Paradies ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen – was im Paper Examining Walkability and Social Capital as Indicators of Quality of Life at the Municipal and Neighborhood Scales (erschienen im Journal Applied Research in Quality of Life) beschrieben wird, sind Wohngegenden, wo die täglichen Annehmlichkeiten wie Spielplätze, Lebensmittelläden, Postämter, Restaurants bequem zu Fuß erreicht werden können. Und in solchen Wohngegenden sind die Leute nicht nur gesünder (weil sie mehr Bewegung haben) und weniger einsam (weil sie Menschen auf der Straße treffen können), sondern sie verfügen auch über mehr soziales Kapital , womit der französische Soziologe Pierre Bourdieu in seinem Aufsatz über
1983 die “Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen” bezeichnete,
“die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen.”
Und dieses soziale Kapital setzt sich aus solchen Elementen wie mehr Vertrauen unter den Nachbarn (man kennt sich) oder auch mehr soziales und lokalpolitisches Engagement – was nicht selten auch wiederum zu besseren Lebensbedingungen (z.B. mehr Geld für Kindergärten oder Grünanlagen) führen kann. Bessere Vernetzung bedeutet, wie die federführende Autorin Shannon Rogers – Doktorandin an der University of New Hampshire – erklärt, oft auch bessere Gesundheit und vor allem auch bessere wirtschaftliche Chancen im Leben.
Schnell einen methodischen Einschub: Das Paper beruht auf insgesamt 700 Befragungen in 20 Wohnvierteln in Portsmouth und Manchester (beide in New Hampshire). Die Teilnehmer wurden gefragt, wie viele von insgesamt 13 vorgegebenen Zielen (siehe oben) in ihren Wohngegenden zu Fuß zu erreichen seien; ab sieben Zielen in Fußweite wurde das Viertel dann als fußgängerfreundlich (“walkable”) eingestuft. das soziale Kapital wiederum wurde anhand einer Skala ermittelt, die der Harvard-Politologieprofessor Robert Putam für sein Saguaro-Seminar entwickelt hatte.
Mehr als einen Zusammenhang zwischen Fußgängerfreundlichkeit und sozialem Kapital darf man in das Paper natürlich nicht hineinlesen, denn es ist durchaus plausibel, dass fußgängerfreundliche Wohnviertel entsprechend präsdisponierte Gruppen anziehen – “Ökos” zum Beispiel, die gerne aufs Auto verzichten und sich politisch engagieren wollen. Oder Menschen, die bewusst den Kontakt zu Nachbarn suchen und daher Viertel wählen, in denen sie mehr Menschen auf Straßen, in Parks, bei Veranstaltungen etc. antreffen können. Aber allein schon die Tatsache, dass räumliche und gesellschaftliche Aspekte in dieser Form korrelieren, ist halt für einen Geographen wie mich ganz spannend. Und sie zeigt, dass fußgängerfreundliche Städte zumindest nichts Schlechtes sind – was in den USA leider nicht jede Kommune so unterschreiben würde …
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