Eines der größten Probleme Afrikas ist die HIV/Aids-Epidemie – 70 Prozent aller HIV-Positiven weltweit leben in Afrika. Eine der größten Herausforderungen der Aids-Vorbeugung ist die Aufklärung – aber eine der größten Probleme der Aufklärung ist, dass man oft nicht weiß, was junge Leute (die vorrangig betroffene Zielgruppe) wissen und wie sie sich verhalten. Kann man ja fragen, oder? Naja, fragen kann man – aber ob man in Kulturen, die Sexualität verbieten oder tabuisieren, hier ehrliche Antworten bekommen wird, ist eine andere Frage. Und zwar eine, die vermutlich viel häufiger, als einem lieb sein kann, mit “nein” beantwortet werden muss. Eine Feldstudie unter jungen Äthiopiern, die zum Thema vorehelicher Sex und Verwendung von Kondomen befragt wurden, kommt zum Resultat, dass vorehelicher Sex mindestens doppelt so häufig vorkommt und die Information, dass Kondome schützen, um mindestens 22 Prozent weniger verbreitet ist als herkömmliche Umfragen ergeben hatten.
Und woher wissen das die Soziologen der Brown University, die diese Studie gemacht und in der aktuellen Ausgabe von Studies in Family Planning publiziert haben? Weil sie eine vergleichsweise simple, billige und effektive Methode gefunden haben, diesen Befrager-Effekt zu verringern: Die jungen Leute beantworten die Fragen, zum Beispiel nach der Zahl ihrer Sexualpartner, nicht direkt, sondern mit einer simplen und wiederverwendbaren “Lochkarte”, die dem Befrager statt einer mündlichen – und eventuell peinlichen – Antwort nur eine Condenummer gibt, die erst später in der (dann anonymen) Computerauswertung entschlüsselt werden kann. Erst mal ein Beispiel, wie so eine Karte aussieht (gefunden auf der Presse-Website der Brown University):
Sie hat im Original etwa die Größe eines Schreibmaschinenblattes, und die schwarzen Punkte in den Feldern sind eigentlich Löcher. Die Karte wird so gehalten, dass die Befragten jeweils nur die Seite mit den Zahlen oder den farblich codierten Feldern für Ja oder Nein sehen – die Interviewer hingegen sehen nur die Löcher und eine dreistellige Codenummer. Statt einer verbalen Antwort kann der oder die Befragte mit einer Bleistiftspitze (oder etwas Ähnlichem) durch das entsprechende Loch die Antwort signalisieren; der Interviewer/die Interviewerin notiert dann lediglich die Kennziffer, ohne direkt die Antwort zu kennen.
Na gut, wenn ich als Interviewer wirklich die Antwort wissen wollte, dann würde ich halt später einfach die Karte umdrehen und die Angaben anhand der Kennziffer entschlüsseln; und wenn man nur oft genug mit der gleichen Vorlage gearbeitet hat, weiß man vielleicht auch so schon, dass das Feld mit der Ziffer 561 ganz rechts in der dritten Reihe “Ja” bedeutet – aber dennoch bleibt den Antwortenden erst mal erspart, etwas auszusprechen, was die Familie (die in solchen dörflichen Umfragen garantiert in Hörweite sitzt) nicht mitbekommen darf.
Um dieses simple, billige Instrument zu testen, wurden insgesamt 1269 Äthiopierinnen und Äthiopier im Alter zwischen 14 und 23 Jahren befragt, die in Dörfern und kleinen Städten des vorwiegend muslimischen Südwestens leben. Die eine Hälfte wurde ausschließlich um mündliche Antworten gebeten, die andere Hälfte durfte sensible Fragen mit Hilfe der Lochkarte nonverbal beantworten. Die nonverbale Gruppe gab zwei mal so häufig zu, bereits vorehelichen Sex gehabt zu haben; möglicher Weise in HIV-Ansteckung resultierende Risiko-Kontakte wurden in der verbalen Gruppe überhaupt nicht eingestanden, in der Lochkartengruppe hingegen von immerhin 3,8 Prozent der Befragten.
Natürlich wird diese Lochkarte nicht HIV verhindern oder junge Leute zu vernünftigerem Sexualverhalten erziehen – aber sie kann helfen, bessere Aufklärungsprogramme zu entwickeln und Aktionen gezielter vorzubereiten. Und selbst wenn das nicht allen Risikopersonen das Leben retten kann – schon ein einziges Leben wäre die zwei Dollar pro Karte mehr als wert.
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