Nicht jeder, der an die eine oder andere Verschwörungstheorie glaubt, muss deshalb gleich ein totaler Spinner sein. Dazu später mehr. Aber es gibt Verschwörungstheorien, die in sich selbst schon so absurd sind (unabhängig davon, wie viele Beweise zum Gegenteil es gibt), dass sie nur nach einer partiellen oder totalen Denkparalyse in den Bereich zwischen den Ohren eingedrungen sein können. Das jüngste und in seiner Dimension ebenso wie seiner Abstrusität frappierendste Beispiel ist die Debatte um Barack Obamas Geburt (das Thema hatte ich hier schon mal angeschnitten). Kurz zusammengefasst, behaupten die so genannten “Birther”, dass Barak Obama nicht in Hawaii, also den USA, sondern in Wahrheit in Kenia zur Welt gekommen ist.
Wer aber nicht in den USA geboren wurde, darf nicht – egal, ob und wie lange er nun Staatsbürger ist oder nicht – zum Präsidenten gewählt werden:
No Person except a natural born Citizen, or a Citizen of the United States, at the time of the Adoption of this Constitution, shall be eligible to the Office of President; neither shall any person be eligible to that Office who shall not have attained to the Age of thirty five Years, and been fourteen Years a Resident within the United States.
So steht’s in Artikel 2, Abschnitt 1, Satz 5 der US-Verfassung: Ein “natural born Citizen” muss er sein, ein in den USA geborener Staatsbürger. Sieht man davon ab, dass die Klausel gezielt darauf hin geschrieben war, britische Monarchen von diesem Amt auszuschließen (die sicher eine faire Chance bei einer postkolonialen Präsidentschaftswahl gehabt hätten – schon damals spielte Geld eine enorme Rolle beim Wahlsieg, und nicht jeder Bewohner der ehemaligen Kolonien war auch ein “Revolutionär”; knapp 30 Prozent der wahlberechtigten Amerikaner dürften – siehe Wikipedia – “Loyalisten” gewesen sein, gegenüber etwa 40 Prozent “Revolutionären”), und heute selbst von konservativen Republikanern – die beispielsweise gerne einen Arnold Schwarzenegger im Weißen Haus gesehen hätten – als korrekturbedürftig erkannt wird: Wenn Obama in Kenia geboren wäre, dürfte er nicht Präsident sein.
So weit, so banal. Aber nun wird’s irrational: Die angeblich nie vorgelegte Geburtsurkunde aus Hawaii ist längst publik, sie ist von den Behörden in Hawaii bestätigt, im Internet für jedermann einsehbar und, bitteschön, auch hier der Vollständigkeit wegen abgebildet. Daneben gibt es gleich zwei kleine, aber eindeutige Geburtsanzeigen, die in den beiden Tageszeitungen von Hawaii erschienen sind; auch diese beiden Dokumente, ebenfalls im Internet – und natürlich in den Zeitungsarchiven selbst – zu finden, werden hier abgebildet:
Aber mal abgesehen von diesen Beweisen (die, wie jeder Verschwörungstheoretiker, der wenigstens etwas auf sich hält, selbstverständlich weiß, gefälscht sein müssen): Wenn ein kenianischer Austauschstudent – oder irgend welche Hintermänner desselben – bereits vor knapp fünf Jahrzehnten geplant hätte, dass sein Sohn aus einer Mischehe, aber ohne nennenswerte finanzielle Mittel, sich eines Tages den Einzug ins Weiße Haus erschleichen würde, hätte er ihm dann nicht wenigstens einen amerikanischer klingenden Namen geben sollen? Oder wenn Barack Obama Jr., der aktuelle Bewohner des Weißen Hauses, der Drahtzieher sein sollte, der all diese Dokumente nachträglich und perfide fälschen ließ: Hätte er sich dann nicht wenigstens Barry (sein Spitzname), oder besser gleich Michael oder John oder mit Vornamen und schon gar nicht Obama mit Nachnamen (Oberman wär’ doch auch nicht schlecht gewesen) nennen sollen? Wenn es schon gelingt, eine Geburtsurkunde komplett zu fälschen, dann sollte doch wenigstens ein wählbarer Name drin sein, oder?
