Ich habe den halben Mittwoch auf einem Symposium des Massachusetts Institute of Technology verbracht, in dem es um den “Sieg über den Krebs” ging: Conquering Cancer through the Convergence of Science and Engineering. Neben dem 150. Geburtstag des MIT sollte das Symposium übrigens auch den Neubau des David H. Koch Institute for Integrative Cancer Research* würdigen. Einerseits muss ich zugeben, dass ich nach den Vorträgen deutlich weniger Angst vor Krebs habe – nicht etwa, weil hier schon das baldige Heilmittel gegen Krebs gefunden wird, sondern weil ich erstens sehen konnte, wie vielfältig an allem geforscht wird, was mit Krebs zusammen hängt und es zweitens eine realistische Chance gibt, dass viele Krebsformen wenn auch nicht heilbar, dann doch wenigstens so behandelbar werden, dass man Krebs von einer einst tödlichen zu einer zumeist chronischen Krankheit wird. Aber ein weiterer Eindruck scheint mit fast ebenso wichtig: Es gibt keine unnütze Wissenschaft!
Whoa! Moment! Ich wäre eigentlich mit der Erste, der dieser kategorischen Behauptung widersprechen würde (und ich bin mir sicher, dass nahezu jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler aus dem Kopf eine lange Liste von Forschungsfeldern nennen könnten, die sie für unnütz und unsinnig halten). Aber ich sag’ es trotzdem mal so provozierend, weil gerade einige der auf diesem Symposium präsentierten Beispiele zeigte, dass selbst scheinbar weit voneinander entfernte Fachgebiete zu einem einzigen, höchst zielorientierten Ansatz verschmelzen können. Beispiel gefällig? Sangeeta N. Bhatia ist gleichzeitig Professorin für Elektrotechnik und Krebsforscherin; ihre Arbeit kombiniert die Ergebnisse der pharmaklologischen und toxikologischen Forschung mit den Erkenntnissen der Zellbiologie, der Computertechnik und der Nanotechnik zu “Nanopillen” und, wenn man so will, “Nano-Scouts” die gezielt an Tumore entsandt werden können und dort – hier kommt die Elektroingenieurin zum Zug – dank RFID-Technik oder auch durch einfaches Bestrahlen mit Licht angeregt werden, chemotherpeutische Substanzen ohne Streuverluste und massive Nebenwirkungen direkt im Tumor zu emittieren (das ist jetzt grob vereinfacht, ein bisschen besser erklärt sie es hier selbst):
Das Schlüsselwort, das ich im Symposiumstitel beinahe ignoriert hätte, war nämlich “Convergence”. Wieder so ein Modewort, dachte ich, Interdisziplinarität ist doch ein alter Hut! Und ja, im ersten Moment ist wirklich nicht erkennbar, was an dem Bemühen, Foschungen fachübergreifend zusammen zu bringen, fundamental neu sein soll. Das Fudamentale (wenn ich mal das Wort gebrauchen darf) ist, dass diese Zusammenführung nun nicht mehr ein Hobby oder das Resultat zufälliger Forscherfreundschaften (oder manchmal auch des Spleens einzelner Geldgeber) sein soll, wie es bei der bisherigen Interdisziplinarität der Fall war, sondern zum Teil des Forschungsauftrags wird.
Was natürlich schwer zu finanzieren ist: Forschungsgelder werden zumeist fachspezifisch und zweckgebunden vergeben. Was in der Vergangenheit ja zu einer zunehmenden Spezi(ailis)ierung geführt hat. Das etwas ungelenke Wortspiel sollte eine Parallele der Wissenschaftsentwicklung zur Evolution der Arten (Spezies) zeigen: Mathematik, Naturwissenschaften, Geschichte, Theologie – all das konnte ein Universalgenie noch umfassend beherrschen (zur gedanklichen Auffrischung bitte mit rezitieren: “Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin …”); aus diesem akademischen Urahn haben sich Wissenschafts-Spezies entwickelt, die – wie eigenständige Arten – nur noch begrenzt, wenn überhaupt daran interessiert sind, sich mit anderen Arten zu “paaren” und sie zu befruchten. (Okay, das ist zwar eine etwas arg strapazierte Metapher, aber ich denke, das Bild an sich hängt nicht völlig schief – wer forschen will, muss sich spezialisieren.)
Und was hat das nun mit meine groß hingelegten Behauptung zu tun, es gebe keine unnütze Wissenschaft? Nun, allein schon die Krebsforschung zeigt, dass selbst weit voneinander entfernte Fachgebiete sehr schnell an einem einzigen Strang ziehen können. Wer weiß, was ein Mediziner von einem Astronomen lernen kann, oder wie Soziologen und Psychologen von Biochemikern und Netzwerktechnikern profitieren können (naja, das sind vermutlich Forschungsansätze, die es schon gibt). Musikwissenschaften und Marktmodelle – warum nicht? Molekulargenetik und Materialforschung, und das kombiniert mit Medizingeschichte – wer könnte schon mit Sicherheit sagen, dass dabei nie etwas herauskommen kann … Und natürlich kann es sein, dass es dabei Felder gibt, auf denen nichts wächst. Aber selbst die obskurste akademische Disziplin, so lange sie wissenschaftlich betrieben wird, hat das Potenzial, andere Forschungsbereiche zu befruchten, sei es mit direkten Forschungsergebnissen oder aber auch “nur” mit Denkansätzen. Und hat damit eine Chance, “nützlich” zu sein.
Natürlich heißt Convergence nicht, dass nun jeder mit jedem über alles forschen wird. Spezialisten wird es weiterhin geben, aber sie sollten lernen, mit anderen Spezialisten zu reden (und das ist wörtlich im Sinn von “sprachlich” gemeint: Paula Hammond, Professorin für Chemieingenieurwesen und ebenfalls ans Koch Institute berufen, räumte ein, dass sie seither viel mehr mit Biologen zu tun habe und daher auch viel besser “Biologisch” sprechen gelernt habe). Dabei kann Erstaunliches herauskommen.
* Ich musste mehrfach der Versuchung widerstehen, die MIT-Forscher zu fragen, wie wohl oder unwohl ihnen dabei ist, an einem Institut zu arbeiten, dessen Hauptspender und Namenspatron (dessen Nachname sich übrigens auf “joke” reimt) auch einer der maßgeblichen Geldgeber der nicht gerade für ihre Wissenschaftsfreundlichkeit bekannte, Tea Party ist. Politisch würde ich die Koch-Brüder nicht mit der Kneifzange anfassen wollen, und die 100 Millionen Dollar, die die David H. Koch Charitable Foundation gespendet hat, ist für einen Multimilliardär wie Koch eh’ nur (steuerlich absetzbares) Kleingeld. Aber andererseits: Er hat 100 Millionen für diese Forschung gespendet – und das kann tatsächlich Leben retten. Dafür – und nur dafür – hat er meinen Respekt.
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