Dies ist, was man im Englischen ein “Rant” (wohl am ehesten mit “Tirade” übersetzbar) nennen würde – nicht über die Wissenschaft an sich, sondern – mal wieder über deren Vermittlung. Human Tears Contain a Chemosignal verkündet ein Paper in der aktuellen Ausgabe von Science – und das ist vergleichsweise zurückhaltend formuliert, obwohl der Begriff “Signal” bereits eine Zweckrichtung von Wasauchimmer in menschlichen Tränen impliziert, die vermutlich durch die Versuchsanordnung eben nicht gestützt ist. Diese Vermutung stützt sich, mangels eines “Science”-Abos, allein auf das publizierte Begleitmaterial und das, was ich zum Beispiel hier und vor allem in der Seite-1-Story der New York Times gelesen habe. Die Schlagzeile der Times hingegen – “In Women’s Tears, A Chemical That Says, ‘Not Tonight, Dear'” (zu Deutsch: Frauentränen enthalten Chemikalie die sagt “Nicht heute Nacht, mein Schatz”) – ist meiner Ansicht nach (jawohl, ich drücke hier nur, ich wiederhole: nur meine Ansicht aus) pure Spekulation.
Na gut, in den Medien ist vieles spekulativ und sensationalistisch (hey, ich fahre selbst seit einem Vierteljahrhundert auf desem Karussell mit). Aber da gerade am Tag zuvor die NYTimes mit einer Story über ein umstrittenes ESP-Paper aufgemacht hatte, ist es geradezu ironisch, dass sie daraus selbst nichts gelernt hat und eine Studie prompt überinterpretiert (zugegeben: Die Autorinnen und Autoren des Papers, vom israelischen Weizman Institute, stellen die gleiche Behauptung auf – dass ein Signalstoff in Frauentränen den Männern die Lust auf Sex nimmt – sind aber in der “Verkaufe” ein wenig zurückhaltender).
Ich will mich gar nicht lange mit Details aufhalten (es soll ja eine Tirade sein, keine Dissertation) – gehen wir mal davon aus, dass die Grundaussagen stimmen: dass Frauentränen chemisch verschieden von einer reinen Salzlösung sind, und dass Männern nach dem Schnüffeln solcher frischen Frauentränen eher die Lust vergeht als nach dem Schnüffeln von Salzwasser, das vorher über die gleichen Frauen-Wangen geträufelt wurde. Heißt das also, dass eine Chemikalie – ein Hormon vielleicht – eigens dazu in die Tränen einfließt, um Frauen vor unerwünschten sexuellen Avancen seitens der Männer zu bewahren? So liest sich’s ja …
Und da frage ich mich: Wozu sollte das gut sein? Um den Botenstoff zu erschnüffeln, müsste der Mann den Frauentränen schon auf wenige Zentimeter nahe kommen – was sicher schon zu weit innerhalb der Komfortzone des Objekts der Begierde wäre. Andererseits sind die Tränen doch viel besser zu sehen als zu riechen – und wenn sie eine Sexualabwehr bewirken sollen (als ein Anti-Aphrodisiakum, wenn man so will), dann wären sie doch schon viel wirksamer durch ihre visuelle Wirkung. Es mag ja Männer geben, die sich von emotional nicht verfügbaren Frauen angezogen fühlen. Aber ich würde meinen Fahrradhelm verwetten (hab’ ich, glaube ich, schon mal gemacht – ich brauche dringend eine besser verwettbare Kopfbedeckung), dass die Mehrheit der Männer gelernt hat, dass weinende Frauen selten in der “richtigen” Stimmung sind – und allein schon deswegen durch den Anblick einer weinenden Frau sexuell “abgetörnt” ist.
Mit anderen Worten: Der Mann, der erst eine chemische Keule braucht, damit er begreift, dass weinende Frauen bestimmt anderes im Sinn haben als Sex, hat ein erhebliches Sensibilitätsproblem – und dafür wäre diese chemische Keule dann wohl zu klein; hier wäre ein Knüppel oder ein Baseballschläger das deutlichere und nützlichere Signal.
Aber warum verdirbt dann allein schon der Geruch von Tränen die erotische Männerstimmung? Mein Vorschlag: Weil selbst der unsensibelste Mann den Geruch von Tränen erkennen und von Salzwasser unterscheiden kann. Und warum können Männer das? Weil sie genau wissen, wie Tränen riechen und schmecken – selbst die härtesten Männer heulen nämlich selbst eine ganze Menge solcher Tropfen im Laufe ihres Lebens, und diese fließen ziemlich nah an ihrem olfaktorischen System vorbei.
Natürlich könnte man sagen: Also ist der Geruch von Tränen doch ein erotisch destimulierendes Signal – q.e.d. Wozu also mein Gemecker? Nun, es geht mir darum, dass hier eine chemisch codierte und physiologisch verankerte, quasi automatisch und unterbewusst abaufende Reaktionskette sugeriert wird: Frau hat keine Lust auf Sex -> Frau produziert Abwehrbotenstoff -> Botenstoff wird in Tränenflüssigkeit sekretiert -> Tränen setzten Botenstoff frei -> Männer erschnüffeln Botenstoff -> männliches Gehirn wird chemisch “abgeregt”. Und dafür gibt es auch in dem Science-Paper offenbar keine Beweise – denn der vermeintliche Botenstoff wird hier nicht identifiziert.
Tränen törnen Männer ab (es sei denn, sie sind Sadisten) – das ist nicht überraschend, und ich bin mir sicher, dass dies auch rein visuell, ohne Schnüffeln und chemische Botenstoffe funktionieren würde. Aber eine geheimnisvolle Substanz ist natürlich die aufregendere Story …
Foto: Weinende Maria Magdalena, Saint-Martin d’Arc-en-Barrois; Vassil via Wikimedia Commons
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