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Das nenn’ ich Wissenschaft mit Nutzwert: Wer Druck auf der Blase hat, trifft die besseren – im Sinn von: langfristig nutzbringenderen – Entscheidungen. Sagt ein Paper, das von der holländischen Verhaltensforscherin Mirjam Tuk (Universität Twente), gemeinsam mit ihrer Kollegin Debra Trampe (Universität Groningen) und dem Marketingforscher Luk Warlop (Katholische Universität Leuven) erstellt wurde und das in der kommenden Ausgabe von Psychological Science (derzeit noch nicht online, dafür ersatzweise hier der Link zur Verlags-Pressemitteilung) erscheinen soll.* Die Frage, wie sich eine volle Blase (zum Beispiel am Ende einer langen, mit viel Kaffee durchstandenen Sitzung) auf die Entscheidungsfähigkeit auswirkt, war Mirjam Tuk aus beinahe qualvoller eigener Erfahrung (lange Sitzung – viel Kaffee!) gekommen; die erste Annahme beruhte eigentlich auf dem Konzept der Ego-Depletion, die in simplen Worten nichts anderes bedeutet, als dass die Willenskraft und damit die Fähigkeit zur Selbskontrolle begrenzt ist – und die verzweifeltre Blasenkontrolle dabei so viel davon aufzehrt, dass für weitere kontrollierte Entscheidungen nicht mehr viel übrig bleibt.

Doch im praktischen Versuch stellte sich dann das genaue Gegenteil heraus: Ein Teil der Probanden musste einen Dreiviertelliter Wasser (die Kontrollgruppe hingegen nur ein paar Schlückchen) trinken und dann, etwa 40 Minuten später, wenn das Wasser die entsprechenden Blasen gefüllt hatte, Entscheidungsaufgaben lösen. Zum Beispiel die Entscheidung treffen, am nächsten Tag 16 Dollar (waren’s wirklich Dollar – Euro?) kassieren zu dürfen oder fünf Wochen zu warten und dann 30 Dollar zu erhalten. Überraschender Weise zeigten sich die Probanden mit vollen Blasen als geduldiger und eher bereit, für den größeren Lohn auszuharren; in einem anderen Test sei angeblich dieser Effekt allein schon mit dem Gedanken an eine volle Blase erzielbar gewesen. Fazit der Forscherin Tuk: “Man scheint die besseren Entscheidungen zu treffen, wenn man eine volle Blase hat.” Na denn, erst mal Prost …

* Der Gedanke, dass es sich hier um einen Faschingsscherz handeln könnte, ist mir zwar auch gleich durch den Kopf gegangen, aber erstens kennt man in den USA, wo das Paper veröffentlicht werden wird, den Fasching und dessen närrische Implikationen nicht (mit Ausnahme des Mardi Gras in New Orleans), und zweitens verweist die Forscherin Tuk auf ihrer Uni-Homepage noch einmal ausdrücklich auf dieses Forschungsfeld:

In my research, I focus on two different areas. In the first line of research, I look at the impact of self-control on choice behavior. More specifically, in one project I examine whether physiological states that are characterized by high levels of control (e.g. bladder control) can generalize to other domains requiring self-control.

Foto: Pbrundel [GFDL (https://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

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Kommentare (10)

  1. #1 Jörg
    1. März 2011

    Na da erwartet mich mit meiner Sextanerblase ja eine große Manager-Karriere…

  2. #2 Daniel Rettig
    1. März 2011

    Hallo Herr Schönstein,
    ich habe die – zugegebenermaßen kuriose – Studie auch aufgegriffen. Aber das Fazit von Frau Tuk im Sinne von “volle Blase = bessere Entscheidungen” erscheint mir persönlich dann doch etwas zu weit hergeholt. Meiner Ansicht nach zeigt die Studie “nur”, dass man einer kurzfristigen Belohnung widerstehen kann, wenn man seine Willenskraft ohnehin gerade für etwas anderes aufwendet.
    Und noch ein Hinweis: Das pdf-Dokument der kompletten Studie finden Sie hier: https://lirias.kuleuven.be/bitstream/123456789/282526/3/MO_1007.pdf

