit von 7000 Homebase-Empfängern) in zwei Gruppen geteilt: Ein Teil – das wäre die Verumgruppe – kassiert weiterhin die Beihilfen des Programms; die andere Hälfte wird zwar von Forschern betreut, erhält aber sonst nicht außer Tipps, an wen sie sich sonst noch wenden könnten. Das wäre dann wohl die Placebo-Gruppe. Nach zwei Jahren soll dann geprüft werden, ob sich Placebo- und Verumgruppe (ich bleibe mal beim klinischen Vokabular, auch wenn’s ein etwas hinkender Vergleich ist) hinsichtlich der Obdachlosigkeit unterscheiden. (Mehr zum Thema hier in der New York Times.)
Dass verschiedene Programme, mit verschiedenen Intensitäten der Beihilfe, nebeneinander laufen, ist sicher nicht überraschend und auch nicht wirklich neu. Der eine bevorzugt die ABM, der andere kassiert lieber “Stütze” – letzlich sind alle sozialen Programme nichts anderes als große (und zugegeben: of teure) Experimente, deren Resultate nur begrenzt vorhersagbar sind. Aber dass man a) Handlungsbedarf erkennt und b) eine Gruppe rein zu Forschungszwecken davon ausschließt, ist eine relativ neue Dimension des Nicht-Handelns (und offenbar nicht auf die Stadt New York beschränkt – der NYTimes-Artikel verweist auf “eine Anzahl von Regierungen, Hilfsstiftungen und Forschungsgruppen”, die selbiges bereits von Indien bis Indiana praktizieren). Ich sehe schon allein zwei Prinzipien, gegen die so etwas verstößt: das der Gleichbehandlung und das der Verhältnismäßigkeit – ist das Lernbedürfnis eine Kommune, die ihre Entscheidungen ja sowieso primär politisch (also nicht unbedingt nach dem besten technokratischen Wissensstand) trifft und die Erkenntnisse der Studie daher vermutlich nie in Reinform umsetzen wird, wirklich vergleichbar mit der Existenz von Individuen und/oder Familien? Was tun, wenn nach zwei Studienjahren herauskommt, dass das Homebase-Programm höchst wirksam war und die Placebogruppe nahezu komplett in die Obdachlosikgeit abgerutscht ist?
Ich zeichne jetzt mal ein bewusst düsteres Bild; die Stadt selbst findet die Studie ethisch vertretbar, da ja sowieso nicht jeder, der einen Antrag auf Beihilfen durch Homebase stellt, selbige bewilligt bekomme und weil sich die Betroffenen ja auch an andere Hilfsorganisationen wenden könnten.
Trotzdem bleibt ein schlechter Beigeschmack, denn vor allem der Verweis auf “andere Hilfsorganisationen” würde das Resultat sowieso nur verzerren und sinnlos machen – etwa so, als ob man in einem kontrollierten Medikamentenversuch der Placebogruppe noch andere, nicht weiter definierte Substanzen gäbe. Wie will man dann wissen, ob und wie das Medikament wirklich geholfen hat? Aber noch schwerer wiegt, meiner Ansicht nach, dass es den Eindruck erwecken will, man könne den “social contract” wie ein Auto auf die Teststrecke jagen: Mal sehen, ob ein Arbeitsloser ohne Arbeitslosengeld aus der Bahn gerät? Mal sehen, ob Rentner nach Streichung der Renten wirklich verhungern?
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