Na gut, so eine durchgeknallte “Birtherin” wie die gebürtige Moldavierin Orly Taitz (die bisher am lautesten und hartnäckigsten diese Theorie verfolgt hat) ist vielleicht schon mit so einer schlichten “wenn a, dann b”-Logik überfordert. Und das Käseblatt Globe (siehe Abbildung oben), das sich zum Kampfblatt der Birther-Bewegung entwickelt hat, war auch vorher schon noch nicht mal gut genug, um tote Fische drin einzuwickeln. Dass Donald Trump nun als letzter auf diesen Zug aufgesprungen ist, wie man eben diesem Globe entnehmen kann, ist … naja, bei Trump ist alles immer nur ein populistischer Publicitystunt, Hauptsache geschmacklos, und Hauptsache schrill.
Aber halt: Populistisch? Glauben wirklich mehr als ein paar Spinner, dass die Obamas – oder wer auch immer – so dämlich-gerissen sein konnten, zwar umständlich eine Geburtsurkunde und einen Lebenslauf zu fälschen, aber dann nicht dran zu denken, dass der zweite Vorname “Hussein” spätestens seit 2001 in den USA ein schweres politisches Handicap war? Die erschreckende Antwort: Nur eine knappe Mehrheit der Amerikaner glaubt nicht, dass diese Verschwörungstheorie stimmt. Laut einer aktuellen Umfrage der New York Times und von CBS glauben nur 57 Prozent aller Amerikaner, dass Obama wirklich in den USA geboren wurde. 25 Prozent, also ein Viertel, sind sicher, dass er nicht auf amerikanischem Boden zur Welt kam, die restlichen 18 Prozent sagen sie wüssten es nicht. Unter Republikanern sind sogar 45 Prozent überzeugt, dass Obama kein gebürtiger Amerikaner ist und seine Geburtsurkunde folglich gefälscht sein muss. 45 Prozent einer Partei, die eine der beiden Kammern des Kongresses kontrolliert!
Wie ich eingangs schon geschrieben hatte: Nicht jede Verschwörungstheorie muss absurd sein. Es ist beispielsweise durchaus plausibel, dass unmittelbar nach dem Attentat auf John F. Kennedy in Dallas einiges vertuscht und verhuscht werden musste – immerhin hatte einer der besten Sicherheitsapparate der Welt fatal versagt, und das heißt beinahe zwingend, dass es Patzer und Pannen gegeben haben muss, für die niemand gerne den Kopf hinhalten wollte. Und wenn etwas aus Militärbeständen bei Roswell abgestürzt ist, braucht es keine fliegenden Untertassen von Außerirdischen, um zu erklären, warum die Sache hinterher totgeschwiegen und bereits gegebene Erklärungen dementiert wurden. Es genügt auch hier als Erklärung, dass eine Panne verschleiert werden sollte. Was nicht heißt, dass es diese “Verschwörungen” wirklich gab – aber sie wären konsistent mit dem Verhalten geheimnisbesessener Institutionen wie dem Militär, dem FBI, der CIA und was sonst noch in der nachrichtendienstlichen Buchstabensuppe herum schwimmt.
Aber dass jemand eine Geburtsurkunde nebst Zeitungsarchiven fingiert, dass jemand einen Lebenslauf fälscht, und dabei einen schwarzen Einwanderersohn aus geschiedener Ehe, mit islamischem Namen und ohne die politisch so unverzichtbaren Vermögenswerte “produziert”, dem selbst vor dem 11. September 2001 niemand eine echte Chance auf den Einzug ins Weiße Haus gegeben hätte? Und dass daran ein Großteil der Amerikaner wirklich glaubt – das ist nur mit kollektivem Realitätsverlust zu erklären. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden …
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