    Beste Grüße,
    Daniel Rettig

  3. #3 BreitSide
    1. März 2011

    Das eröffnet ganz neue Perspektiven:
    – Kaffee als Muss vor und bei Sitzungen (keiner kommt rein, ohne eine Tasse getrunken zu haben, anschließend eine Tasse alle 10 Minuten),
    – wichtige Entscheidungen frühestens nach 40 Minuten,
    – Wasserlaufen als Hintergrundgeräusch (funktioniert auch bei Kindern und Pferden) oder am besten ein Tischbrunnen,
    – dem Konferenzraum leichte Vibrationen aufprägen (erhöhen signifikant den Entleerungsdruck).

    Auf die Weise ist die Konferenz dann nach 41 Minuten auch schlagartig beendet…

    Ich denke, wir haben es hier relativ einfach mit einem eine Entscheidung fordernden Element zu tun, das gehörig ablenkt und so die berühmte “Bauchentscheidung” fordert.

    Wie immer wird der Schlusssatz lauten: “es sind weitere Forschungen nötig”…

  4. #4 CCS
    1. März 2011

    “(funktioniert auch bei Kindern und Pferden)”

    Großartig!

  5. #5 rolak
    1. März 2011

    Also war Adenauers Verhandlungsstrategie nw-abgesichert, wie sich jetzt erst herausstellt^^ War seiner Zeit voraus (wenn mich jetzt meine Erinnerung nicht täuscht) 😉

  6. #6 Frau Sokol
    1. März 2011

    Ausgerechnet Rettig…

  7. #7 MisterX
    1. März 2011

    Und wieso trifft man jetzt bessere entscheidungen??

    “dass die Willenskraft und damit die Fähigkeit zur Selbskontrolle begrenzt ist – und die verzweifeltre Blasenkontrolle dabei so viel davon aufzehrt, dass für weitere kontrollierte Entscheidungen nicht mehr viel übrig bleibt.”

    Wer sagt das ich deswegen die bessere entscheidung treffe?? Versteh ich nicht !

    gruß

  8. #8 Logiker
    1. März 2011

    Aus meinen persönlichen Erfahrungen bei unzähligen Besprechungen vertrete ich hier folgende These (nicht wissenschaftlich abgesichert, nur der Harndrang ist abgesichert…):

    Wenn die Blase drückt, werden überhaupt erst Entscheidungen getroffen. Solange der Kaffee noch im Magen ist, plaudert man vor sich hin, aber wehe, es pressiert….. “Okay, dann machen wir das so und so, aber lasst mich raus hier…..”

    ich wäre für ein absolutes Pinkelverbot während Besprechungen, und jeder, der muss, scheidet aus. Der Gewinner darf dann alles entscheiden und darf sich hinterher vor Freude im wahrsten Sinne des Wortes bepissen…..

  9. #9 Jürgen Schönstein
    1. März 2011

    @MisterX
    Das Zitat bezieht sich auf die Ausgangshypothese, dass durch die Ego-Depletion (das heißt, die volle Inanspruchnahme des Hirns durch ein Problem, i.d.F. den Drang zum Klo) eigentlich keine guten Entscheidungen zu erwarten wären. Im Versuch kam dann das genaue Gegenteil heraus – je dringender das Bedürfnis, desto nutzenorientierter die Entscheidung. Warum und wie zuverlässig das so ist, bleibt eine andere Frage ….

  10. #10 miesepeter3
    3. März 2011

    @Jürgen Schönstein

    “Warum und wie zuverlässig das so ist, bleibt eine andere Frage ….”

    Es gibt Untersuchungen zu Entscheidungen durch Intuition. Dort glaubt man festgestellt zu haben, dass die Entscheidungen um so besser ausfallen, je weniger der “Verstand” Zeit hat, mit zu entscheiden, also bewußtes Nachdenken den Erfolg der Intuition schmälert.
    Das bedeutet beim Harndrang wohl, dass man schnell eine Entscheidung aus dem Bauch heraus trifft, weil man für langes Nachdenken verständlicherweise keine Zeit mehr hat und somit der Verstand keine Chance bekommt, die Entscheidung zu versauen.
    Kann so manches Meeting erstaunlich effektiv machen. 😉