Schon komisch: Da finde ich endlich mal einen Anlass, über das zu schreiben, wovon ich am meisten zu verstehen glaube – die Sprache nämlich. Ist ja mein berufliches Werkzeug, und zudem eines, das ich mit ausgesprochenem (!) Vergnügen benutze. Und ausgerechnet hier muss ich nun einsehen, dass ich komplett außerhalb meiner Komfortzone gelandet bin, dass ich mich, um es mal bildlich auszudrücken, im Geflecht der Sprachwurzeln hilflos verfangen habe.
Es ist schon bestimmt bald zwei Jahrzehnte her, dass ich mal über das Konzept der Protosprache gestolpert war. Ich erinnere mich leider nicht mehr, wer die These vertreten hatte, und da sie sich in der Folge auch nicht belegen ließ, lohnt sich die Mühe kaum, dieser Quelle heute noch einmal nachzuforschen, aber zusammen mit der genetischen Out-of-Africa-Hypothese, speziell der Idee einer mitochondrialen Eva, hatte sich auch die Vorstellung etabliert, dass alle heute gesprochenen Sprachen auf eine einzige Ursprache zurückzuführen seien. Wie gesagt, das hat sich nicht bestätigen lassen, obwohl das Konzept der Protosprachen – die in dieser Form ein reines sprachwissenschaftliches (Re-)Konstrukt sind – in der Liguistik offenbar durchaus, für Sprachgruppen wie das Indo-Europäische, beispielsweise, mit Nutzen verwendet werden.
Aber andererseits ist Sprache etwas, was sich in allen Kulturen entwickelt hat. Sprache ist eines der Grundmerkmale, mit dem wir das Mensch-Sein definieren. Irgend eine gemeinsame Wurzel muss sich da doch finden lassen. Noam Chomsky beispielsweise kam, an sich ganz plausibel, auf die Idee einer genetischen Veranlagung zur Sprache, einer angeborenen Universalgrammatik also, die den Spracherwerb und die Sprachentwicklung formt. Eine faszinierende Idee …
Entsprechend aufgeregt war ich, als ich per E-Mail über den Inhalt der neuen Ausgabe von Nature informiert wurde, in dem ein Paper zu diesem Thema angekündigt wurde. Es trägt den Titel Evolved structure of language shows lineage-specific trends in word-order universals; und auch wenn ich als Nicht-Abonnent den Volltext nicht online lesen darf, kann ich doch dank eines begleitenden Editorials und dem verfügbaren Zusatzmaterial ein bisschen tiefer einblicken. Erst mal will ich meine tiefste Hochachtung davor ausdrücken, dass in dem Paper vier Sprach-Stammbäume mit mehr als 2000 Einzelsprachen (!) untersucht wurden; allein die folgende Grafik ist ein enormes Stück Fleißarbeit:
Analysiert wurden also die Sprachen nach ein paar grundsätzlichen Strukturen; beispielsweise, ob das Subjekt grundsätzlich dem Verb vorangeht oder ihm nachgestellt ist, oder ob, wie im Deutschen, beides möglich ist. In Wenn-dann-Sätzen, beispielsweise: Wenn das Knaku nicht papelt (Subjekt->Verb), dann dullt der Prisi nicht (Verb->Subjekt). Erinnert sich noch jemand an diese Aufgabe aus dem Mathematikunterricht? Oder die Reihenfolge Substantiv-Adjektiv: die “rote Mühle” (Adjektiv voraus) heißt im Französischen “Moulin Rouge” (Adjektiv danach). Entscheidend war dabei die Frage, ob sich innerhalb deser Sprachelemente eine erkennbare Konsistenz, eine universale Grammatik, herausschälen lässt.
Und die Antwort kann zwar ich direkt aus dem Nature-Editorial zitieren:
Neither of these patterns is borne out by the analysis, suggesting that the structures of the languages are lineage-specific and not governed by universals.
Zu Deutsch: Was immer an “generellen” Strukturen erkennbar ist, hat allenfalls innerhalb des jeweiligen Sprachbaums eine Gültigkeit – eine universale Grammatik ist nicht erkennbar.
Das finde ich nun auch wiederum sehr spannend, und die Idee, dass Sprachen völlig unabhängig voneinander entstanden sein könnten, ist vielleicht sogar noch faszinierender als die einer einzigen Ur-Sprache. Wenn ich nur mehr von der Sache verstünde …
Kommentare (25)