Erst dachte ich daran, hier einen Videoclip von dem massiven (und letalen) Tornado einzubetten, der am 27. April die Stadt Tuscaloosa verwüstet hat und Teil einer bis dahin noch nie beobachteten Serie von Tornados war, die praktisch den gesamten Norden des Bundesstaates Alabama überzogen hatten. Doch nicht nur, dass sich spontan kein Clip zum Einbetten anbot (irgendwo wird’s sicher welche geben) und dass die Bilder sowieso bestimmt schon überall im Fernsehen zu sehen waren (wer doch noch welche sehen will, einfach diesem Link hier folgen). Ich bin auch davor zurück geschreckt, weil allein dieser Tornado mindestens 36 Menschenleben in Tuscaloosa gefordert hat – und irgendwie kann ich, gerade wegen der sensationsvergessenen Kommentare, nicht die Vorstellung abschütteln, dass ich hier Menschen beim Sterben oder beim verzweifelten Kampf um ihr Leben zuschaue. Und muss mich für diesen Voyerismus schämen …
Aber zurück zu den Fakten, so weit sie schon bekannt sind: Allein am Mittwoch wurden dem Storm Prediction Center (SPC) des amerikanischen nationalen Wetterdienstes (National Weather Service) 137 Tornados gemeldet, davon 104 in der so genannten “Dixie Alley” von Alabama und Mississippi. Seit Beginn des Jahres hat das SPC bereits 982 Tornados in den USA registriert – das sind mehr als doppelt so viel wie das vergleichbare Jahresmittel von 2005 bis 2010 (453). Und die nachstehende Grafik lässt für den Rest der Saison, die schon jetzt alle Rekorde gebrochen hat, nichts Gutes erwarten:
Diese Karte, die ich aus der New York Times “entliehen” habe (Map of the Tornadoes Across the South), zeigt die registrierten Tornados alleine zwischen dem 21. und 28. April:
Von Alan McLean und Archie Tse, New York Times; die Originalkarte ist interaktiv und zeigt die Entwicklung über die Woche hinweg.
Tornados sind ein Wetterphänomen, und sie lassen sich durch Wetterbedingungen erklären – La Niña, die für besonders starke (> 240 km/h) und besonders weit nach Süden aussschwenkende Jetstreams sorgt und damit erst die Grundvoraussetzungen für die Entlwicklung von Tornados schafft; ein ungewöhnlich warmer Golf von Mexiko, der die notwendigen feuchten Luftmassen beibringt; eine extreme Dürre im Südwesten der USA, die dann die trockenen Luftmassen liefert, die sich wie ein Deckel auf die feuchte Luft vom Golf legt, unter dem sich die Energie dann aufstauen kann, bis dieser Deckel, bildlich gesprochen, vom Topf fliegt … ich bin kein Meteorologe (das eine Semester im Grundstudium liegt auch schon mehr als 33 Jahre zurück), wer es also genauer nachlesen will, der findet diese Bedingungen hier bei AccuWeather erklärt.
La Niña, die Jetstrams, warme Meere – klingt alles nach Effekten, die generell auch bei der Betrachtung des Klimawandels berücksichtigt werden. Und es ist wohl mit einer Plausibilität zu konstatieren, dass dieser Klimawandel zu einer Verschlimmerung der generellen Sturm – und speziell einer wachsenden Tornado-Neigung führen kann. Aber wir argumentieren hier selbst ja immer, dass Wetter nicht gleich Klima ist, und darum sagen wir mal: Der schlimmste Tornado-April seit Menschengedenken könnte auch ein statistischer Ausreißer sein (Achtung, Privatmeinung: Ich denke, beides spielt eine Rolle – eine außergewöhnliche Wetterkonstellation, die allerdings durch langfristige Klima- und Meerestrends in ihrer Entwicklung begünstigt wurde). Trotzdem wage ich die Prognose, dass wir in den kommenden Jahren mehr und mehr solcher tödlicher Wirbelstürme in den USA erleben werden:
Denn selbst wenn die Tornado-Wahrscheinlichkeit Jahr für Jahr unverändert bliebe, gäbe es immer mehr Betroffene: Die Bevölkerung in den Südstaaten (jener bereits erwähnten Dixie Alley) stieg im vergangenen Jahrzehnt um 14,3 Prozent, das ist weit mehr als der amerikanische Durchschnitt (9,7 Prozent). Und diese Bevölkerung wird zunehmend ärmer: In Alabama, Arizona, Georgia, Mississippi, New Mexico, South Carolina, Tennessee und Texas ist mindestens jede fünfte Familie von Armut betroffen; allein in Mississippi lebt schon jedes dritte Kind unterhalb der Armutsgrenze.
Natürlich erzeugt Armut keine Stürme (leider noch nicht einmal die gesellschaftlich notwendigen Proteststürme) – aber sie produziert Sturmopfer, zum Beispel durch mangelnde bauliche Sicherheit (zu teuer), durch fehlende Warnsysteme (zu teuer). Und ich wäre nicht überrascht (Achtung, Achtung! Es folgt eine subjektive, unbelegte, aber auf persönlichen Eindrücken beruhende und damit ausschließlich journalistische, nicht wissenschaftliche Bemerkung über den Effekt von Religion – wer seine religiösen Empfindungen nicht verletzt sehen will, sollte ab hier nicht weiter lesen!)* wenn auch eine gewisse, unreflektierte und fatalistische Religiosität eine Rolle spielen würde, die ich am häufigsten im amerikanischen Süden beobachten konnte: Es ist sowieso alles Gottes Wille – wenn ER will, dann wird er seine Schäfchen beschützen, und wenn nicht, dann steht es ihnen nicht an, sich diesem Willen zu widersetzen. Und der jahrelang von höchster Stelle in den USA genährte Zweifel an der (Klima-)Wissenschaft hilft gewiss auch nicht, diese Haltung zu überwinden …
* Reicht das als Vorwarnung, oder muss ich noch ein Blaulicht und eine Hupe dranschrauben?
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