Wer sich jetzt fragt, warum sie oder ihn es interessieren sollte, dass die Republikanische Partei in Amerika sich auf einen unbequemen Hochschulprofessor einschießt und – dank eines Offenlegungsgesetzes auch völlig legal – seine E-Mails durchschnüffelt, der sei lediglich daran erinnert, dass die Freiheit der Forschung, aber auch die Freiheit der Forscher, ein übernationales, grundsätzliches Gut sein sollte. Ganz konkret aber: Wenn aus Angst vor politischem (oder gar juristischem) Druck amerikanische Forscher sich aus bestimmten Arbeitsgebieten zurückziehen würden, wäre dies ein Schaden für die Wissenschaft weltweit. Droht das zu passieren? Im konkreten Fall vielleicht (noch) nicht, aber das Potenzial ist definitiv vorhanden. Wehret den Anfängen!
Im konkreten Fall geht es um den Historiker Willam Cronon, Professor für Geschichte, Geographie und Umweltforschung an der University of Wisconsin und Präsident der American Historical Associaton. Cronon hatte, als direkt Betroffener, in einem Meinungsbeitrag in der New York Times die (republikanische) Staatsregierung in Wisconsin für ihre Bemühungen kritisiert, die Arbeitnehmerrechte öffentlicher Bediensteter auszuhebel – womit sie nicht nur die historisch gewachsenen Rechte der Beschäftigten, sondern auch ihre eigenen republikanischen Traditionen in Wisconsin untergrabe. Gleichzeitg startete Cronon sein eigenes Blog Scholar as Citizen, und in seinem ersten Eintrag schrieb er über die Rolle, die der konservative American Legislative Exchange Council im neuen Kurs der republikanischen Partei spielt.
Die Reaktion der Partei: Sie forderte Kopien aller E-Mails an, die Cronon von seinem dienstlichen Mailaccount verschickt hatte und in denen die Begriffe “Republican” oder konkrete Namen von Republikanern vorkamen.
Wer jetzt hier einen Aufruf zur “Solidarität mit William Cronon” oder so erwartet (und gleich dagegenschießen will, er hätte halt besser wissen müssen, wenn er seine Dienst-E-Mail missbraucht): Cronon braucht diese Hilfe nicht. Der Mann ist erstens souverän genug, zweitens in einer reputablen Position – und drittens intelligent genug, dass er seine Dienst-Adresse nie für Persönliches oder gar Privates verwendet hat, wie er selbst versichert. Es geht hier nicht darum, einen einzelnen Wissenschafler zu schützen,. sondern eine Strategie bloßzustellen, die ja bereits beim “Climategate” Wirkung gezeigt hatte: Irgendwas Belastendes – oder wenigstens Blamables – muss sich in so einer Fülle oft spontan geschriebener Statements und Antworten finden lassen. Kein Satz ist so perfekt, dass er nicht, aus dem Zusammenhang gerissen, doch noch falsch interpretiert werden könnte.
Wie gesagt, Cronon hat hier wenig zu befürchten. Und was die Solidarität angeht (die natürlich allen hier frei steht), da ist schon die American Historical Association in die Bresche gesprungen. Aber ein Einschüchterungsversuch bleibt es dennoch, und zwar einer, der nicht nur gegen Cronon, sondern gegen jeden gerichtet ist, der unliebsame Positionen vertritt, vor allem, wenn er im weitesten Sinn aus öffentlichen Mitteln bezahlt wird (den Spruch, das Akademiker das Maul halten sollen, weil sie ja aus Steuergeldern bezahlt werden, hört man in den Dunstwolken über Deustchlands Stammtischen und gelegentlichen polemisierenden Blog-Kommentaren ja auch immer wieder). Und “abweichlerisches” Potenzial ist ja Vielerorts zu finden: In der Forschung mit Stammzellenforschung und über soziale Disparitäten, in Analysen militärisch-historischer Zusammenhänge, in der Umweltforschung … die Liste lässt sich gewiss noch lange fortsetzen. Wenn jeder Wissenschaftler, der darin eine Position vertritt, die den “neuen Rechten” nicht gefällt, damit rechnen muss, dass seine Mails durchkämmt und in oftmals bewusst verzerrender Weise (auch hier wieder der Verweis auf das angebliche “Climategate”, in dem es um eine einzige, all zu saloppe Bemerkung ging), dann birgt das sehr klar die Gefahr, dass den Forschern nicht nur als “mündige Bürger”, sondern auch in ihrer akademischen Arbeit ein – an sich selbstverständlicher – Freiraum eingeengt werden soll. Und das geht nun mal alle an, die sich als Wissenschaftler bezeichen.
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