Passt vermutlich zur morbiden Karwochenstimmung: Britische und amerikanische Forscher haben die Suizidraten der 50 US-Staaten (plus der Hauptstadt Washington) mit der generellen Zufriedenheit verglichen – und sind darauf gestoßen, dass in den Staaten, in denen die Menschen sich besonders glücklich wähnen, auch die Selbstmordraten besonders hoch sind. Das Paper über Dark Contrasts: The Paradox of High Rates of Suicide in Happy Places ist zwar, wie die University of Warwick mitteilt, zur Veröffentlichung im Journal of Economic Behavior & Organization angenommen worden, aber eben noch nicht erschienen (daher auch kein Link). Aber zumindest die Rohdaten für die 50 Staaten plus Washington sind bekannt; ein
und sie öffenen sich als Word-Dokument.
Beim Draufschauen alleine wird dieser Zusammenhang nicht sofort klar. Okay, New York hat zwar die niedrigste Selbstmordrate (6,15), doch in der Rangliste der amerikanischen “Happy Places” ist es mit Platz 51 das Schlusslicht. Und andererseits haben die Menschen in Utah den höchsten Zufriedenheitskoeffizienten, aber auch die neunthöchste Selbstmordrate des Landes. Aber ich muss zugeben, dass ich Schwierigkeiten habe, die Rohdaten mit den Aussagen der Warwick-Pressemitteilung in Einklang zu bringen, da in der Tabelle auch “bereinigte” Raten verwendet werden, die dann wiederum ein ganz anderes Bild zu ergeben scheinen – und wie genau die Bereinigung vorgenommen wurde, kann ich zumindest nicht nachvollziehen. Doch gehen wir mal davon aus, dass die Forscher alle ihren Grundkurse in desktiptiver Statistik besucht haben und hinreichend computerbegabte Assistentinnen und Assistenten zum Zahlenknirschen (so würde der englische Begriff “number crunching” wörtlich übersetzt lauten) beschäftigen konnten – kurz: dass die Kernaussage des Papers, dass nämlich Zufriedenheit und Lebensmüdigkeit irgendwie Hand in Hand zu gehen scheinen, tatsächlich von Daten gestützt ist.
Das scheint sich ja auch im internationalen Vergleich zu bestätigen: Dänen sind zwar angeblich die
, aber sie haben eine vergleichsweise hohe Selbstmordrate. In der Schweiz und in Österreich sieht es vergleichbar aus. Andererseits sind die Tassen in Albanien zwar ziemlich trübe, aber Selbstmorde sind hier rar. Was natürlich eher daran liegen kann, wie zuvverlässig die nationalen Statistiken sind – genau aus diesem Grund hatten die Forscher um Andrew Oswald und Stephen Wu auf den inneramerikanischen Vergleich beschränkt; denn auch wenn es zwischen den einzelnen Bundesstaaten durchaus kulturelle und administrative Unterschiede gibt, sind sie doch – im internationalen Vergleich zumindest – ziemlich homogen.
Wie auch immer: Es scheint in der Tat einen statistisch belegbaren Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Wohlbefinden einer Gesellschaft und der Neigung zu geben, sich durch Selbstmord aus jener zu entfernen. Wobei ich hier schon einschränken würde: Man kann bestenfalls von “vorgeblichen Wohlbefinden” ausgehen. Denn diese Zufriedenheit wird ja nicht objektiv gemessen, sondern durch Umfragen erfasst. Sie reflektieren also bestenfalls, wie die Menschen glauben, sich zu fühlen. Oder glauben, sich fühlen zu müssen.
Und das wäre vielleicht schon eine Erklärung. Die Dänen sind vielleicht, tief drinnen, gar nicht glücklicher als andere – aber es wird von ihnen erwartet, es wird von ihnen selbst erwartet, sich glücklich zu schätzen. Und das aufrecht Erhalten dieser Glücksfassade kostet vielleicht mehr Kraft als der “Grant”, jenes unveräußerliche Recht aufs Miesepetern und Schwarzsehen. Und irgendwann, wenn man nicht mehr kann – ja, dann kann man auch wirklich nicht mehr.
Oder es ist, wie Owen und Lu vermuten: dass sich unglückliche Menschen um so miserabler fühlen, je besser es den Glücklichen um sie herum geht. Und um so drastischer ist ihr Absturz. So oder so scheint es vielleicht sogar ein kleines Glück zu sein, in einer nicht ganz so glücklichen Gesellschaft zu leben.
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