Ursprünglich wollte ich dies als Kommentar zu meinem Eintrag Wissenschaft zum Heulen … schreiben, aber es ist mir doch zu wichtig, als dass ich es im 21. PPS oder so verstecken würde.
Es gibt noch einen Grund, warum ich mich so über die Studie geärgert habe, die in Science publiziert wurde und den Titel trägt Human Tears Contain a Chemosignal : Weil sie impliziert, dass Frauen in der Lage sind, einen biochemischen Signalstoff zu produzieren, der nicht nur unmissverständlich ihre sexuelle Verfügbarkeit (bzw. Nicht-Verfügbarkeit) anzeigt, sondern darüber hinaus auch noch in der Lage ist, direkt den sexuellen Erregungszustand des Mannes zu kontrollieren, indem er die Libido und das ausführende Organ abschaltet. Wenn ich Jörg Kachelmanns Anwalt wäre, hätte ich mir diese Studie schon eingerahmt …
Die große Mehrzahl aller Vergewaltigungsopfer – ich fand hier Zahlen zwischen 77 und 85 Prozent – kannte den Täter. Und wenn es zum Prozess kommt, läuft die Verteidigungsstrategie praktisch immer darauf hinaus, dass der Sex zwischen Täter und Opfer entweder völlig freiwillig war oder dass das Opfer – muss nicht immer eine Frau sein, übrigens – zumindest nicht signalisiert hatte, das es keinen Sex wollte. Wenn es nun einen biochemischen = nicht sozial gelernten und nicht durch soziale Konventionen wie Sprache oder Gesten vermittelten (und folglich auch fehlinterpretierbaren) Signalträger gibt, den Frauen zur Abwehr von unerwünschtem Sex produzieren und der zudem aktiv die sexuelle Einsatzbereitschaft des Täters verhindert – wie kann es dann überhaupt zu diesem “nicht-einvernehmlichen” Sex kommen?
Nochmal zurück zur Studie: In der speziellen Testanordnung (Männer betrachten Videos, einige mit erotischem Inhalt, während ihnen mal weibliche Tränen, mal neutrale Salzlösung im wörtlichen Sinn unter die Nase gehalten wird) kam also heraus, dass der Geruch von Tränen den Männern die Lust verdirbt. Soweit, so gut.
Wissen die Forscher, dass dies die Folge eines bestimmten weiblichen Signalstoffes in der Tränenflüssigkeit ist? Nein. Haben sie die Wirkung männlicher Tränen auf Männer getestet? Nein. Haben sie wenigstens einen chemischen Vergleich männlicher und weiblicher Tränen durchgeführt? Nein (zumindest steht davon nichts in dem Material, das sie der Studie beigelegt hatten). Okay, haben sie dann wenigstens getestet, bis auf welche Distanz dieser Signalstoff wahrgenommen wird? Um als Signal zu taugen, muss er ja eine normale interpersonelle Distanz – sagen wir mal, mindestens eineinhalb Meter – überwinden können. Aber auch das wurde nicht getestet. Wie sich damit der Begriff “Chemosignal” (Signal!) begründen lässt, ist nicht nachvollziehbar.
Mehr noch: Selbst die Interpretation, dass Frauentränen (egal, was drin ist) dem Mann die Lust auf Sex nehmen, ist nicht haltbar (sonst gäbe es nicht das, was man im Englischen “Make-up-Sex” nennt – den versöhnenden Sex nach eine heftigen Streit, in dem ja typischer Weise Tränen vergossen werden). Und sie ist und auch nicht verantwortbar, denn dies würde immer noch implizieren, dass Vergewaltigungen damit zu verhindern sind: Frau muss nur weinen, dann hört’s auf. Und wenn der Täter nicht auf diese biologische Weise gestoppt wurde – tja, dann hat sie’s wohl doch im Geheimen so gewollt …
Ich erlaube mir jetzt mal, ganz ohne Laborversuch, ganz ohne Sekundärmaterial, sondern einfach mit einer Portion Nachdenken ausgestattet, eine alternative Erklärung anzubieten: Die einzigen Tränen, die Männer normalerweise direkt unter ihrer Nase erschnüffeln, sind ihre eigenen. Dass weinende Männer selten in sexuell erregbarer Stimmung sind, kann ich nur vermuten, aber als jahrzehntelanger y-Chromosominhaber kann ich zumindest für mich bestätigen, dass erlebter Kummer und Schmerz keine aphrodisierende Wirkung auf mich haben. Also: Es sind nicht die Botenstoffe, sondern die Tränen selbst (die ja nun mal keine simple Kochsalzlösung sind – wieso diese Flüssigkeit überhaupt als “neutrale” Kontrollsubstanz akzeptabel war, ist mir schleierhaft), die dem Mann die Stimmung verderben – weil er sie mit seinen schwachen Momenten assoziiert, mit den Tränen, die er selbst schon vergossen hat. Das ist zwar mindestens ebenso spekulativ – braucht aber (Occam wetzt sein Rasiermesser) deutlich weniger Zusatzannahmen als das Science-Paper.
Tja, und all das regt mich auch als Vater auf. Weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schwer es für Pubertierende – das gilt für Jungs und Mädchen gleichermaßen – ist, die Signale des anderen Geschlechts zu verstehen (viele lernen es ihr Leben lang nicht). Dass immer noch solche Sprüche kolportiert werden wie “wenn eine Fau nein sagt, dann meint sie vielleicht, und wenn sie vielleicht sagt, dann meint sie ja”*, ist schon schlimm genug – wenn nun noch scheinbar wissenschaftlich behauptet wird, dass sich weder Mädchen noch Jungs (oder Frauen und Männer, wenn man genauer darüber nachdenkt) groß Gedanken machen müssen, was welche Signale bedeuten, da doch die ihre Körperchemie das von alleine regelt, dann wird’s beinahe kriminell. Nein heißt nein – und das wird durch Worte und Gesten klar genug ausgedrückt. Wir sind eben keine Mäuse oder Motten, die mangels Worten mit Pheromonen kommunizieren müssen.
* Dieser Spruch wird wahweise dem französischen Diplomaten Charles Maurice de Talleyrand-Périgord (1754 – 1838) oder dem irischen Schriftsteller George Bernard Shaw (1856 bis 1950) zugeschrieben: “Wenn eine Dame ‘nein’ sagt, meint sie ‘vielleicht’. Wenn sie ‘vielleicht’ sagt, meint sie ‘ja’. Wenn sie ‘ja’ sagt, ist sie keine Dame.” In jedem Fall ist er um Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zu alt – wenn er überhaupt jemals Gültigkeit beanspuchen konnte.
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