“Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden …” hatte ich, Michael Endes “Unendliche Geschichte” zitierend, am Ende meines Eintrags über die Verschwörungstheorie um Obamas Geburtsurkunde auf die implizierte Frage geschrieben, wer wohl an so etwas glauben könnte. Nun, “ein andermal” ist jetzt. Auf die Frage, wer überhaupt an VT (ich kürz’ das jetzt mal ab, da ich diesen Begriff in der Folge häufiger benutzen muss und keine Lust habe, dauernd Verschwörungstheorie tippen zu müssen) glaubt, gab es ja hier bei Florian Freistetter schon ein paar Hinweise. Aber jemand, der sich sehr ausführlich mit der Persönlichkeitsstruktur von Verschwörungstheroetikern beschäftigt hat, ist der britisch-malayische Wissenschaftler Viren Swami von der University of Westminster – und ohne dem, was ich hier ja ausführlicher beschreiben will, all zu weit vorweg zu greifen, kann man schon mal sagen, dass der Begriff “Spinner” nicht die treffendste Beschreibung für VTler ist, auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag.
Gleich in mehreren Publikationen hatte sich Swami mit der Frage befasst, welche Persönlichkeitsmerkmale so einen VT-Gläubigen auszeichnen: Unanswered Questions: A Preliminary Investigation of Personality and Individual Difference Predictors of 9/11 Conspiracist Beliefs, erschienen im Mai 2009 in Applied Cognitive Psychology, und Conspiracist ideation in Britain and Austria: Evidence of a monological belief system and associations between individual psychological differences and real-world and fictitious conspiracy theories, das in der Mai-Ausgabe des British Journal of Psychology erscheinen wird, sind die beiden Paper, die ich gelesen habe.
Und in beiden wird gleich ein ganzer Katalog von Persönlichkeitsmerkmalen aufgestellt, die charakteristisch für VT-Anhänger sind: Ganz oben steht beispielsweise, dass sie nicht nur an eine solche VT glauben, sondern auch für andere empfänglich sind. Scheint logisch, da ja in der Überzeugung der Anhänger hinter allen VT, von der Kennedy-Ermordung bis zur gefälschten Mondlandung, die gleichen finsteren Mächte oder Mechanismen stehen. Und dass sie sich in einem Umfeld befinden müssen, wo sie von solchen VT überhaupt erst erfahren können (was natürlich spätestens mit dem Internet überall sein kann), ist ebenfalls plausibel. Aber es gibt auch ein paar sehr persönlichkeitsspezifische Eigenschaften: Misstrauen gegenüber Autorität und eine zynische Haltung gegenüber der Politik sind Faktoren, die eine Person eher zum Glauben an VT neigen lassen, ebenso eine positive Haltung zu demokratischen Prinzipien (VT sind ja im Kern immer undemokratisch – eine finstere, nicht gewählte und nicht kontrollierte Macht, die hinter allem steckt) und – das mag im ersten Moment überraschend klingen – eine grundsätzliche Neugier und Aufgeschlossenheit. Ob, wie in früheren Arbeiten vermutet, auch eine gewisse geistige Schlichtheit hinzu zählt, ließ sich in Swamis Papern jedenfalls nicht bestätigen; wenn, dann wäre dieser Zusammenhang sehr schwach. Was auch nicht verwunderlich ist, denn ganz so unkompliziert sind VT ja nun auch wieder nicht, auch wenn sie eine gewisse Standardisierung der Antwort (es sind immer irgendwelche “sie”, die für alles verantwortlich sind) gemein haben.
Auf “Spinner” passt diese Beschreibung nun doch nicht. Und auch die Hinführung zu VT ist oft nicht ganz ohne realistische Basis:
Systemic factors, such as discrepancies or ambiguities in mainstream explanations for an event, may also play a role in initially shaping conspiracist ideation
oder, mit anderen Worten: Nicht selten gibt es konkrete Gründe für einen Anfangsverdacht. Die VT, dass AIDS beispielsweise von der Regieurng als eine Seuche zur gezielten Ausrottung von Schwarzen entwickelt wurde, ist zwar paranoid, aber angesichts der illegalen Syphilis-Experimente in Tuskegee leider längst nicht so absurd, wie sie verdient hätte. Oder diverse Undercover-Aktionen der CIA gegen ausländische Staatsoberhäupter (Fidel Castro war eines ihrer Ziele) lassen es nicht mehr ganz so abwegig erscheinen, dass sie auch die Finger in der Ermordung eines US-Präsidenten haben könnte. Oder von der historisch belegten Tatsache, dass der bewusst falsch dargestellte Tonkin-Zwischenfall von Lyndon B. Johnson zur Rechtfertigung des amerikanischen Eintritts in den Vietnamkrieg verwendet wurde, ist es keine so unüberbrückbare Kluft mehr zu fingierten Attacken am 11. September, die dann Kriege im Irak und Afghanistan rechtfertigen sollen.
Hinzu kommt, dass vor allem durch die Verwicklung von Militär und Geheimdiensten oft echte – und noch mehr vermutete – Informationslücken bleiben. Es liegt in der Natur solcher Organisationen, mit Informationen sparsam umzugehen; wenn sie dann auch noch – wie beispielsweise bei der Ermordung eines Präsidenten oder beim Missbrauch von Passagierflugzeugen als Kamikaze-Bomber – davon ausgehen müssen, dass Schlamperei oder Achtlosigkeit in den eigenen Reihen im Vorfeld der Ereignisse nicht ganz unbeteiligt war, kommt noch der Selbstschutzreflex hinzu*. Und prompt wird dementiert oder diskreditiert. Und die dabei entstehenden Lücken werden mit Fantasie oder eben mit den bekannten VT-Mechanismen “gefüllt”.
