Der in der Schweiz praktizierende Mediziners Florian Albrecht, der hier bereits über den Einsatz von Placebos schrieb, hat einen weiteren Gastbeitrag verfasst, in dem es darum geht, wie sich die Schweizer “Alternativmediziner” selbst ein Bein gestellt haben:
Von Florian Albrecht
Heute Nachmittag war ich auf einem Seminar, um ein wenig mehr über die Strukturen, Funktionen und Geheimnisse des in der Schweiz gebräuchlichen ärztlichen Abrechnungssystems „TarMed” zu erfahren. Meine Praxis habe ich ja erst vor gut zweieinhalb Monaten übernommen, und alles, was ich bisher in meinen Abrechnungen codiert habe, habe ich mir mühsam selber beigebracht. Das Seminar hat mir dann auch so einige Fehler aufgezeigt, durch die ich bislang schon eine Menge bares Geld verschenkt habe, und die ich in Zukunft vermeiden werde.
Aber viel interessanter als die ganzen Tarifinformationen war dann ein Gespräch, welches ich auf dem nach dem Seminar stattfindenden Apéro (für alle Nichtschweizer: einer Art Stehempfang) führte. Ich unterhielt mich nämlich mit zwei Frauen aus Deutschland, die erst vor kurzem in die Schweiz gekommen waren, und sich schnell als Homöopathinnen entpuppten.
Entgegen ersten Reflexen unterliess ich kritische Anmerkungen zur Homöopathie und beteiligte mich eher unverbindlich an der Diskussion. Und dabei erfuhr ich von einem grossen Problem, welches die in der Schweiz tätigen Homöopathen seit kurzen haben:
Dazu muss man zunächst wissen, dass Anfang dieses Jahres vom Nationalrat (dem Schweizer Parlament) beschlossen wurde, dass 5 „komplementärmedizinische” Verfahren ab 2012 wieder von der Obligatorischen Krankenversicherung bezahlt werden müssen, also in den Kreis der Grundleistungen zurückgekehrt sind (nachdem man bislang dafür eine Zusatzversicherung abschliessen musste). Es handelt sich dabei um die Anthroposophische Medizin, die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), die Neuraltherapie, die Phytotherapie und eben die Homöopathie. Die entsprechende Gesetzesänderung war notwendig geworden, nachdem sich im Mai 2009 bei einer Volksabstimmung 67% der Abstimmenden dafür ausgesprochen hatten. Die Kostenübernahme für diese Verfahren hatte es in der Schweiz schon einmal von 1995 bis 2005 gegeben, war damals aber wegen gestiegener Kosten wieder gekippt worden.
Diese politische Entscheidung ist in der Schweiz beleibe nicht unumstritten. Denn es wird eine erneute Steigerung der Gesamtkosten im Gesundheitssystem befürchtet. Was auch schon Mitte der 90er Jahre in der sog. “Helsana-Studie” belegt worden war. Aber die Schweizer Homöopathen bekommen jetzt noch ein ganz anderes Problem. Sie können nämlich ihre Dienstleistungen gar nicht ausreichend abrechnen.
Denn das Tarifsystem „TarMed” (in der aktuellen Fassung vom 3.4.2010) sieht für homöopathische Konsultationen (unter den Abrechnungsziffern 00.1770, 00.1780 und 00.1790) eine maximale Gesamtdauer von 180 Minuten alle 6 Monate vor. Für „klassische Homöopathie” reicht das jedoch bei weitem nicht aus.
Eine Grundkonsultation mit ausgiebiger Erhebung der Anamnese (Vorgeschichte), Einordnung und Kategorisierung der beschriebenen Symptome und Ermitteln des passenden „Medikaments” dauert im Regelfall 2.5 bis 3 Stunden. Damit ist dann die Zeit für ein Halbjahr schon aufgebraucht. Nachkontrollen, wie sie in der Homöopathie normalerweise nach 4-6 Wochen vorgesehen sind (und die zwischen 30 und 90 Minuten dauern sollen), sind da schon nicht mehr ‘drin. Und wenn der Patient innerhalb von weniger als 6 Monaten nochmal krank wird, kann der Homöopath ebenfalls nichts mehr abrechnen.
Nun könnte man auf die Idee kommen, der Homöopath könne doch einfach – wie bisher – dem Patienten eine Privatrechnung ausstellen. Geht aber nicht! Denn gemäss den „TarMed” zugrunde liegenden Gesetzen darf keine über die von den Krankenkassen übernommenen Pflichtleistungen hinausgehende Leistung zusätzlich privat in Rechnung gestellt werden (sog. „Tarifschutz”).
Fazit: die Wiederzulassung der Homöopathie als Krankenversicherungs-Pflichtleistung war ein Phyrrussieg. Denn für die Homöopathen wird sie Einkommenseinbussen bedeuten.
Wahrscheinlich hatten die Entscheidungsträger in der Politik keine rechte Ahnung, wie Homöopathie „wirklich abläuft”. Hatten vermutlich eher den durchschnittlichen Hausarzt, der homöopathische Mittelchen als Ergänzung zu seinem sonstigen Angebot abgibt – und dies in vielen Fällen eben nicht nach stundenlangem Gespräch (was aber wieder gegen die Hahnemann’schen Richtlinien verstösst) – im Kopf, als diese Tarifpositionen definiert wurden.
Die gleichen Beschränkungen gelten übrigens auch für die Anthroposophische Medizin.
Tja, irgendwie kommt mir da der Begriff „ausgleichende Gerechtigkeit” in den Sinn.
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