*Wenn ich mal mehr Zeit habe, werde ich eine selbst recherchierte Anekdote am Rande des 11. September erzählen, in der genau dieses Verhalten des Secret Service erkennbar wird.
Und da VT “ansteckend” sind – wer an eine glaubt, glaubt auch an viele weitere – ergibt sich aus dem noch beinahe “rationalen” Anfangsverdacht, der zum Einstieg in die erste VT wird, eine Kettenreaktion. Etwa so: “Wenn es möglich ist, dass amerikanische Geheimdienste ihren eigenen Präsidenten ermorden lassen, dann glaube ich auch, dass sie Flugzeuge und Raketen ins World Trade Center oder ins Pentagon lenken.” Und natürlich sind alle Beweise zum Gegenteil wertlos, denn sie stammen ja von den gleichen angezweifelten Autoritäten.
Aber all das trifft – und das ist bemerkenswert – auf die Obama-Geburtsurkunde-VT nicht zu. Zum Beispiel das Misstrauen gegenüber Autorität und die zynische Haltung gegenüber Politik – im Fall der “Birther” sind einige der lautesten Anhänger prominente Politiker und Mitglieder des Senats und des Abgeordnetenhauses, also Teil der politischen Macht. Und man kann mit Gewissheit annehmen, dass die meisten dieser “Birther” jegliche JFK- oder 9/11-VT mit Abscheu zurückweisen würden. Auch Swami war mir gegenüber nicht sicher, ob diese “Birther”-VT überhaupt eine echte “Verschwörungstheorie” ist: “Concerning the ‘birther’ conspiracy theory, in particular, it seems to me … that this may be one instance where political orientation and religion (right-wing Christians?) matters, and probably matters a good deal. In other words, I’m not certain how much this stems from a religo-political argument about Obama and what he represents, as opposed to a real conspiracy theory.”
Um ganz ehrlich zu sein: Ich glaube keine Sekunde, dass jene Politiker – einschließlich des Möchtegern-Präsidentschaftskandidaten und Billig-Populisten Donald Trump – ernsthaft glauben, Obama sei irgendwo anders als in Hawaii geboren. Denn wenn sie es glauben würden, dann würden, nein: dann dürften sie sich nicht mit dem mantra-artigen Ruf “zeig uns deine Geburtsurkunde” begnügen. Immerhin ginge es dann um einen schweren Verfassungsbruch (Artikel 2) sowie Urkundenfälschung und illegale Einwanderung (beides Offizialdelikte); der Kongress hatte schon wegen geringerer Vergehen (erinnert sich noch jemand and Whitewater und die Monica-Lewinsky-Affäre – beides keine ungesetzlichen Handlungen) einen Präsidenten bis über den Rand des Amtsenthebungsverfahrens gedrängt; im Fall Obama wären die “Beweise” (die ja nach fester Überzeugung der “Birther” in den Archiven der Gesundheitsbehörde von Hawaii liegen) noch leicher zu erbringen. Dass dies nicht geschieht, ist in sich selbst schon ein klarer Hinweis, dass dies nur ein politisches Schmierentheater ist, das nichts mit Wahrheit, aber alles mit der Demütigung eines politischen Emporkömmlings zu tun hat …
Aber das erklärt noch nicht, warum ein so großer Teil der US-Bevölkerung auf diese Scharade reinfällt: Ein Viertel glaubt sie in Bausch und Bogen, 18 Prozent sind sich nicht sicher, was sie glauben sollen. Das sind zwar nicht ganz die Werte einer JFK-Attentatsverschwörung, denn an die glauben etwa 90 Prozent der Amerikaner – aber angesichts der Tatsache, dass Obama seine Geburtsurkunde hat veröffentlichen lassen und somit die Frage, wo er geboren ist, auch amtlich und verbindlich beantwortet wurde, immer noch viel zu viele. Glauben Amerikaner nicht an Beweise?
Nun, das wäre in gewisser Weise nicht überraschend. Mag sein, dass mir diese Idee nur gekommen ist, weil Ostern im Kalender steht – aber zu dem ganzen Oster- und Auferstehungsmythos gehört ja auch die Anekdote vom ungläubigen Thomas. Und die ist letztlich die Wurzel dessen, was dem (christlichen) Glauben seinen wissens- und wissenschaftsfeindlichen Beigeschmack gegeben hat: Wer Beweise fordert, ist kein guter Christ – “Selig, die nicht sehen und doch glauben.” Dabei hatte Thomas anfänglich nur getan, was jeder vernüftige Mensch tun würde: Die Behauptung, ein Mensch sei von den Toten auferstanden, erschien ihm so absurd, dass er sie nicht glauben wollte. Nicht mal seinen Augen würde er trauen, nein, wenn schon, dann wollte er die Beweise – in diesem Fall die Kreuzigungswunden – untersuchen, erforschen. Doch in nur zehn Sätzen dreht das Johannesevangeliums den “gesunden Menschenverstand” um: Wer wissen will, der frevelt. Nur der im wörtlichen Sinn blinde Glaube (= nicht sehend) zählt.
Und darum kann Obama, so sehr er sich auch bemüht, gar keine Beweise erbringen, die den festen Glauben derer erschüttern würden, die es einfach immer noch nicht fassen können, dass Barack Obama Präsident ist. Aber das ist wieder eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden …
Foto: brownpau [CC-BY-2.0 (www.creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
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